Süddeutsche Zeitung

Sozialdemokraten:Schulz' Nein zum Mitregieren löst Unruhe in der SPD aus

Lesezeit: 3 min

Von Christoph Hickmann, Berlin

In der SPD wächst nach der klaren Absage an eine große Koalition die Unruhe. In einer mehrstündigen Debatte äußerten am Montag in der SPD-Bundestagsfraktion mehrere Abgeordnete Skepsis gegenüber Neuwahlen und Sorgen vor einem weiteren Wahlkampf. Auch in der engsten Parteiführung waren zuvor nach Informationen der Süddeutschen Zeitung Bedenken gegen einen derart harten Ausschluss der großen Koalition laut geworden.

Nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen in der Nacht zum Montag hatte der SPD-Parteivorstand einstimmig beschlossen, dass die Sozialdemokraten weiterhin nicht für ein Bündnis mit der Union zur Verfügung stehen. Zudem heißt es in dem Beschluss, man scheue Neuwahlen nicht. Damit setzt die SPD trotz der neuen Lage jene Linie fort, die sie am Wahlabend eingeschlagen hatte, als Parteichef Martin Schulz den Gang in die Opposition ankündigte. Mit seinem Appell an die Parteien, ihre Verantwortung wahrzunehmen, erhöhte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier allerdings den Druck auch auf die SPD, sich gesprächsbereit zu zeigen.

In der Sitzung der SPD-Fraktion wurde am Montagabend kritisiert, dass Parteichef Schulz die Option von Neuwahlen zu stark nach vorn gerückt habe. Mehrere Abgeordnete empfanden die Festlegung als übereilt und vertraten die Meinung, man hätte zunächst Zeit gewinnen müssen. Fraktionschefin Andrea Nahles reagierte offenbar auch auf diese Kritik, als sie am Dienstagmorgen im ZDF eine von der SPD tolerierte Minderheitsregierung als weitere Option ins Spiel brachte.

Die SPD kommt in zwei Wochen zum Parteitag zusammen

Zudem gibt es nicht nur in der SPD-Fraktion, sondern auch an der Parteispitze offenbar Skepsis, was den harten Ausschluss der großen Koalition angeht. So soll Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil in einer Sitzung der engsten Parteiführung am Montag entsprechende Bedenken angemeldet haben. Auch Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz soll mit der am Ende beschlossenen Formulierung nicht glücklich gewesen sein. Die SPD kommt in zwei Wochen zum Parteitag zusammen. Dort steht die Wiederwahl des Vorsitzenden an. Bislang einziger Bewerber ist Martin Schulz.

Gleich zu Beginn der Debatte in der Bundestagsfraktion meldete sich Johannes Kahrs, Sprecher des Seeheimer Kreises - also jenes Zusammenschlusses eher konservativer Sozialdemokraten, der traditionell die Vorsitzenden stützt. Er schätze Schulz sehr, so begann Kahrs seinen Beitrag nach Angaben von Teilnehmern - warnte dann aber davor, Andersdenkende in eine Ecke zu stellen. Und Kahrs mahnte sinngemäß an, dass man sich nicht bereits so apodiktisch auf Neuwahlen festlegen solle. Stattdessen solle man doch erst einmal das Gespräch mit dem Bundespräsidenten abwarten.

Mit seinem Beitrag gab Kahrs die Meinung zahlreicher Abgeordneter wieder. Viele empfanden Schulz' Auftritt, seine Fokussierung auf Neuwahlen, als unglücklich. Denn statt Zeit zu gewinnen und den Ball so lange wie möglich bei den anderen Parteien zu lassen, vor allem bei der Union, stehe die SPD nun voll im Fokus und unter Druck. Bereits vor der Fraktionssitzung hatte es im geschäftsführenden Fraktionsvorstand ein Abgeordneter aus Hessen sinngemäß so formuliert: Er sei nicht für eine große Koalition - aber er habe die Festlegung als sehr voreilig empfunden und wisse nicht, wie er mit seinem Landesverband noch einen Wahlkampf führen solle. In der Fraktionssitzung formulierte dann sinngemäß Achim Post, Chef der mächtigen NRW-Landesgruppe, das Problem sei der Begriff der Neuwahlen. Man hätte klarer machen müssen, dass man sie nicht anstrebe.

Viele sind mit dem Vorgehen des Parteichefs unzufrieden

Nur die wenigsten Redner wandten sich, wie der Abgeordnete Bernd Westphal aus Niedersachsen, offen dagegen, die große Koalition auszuschließen. Doch es wurde deutlich, dass viele mit dem Vorgehen des Parteichefs unzufrieden sind. Die Abgeordnete Anette Kramme etwa bat Schulz, ihre Frage nicht persönlich zu nehmen - aber wer werde im Fall einer Neuwahl eigentlich Spitzenkandidat? Außerdem habe man einen neuen (noch nicht gewählten) Generalsekretär und ihres Wissens derzeit keine Bundesgeschäftsführerin. Wie solle man da einen Wahlkampf stemmen?

Trotzdem soll die Debatte sachlich verlaufen sein. Es gab auch Redner, die auf der Linie des Parteivorstands lagen; keinesfalls richtete sich die Diskussion einseitig gegen Schulz. Zudem muss man berücksichtigen, dass die Abgeordneten besonders nervös sind. Denn was wäre eigentlich im Fall einer Neuwahl mit ihrem Mandat, falls die SPD noch weiter abrutschen sollte? Trotzdem zeigt die Debatte in der Fraktion, dass die Genossen längst nicht so monolithisch dastehen, wie man nach dem einstimmigen Beschluss des Vorstands meinen könnte.

In zwei Wochen beginnt der SPD-Parteitag, dort steht die Wahl des Vorsitzenden an - und eigentlich war die Sache entschieden. Trotz der Wahlniederlage und aller Fehler in den Wochen danach, so sah es aus, würde Schulz wiedergewählt werden, weil kein Widersacher sich traute aufzustehen. Aber nun, angesichts der neuen Lage? Könnte jetzt nicht doch noch einmal Bewegung entstehen?

Es steht nun unter anderem die Frage im Raum, wer eigentlich die Spitzenkandidatur übernähme, falls es zur Neuwahl käme. Als Parteivorsitzender habe er in diesem Fall das Vorschlagsrecht, so hat es Schulz am Montag formuliert.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3760154
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.