Sozialdemokraten:Stunden der Wahrheit

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SPD-Chef Sigmar Gabriel hat das Zugriffsrecht auf die Kanzlerkandidatur - doch seine Umfragewerte sind vergleichsweise schlecht. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Eigentlich wollen die Sozialdemokraten erst an diesem Sonntag ihren Kanzlerkandidaten präsentieren. Doch nun könnte es schneller gehen.

Von Christoph Hickmann, Berlin

An der Spitze der SPD könnte es früher als angekündigt zu einer Klärung in der offenen Frage der Kanzlerkandidatur kommen. Für diesen Dienstagnachmittag wurde ein Treffen der engsten Parteiführung einberufen. Nach dieser Runde, die um 17 Uhr zusammenkommen soll, wurde für 18.30 Uhr ein Treffen des regulären Parteipräsidiums angesetzt. Bei diesem Treffen soll offenbar über die Kandidatur geredet werden - und es wurde in Parteikreisen für möglich gehalten, dass es zu einer Klärung kommt.

Seit Wochen betont die SPD, dass der Kanzlerkandidat erst bei der Klausur des Parteivorstands an diesem Sonntag präsentiert werden solle. Neben Parteichef Sigmar Gabriel gilt der Europapolitiker Martin Schulz als möglicher Kandidat. Auch Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz wird nach wie vor genannt. Allerdings hatte es an der Parteispitze zuletzt Irritationen darüber gegeben, dass die Kandidatur selbst in der engsten Parteispitze nie konkret thematisiert worden war. Doch offenbar wurde mittlerweile auch von Spitzengenossen intern die Frage nach vertraulichen Umfragen aufgeworfen, die vom Willy-Brandt-Haus in Auftrag gegeben wurden und äußerst schlechte Werte für Parteichef Gabriel ergeben haben. Tatsächlich sind Gabriels Umfragewerte einer der Hauptgründe dafür, dass in der Partei noch immer über die Frage der Kandidatur debattiert wird. Auch in öffentlichen Umfragen schneidet etwa Schulz regelmäßig deutlich besser ab als der Parteivorsitzende.

Die Partei ist nervös - und in Berlin stieg die Nervosität am Montag noch einmal, als ein für diesen Dienstagabend geplanter Termin mit Schulz abgesagt wurde. Eigentlich sollte er an einer prominent besetzten rot-rot-grünen Gesprächsrunde teilnehmen - doch am Montag informierten die Veranstalter, der Termin werde "aufgrund einer kurzfristigen Terminkollision" verschoben. Kurz danach stellte sich der Grund heraus: Schulz soll am Abend mit den anderen Spitzengenossen zusammensitzen und über die K-Frage reden.

Gleichwohl versuchte SPD-Generalsekretärin Katarina Barley noch am Montagnachmittag, den Eindruck aufrechtzuerhalten, erst am Sonntag werde es eine Klärung geben. Immerhin gab sie nach der Sitzung des SPD-Präsidiums zu erkennen, dass Gabriels Wahlchancen oder jedenfalls die entsprechenden demoskopischen Befunde thematisiert worden seien. "Also, wir sprechen natürlich über die Erfolgsaussichten, das ist ja klar. Und da fließen solche Zahlen auch mit ein", sagte sie. Ansonsten wollte sie sich nicht präziser einlassen. Viele Szenarien seien denkbar.

Doch nun stehen die Chancen gut, dass nicht nur die Frage der Kanzlerkandidatur noch vor Sonntag geklärt ist. Womöglich löst sich auch das Rätsel, wer dem wohl künftigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier im Amt des Außenministers nachfolgt. Das dürfte auch Barley recht sein, die in den vergangenen Monaten immer wieder auf den Zeitplan der Partei hingewiesen hat, wenn sie auf die Causa Kanzlerkandidatur angesprochen wurde. "Ja, halleluja, ich freu' mich drauf, wenn dieses Wochenende vorbei ist", sagte sie mit Blick auf das, was vor der Partei liegt.

Es ist die Woche der Wahrheit in der SPD - und diese Woche wollte Gabriel offenbar nicht mit unangenehmen Schlagzeilen belasten. Jedenfalls wollte er offenbar vermeiden, dass über seine Bilanz als Wirtschaftsminister gesprochen wird, genauer: über die deutschen Rüstungsexporte.

Jedenfalls verschickte das Wirtschaftsministerium am Freitagnachmittag, als alle Welt nach Washington blickte, zudem recht nah am Redaktionsschluss der Samstagszeitungen, eine Pressemitteilung mit den "vorläufigen Zahlen für 2016". Das ist schon deshalb ungewöhnlich, weil die Zahlen üblicherweise im offiziellen Rüstungsexportbericht bekanntgegeben werden - doch womöglich wollte das Ministerium verhindern, dass sie auf anderem Weg öffentlich wurden. Jedenfalls versah das Haus von Minister Gabriel die Zahlen gleich noch mit der entsprechenden Deutung: "Rüstungsexportgenehmigungen sinken um eine Milliarde Euro. Bundesregierung setzt auf restriktive und verantwortungsvolle Rüstungsexportpolitik."

Demnach wurden 2016 Einzelgenehmigungen für die Ausfuhr von Rüstungsgütern in Höhe von 6,88 Milliarden Euro erteilt - nachdem es 2015 noch 7,86 Milliarden gewesen waren. Was das Ministerium verschwieg: Dass die Marke von 2015 ein Rekordwert gewesen war und auch der am Freitag präsentierte Wert für 2016 klar über den Werten früherer Jahre liegt. Vom "zweithöchsten jemals gemessenen Wert" sprach der Linken-Abgeordnete Jan van Aken. Gabriel habe "die höchsten Waffenexporte in der Geschichte der Bundesrepublik zu verantworten". Die Grünen-Abgeordnete Agnieszka Brugger kritisierte, offenbar wisse nur Gabriel selbst, wofür er sich feiere.

© SZ vom 24.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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