Hessen-Wahl:Die ganze SPD hofft auf Thorsten Schäfer-Gümbel

SPD-Präsidiumssitzung

SPD-Vorsitzende Andrea Nahles muss darauf hoffen, dass die Sozialdemokraten unter Thorsten Schäfer-Gümbel Teil der Regierung in Wiesbaden werden.

(Foto: picture alliance/dpa)
  • Nach dem Fiasko in Bayern drohen der SPD auch bei der Landtagswahl in Hessen deutliche Verluste.
  • Dennoch ist Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel ein Hoffnungsträger der Partei - weil es die kleine Chance gibt, dass er Ministerpräsident wird.
  • Im Wahlkampf legte er Wert auf Distanz zur Bundespartei, der Umgang mit dem Fall Maaßen machte ihn fassungslos.

Von Susanne Höll, Frankfurt

Es ist ein erstaunlich gelassener Sozialdemokrat, der an diesem Mittwoch in eine über die Landesgrenzen hinaus bedeutsame TV-Wahldebatte geht. Wer in diesen turbulenten Tagen mit Thorsten Schäfer-Gümbel spricht, dem SPD-Spitzenkandidaten bei der hessischen Landtagswahl, erlebt einen konzentrierten, unaufgeregten Menschen. "Ich bin mit mir im Reinen", beschreibt der 49-Jährige seine Verfassung vor dem Fernseh-Duell mit Ministerpräsident und CDU-Chef Volker Bouffier.

Wie bitte? Der Mann, der politisch ziemlich dünnhäutig, auch sauertöpfisch sein kann, leistet sich mitten in einer neuen SPD-Krise das Wohlgefühl innerer Ruhe. In Bayern haben die Roten ein Fiasko erlebt, die Bundespartei trudelt, auch den Sozialdemokraten zwischen Kassel und Darmstadt drohen am 28. Oktober deutliche Verluste. "Aber wir sind in Hessen", sagt Schäfer-Gümbel mit feinem Lächeln. "Der Zaun zwischen Aschaffenburg und Seligenstadt hält." Aschaffenburg gehört zu Bayern, dort stürzten die Sozialdemokraten unter zehn Prozent. Seligenstadt liegt gerade einmal 20 Kilometer weit entfernt in Hessen. Das Bundesland ist zwar längst keine rote Hochburg mehr. Doch immerhin herrschen für Sozialdemokraten noch vergleichsweise paradiesische Zustände.

Zwar wird es übernächste Woche auch die Hessen-Sozen beuteln, die knapp 31 Prozent, die sie bei der Landtagswahl 2013 verbuchten, sind allen Umfragen zufolge perdu. Aber immerhin liegt die Partei konstant bei mehr als 20 Prozent, also weit vor der Bundes-SPD, von den bayerischen Genossen nicht zu reden.

Dass Schäfer-Gümbel neuer Ministerpräsident wird, ist zwar nicht sonderlich wahrscheinlich. Aber es ist auch nicht ausgeschlossen. Er kann erklären, ohne dass ihm Schamesröte ins Gesicht steigen muss, dass er in die Staatskanzlei in Wiesbaden einziehen will. Deshalb ruhen auf ihm nicht nur die Hoffnungen der hessischen Sozialdemokraten, sondern auch derer im Bund. Wenn irgendjemand der Partei auf absehbare Zeit eine kleine Freude machen kann, ist es der Mann aus Gießen mit der dunklen Brille.

Spitzenkandidat Schäfer-Gümbel hat den Landesverband in Hessen mit viel Mühe wieder geeint

In den vergangenen Jahren hat Schäfer-Gümbel daheim einige Dinge gerichtet. Die Landespartei, die nach dem Debakel um ihre Ex-Chefin Andrea Ypsilanti und deren Schlingerkurs in Sachen Rot-Rot-Grün bei der Wahl im Jahr 2008 in unappetitlichen Bruderkämpfen unterzugehen drohte, wurde in mühevollem Einsatz neu geeint. Man geht heute höflich und respektvoll miteinander um. Und er hat in diesem Wahlkampf auf populäre Themen gesetzt: An oberster Stelle steht die leidige Wohnungsfrage. Auch in hessischen Städten sind bezahlbare Mieten und Immobilien längst selten geworden. Die schwarz-grüne Landesregierung hat das Thema Bauen inzwischen auch entdeckt. Doch die SPD war eben früher dran.

