Sozialdemokraten nach Europawahl:SPD - ein unverbesserlicher Fall?

Sozialdemokraten nach Europawahl: Große Sorgen auch nach der Europawahl: Andrea Nahles.

Große Sorgen auch nach der Europawahl: Andrea Nahles.

(Foto: Ina Fassbender/AFP)

Dass es für die SPD abwärtsgeht, war zu erwarten. Dass sie jedoch so abstürzt, bringt Parteichefin Andrea Nahles in Nöte.

Von Mike Szymanski, Berlin

Als sich SPD-Chefin Andrea Nahles und Katarina Barley vor gut sieben Monaten an diesem Ort, dem Willy-Brandt-Haus in Berlin, aufmachten in den Europawahlkampf, klatschten die Mitarbeiter der Parteizentrale heftig Beifall. "Ich möchte meinen Anteil dazu beitragen, dass es nach oben geht mit der Sozialdemokratie", sagte Barley. Nahles hatte die Justizministerin gerade als Spitzenkandidatin der SPD für die Europawahl präsentiert. Ein paar Tage zuvor hatte die SPD bei der Landtagswahl in Bayern mit 9,7 Prozent eine katastrophale Niederlage eingefahren. Der Schock saß tief. Barley sagte damals: "Ich liebe diese Partei." Und Nahles sagte, dass Barley ihre "erste Wahl" sei für die Wahl, die vor ihnen lag.

221 Tage ist das nun her. Und jetzt stehen die beiden Frauen wieder in diesem Foyer. An diesem Sonntagabend endet im Willy-Brandt-Haus vorerst der Weg für die beiden Gefährtinnen. Mit der SPD ist es seither nicht wieder aufwärtsgegangen. Die 20,5 Prozent bei der Bundestagswahl 2017 waren schon demütigend genug. Aber jetzt lassen die Hochrechnungen gerade einmal etwas mehr als 15 Prozent bei der Europawahl erwarten.

Auch Liebeserklärungen haben nicht mehr wirklich weiter geholfen. Es ist kurz vor 19 Uhr. Barley spricht jetzt zu den Gästen, die gekommen sind: "Ich habe alles gegeben, was ich konnte." Sie kriegt noch mal Beifall. Es liegt also wieder an Nahles zu erklären, warum die Partei unter ihrer Führung einfach nicht richtig auf die Beine kommt. "Extrem enttäuschend", nennt sie das Ergebnis. "Kopf hoch", sagt sie an die Adresse ihrer eigenen Leute.

Diesmal habe die SPD die Klimaschutzpolitik nicht richtig auf dem Schirm gehabt, das leitet sie aus dem guten Abschneiden der Grünen ab. "Wir werden handeln." Es ist nicht nur das bittere Ergebnis bei der Europawahl, das schmerzt. Es geht genauso um Bremen.

Dort haben die Bürger am Sonntag auch über die Bürgerschaft abgestimmt. In Bremen regiert die SPD seit 73 Jahren. In diesem Wahlkampf ist aber auch die letzte rote Festung heftig erschüttert worden. Die CDU könnte an der SPD vorbeiziehen - mit einem politischen Quereinsteiger. Dass es schlimm kommt, war klar. Bei der Europawahl 2014 war die SPD auf 27,3 Prozent gekommen, dank eines politischen Zwischenhochs mit dem Namen "Martin". Damals war Martin Schulz Spitzenkandidat der SPD. Er ging als EU-Parlamentspräsident ins Rennen. So gute Startvoraussetzungen hatte Barley nicht.

Aber ausgerechnet dem Mann, der der Partei vor fünf Jahren zu dem sensationellen Ergebnis verholfen hatte, fiel nun die Rolle des Störers zu. Er soll hinter den Kulissen die Chancen ausgelotet haben, Nahles an der Spitze der Bundestagsfraktion abzulösen. Nahles stellte ihn daraufhin zur Rede, weshalb auf den letzten Metern der Kampagne plötzlich das Geraune über Putschversuche in der SPD aufkam.