Zwar glaubt kein Mensch, dass Schäfer-Gümbel im Handumdrehen für erschwingliche Mietshäuser sorgen kann. Aber er vermittelt den glaubwürdigen Eindruck, dass ihn diese Sorge der Bürger beschäftigt, hat sich in das komplexe Thema eingearbeitet, auf die ihm eigene gründlich-penible Art. Seine Detailversessenheit geht manchmal auch den eigenen Leuten auf die Nerven, unumstritten ist er dennoch. Schäfer-Gümbel ist ein Mannschaftsspieler, er lässt seine Leute glänzen, ist weder selbstverliebt noch intrigant. In der Landespartei läuft es im Großen und Ganzen. Im Bund ist es deutlich schwieriger.

"Es geht um Hessen", sagt er immer wieder

Schäfer-Gümbel ist einer der Vize-Parteichefs, zuletzt zumeist zu seinem Leidwesen. Mit dem Führungsstil des früheren SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel hatte er Probleme, mit Gabriels Nachfolger Martin Schulz hat er sich im Zwist über dessen Wackelkurs überworfen. Zu dessen Nachfolgerin Andrea Nahles hält er Abstand. Dass Nahles zunächst der Beförderung von Noch-Verfassungsschutz-Präsident Georg Maaßen zum Staatssekretär im Innenministerium zustimmte, hat ihn fassungslos gemacht. Öffentliche Kritik vermied er aber. Schäfer-Gümbel legt gerade im Wahlkampf Wert auf Distanz zur Bundespartei. "Es geht um Hessen", sagt er immer wieder. Der Satz eint ihn mit seinem Duell-Partner Volker Bouffier, der sich im Wahlkampf allüberall Klagen der Leute über die Berliner Verwerfungen anhören muss.

In Wiesbaden könnte die SPD nach der Wahl mitregieren - zumindest als Juniorpartner

Jahrelang war es zwischen den beiden Männern angespannt, aus politischen, vielleicht auch persönlichen Gründen. Inzwischen hat sich das Verhältnis gebessert, so heißt es von beiden Seiten. Das wäre günstig. Denn womöglich finden sich die beiden von Januar an in einem gemeinsamen Regierungsbündnis wieder. Eine große Koalition käme insbesondere dann in Frage, wenn CDU und Grüne, wie jüngere Umfragen nahelegen, keine Mehrheit mehr bekommen und die kleine FDP, so sie denn in den Landtag einzieht, nicht für eine Dreierkonstellation mit Christdemokraten und der Öko-Partei zur Verfügung stünde. Diese Vorstellung bereitet den Genossen keine Freude. Aber weitaus schrecklicher ist für die allermeisten der Gedanke, es wieder nicht in eine Regierung zu schaffen. Fünf weitere Jahre in der Opposition drohen die Landespartei auszudörren.

Zwischen 1946 und 1999 war Hessen - mit einer kurzen Ausnahme in der Ära des CDU-Ministerpräsidenten Walter Wallmann - in sozialdemokratischer Hand. Nun regiert die CDU seit knapp zwei Jahrzehnten und raubt der SPD im Landtag die Luft. Wer hierzulande in der Sozialdemokratie etwas werden will, engagiert sich inzwischen oft lieber in der Kommunalpolitik oder in Berlin. Diejenigen, die in Wiesbaden geblieben sind, sagen, man müsse dringend wieder in ein Kabinett und zeigen, dass man noch regieren kann, in der Not eben als Juniorpartner. Und wenn Schäfer-Gümbel tatsächlich mit sich im Reinen ist, weiß er, dass seine hessische Polit-Karriere sich dem Ende zuneigen könnte, wenn die neue Landesregierung wieder ohne SPD-Minister auskommt.

Rot-Grün-Rot spielt in den Überlegungen der SPD bislang keine große Rolle. Wenn es sich dennoch anbieten sollte, würde Schäfer-Gümbel gründlich überlegen, ob er ein solches, mit etlichen Wagnissen verbundenes Unterfangen eingehen möchte, vorausgesetzt, die Grünen wären dazu bereit. Er ist kein Spieler, kein Hasardeur der Macht.

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