Hat die Partei denn nicht aus ihren Fehlern gelernt?

Schulz, so ist aus der Partei zu hören, dürfte kaum realistische Chancen haben, noch einmal auf einen Führungsposten zurückzukehren. Aber er hat Rechnungen mit Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz offen. Beide hatten ihn nach der Niederlage bei der Bundestagswahl 2017 als Parteichef kühl aus dem Zentrum der Macht verdrängt. Im Europawahlkampf war Schulz als Redner zwar geduldet, Einfluss auf die Kampagne sollte er jedoch nicht nehmen. Das hat ihn geärgert.

Genauso wenig dürfte nur durch Zufall die Nachricht an die Öffentlichkeit gelangt sein, wonach der frühere SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel wohl nicht wieder für den Bundestag kandidieren will. Der Tagesspiegel berichtete darüber, ein Blatt der Holtzbrinck-Gruppe, bei der Gabriel als Autor unter Vertrag steht. Gabriel und Nahles können einander nicht ausstehen. Aber Gabriel hat immer noch viele Anhänger in der SPD. Dem Bericht zufolge habe Gabriel seine Entscheidung vor der Europawahl nicht öffentlich machen wollen, um keine Unruhe in den Wahlkampf zu bringen.

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Eine SPD-Anhängerin in Berlin.

(Foto: John MacDougall/AFP)

Aber nun ist sie da, die Unruhe, weil Schulz und Gabriel wie Schreckgespenster auftauchen. Immer dann, wenn Nahles sie gerade wirklich nicht gebrauchen kann.

Wie am Abend der Wahl. Nahles hat gerade erst gesprochen, da meldet sich Gabriel schon wieder über den Tagesspiegel zu Wort. "Alles und alle" gehörten auf den Prüfstand, lässt er sich vernehmen.

Völlig unvorbereitet hatte Nahles im Wahlkampf auch das Interview von Juso-Chef Kevin Kühnert getroffen, der sich in der Zeit Enteignungsfantasien hingab und daraufhin die SPD in eine Sozialismus-Debatte zwang. Wenn an diesem Montag die Gremien zusammenkommen, um über den Ausgang des Wahlsonntags zu beraten, dürfte es also einiges zu bereden geben. Womöglich kramt auch jemand den Bericht hervor, mit dem die SPD die Niederlage bei der Bundestagswahl 2017 aufzuarbeiten versuchte. Damals war die SPD hart mit sich ins Gericht gegangen. "Aus Fehlern lernen", heißt der mit externer Unterstützung verfasste Schadensbericht auf 108 Seiten. Gleich im Vorwort steht: "Kollektive Verantwortungslosigkeit muss ein Ende haben."

Hat die Partei denn nicht aus ihren Fehlern gelernt? Ist die SPD ein unverbesserlicher Fall geworden?

Nahles dürfte mal wieder schwierige Tage vor sich haben. Ihr Generalsekretär Lars Klingbeil sagt, die Niederlage könne "nicht ohne Folgen" bleiben. Nur, über Personen will er nicht reden. "Ich rate davon ab, Personaldiskussionen zu führen." Nahles macht auch nicht den Eindruck, als ob sie alles hinwerfen möchte. Ihre Partei befinde sich mitten im Erneuerungsprozess. Das schlimmste wäre, diesen jetzt abzubrechen, sagt sie. Nach den Sommerferien sind Landtagswahlen im Osten.

Und Barley? Eine Bundesministerin, die in diesen Zeiten bereit war, für eine ungewisse politische Zukunft in Europa ihr Amt aufzugeben - das hat Eindruck gemacht in der Partei. Für Barley fängt jetzt bald ein neues Leben an. Ihr Entlassungsgesuch als Justizministerin hat sie schon geschrieben, die Kanzlerin sollte es noch am Wahlabend bekommen. Alles, was sie auf den letzten Metern des Wahlkampfes wollte, war eine Pizza und ein Schlückchen Alkohol, wie sie sagte. Es klang, als ob für sie nur ein langer Arbeitstag zu Ende ging.

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