Sozialdemokraten:Kein Weg zurück

Andrea Nahles speaks at the monasterie in Maria Laach, Germany - 12 Aug 2019

Die Ex-SPD-Chefin kam zur Vortragsreihe nach Maria Laach.

(Foto: THORSTEN WAGNER/EPA-EFE/Shutters)

Erstmals nach ihrem Rückzug tritt Andrea Nahles öffentlich auf. Die Ex-Parteichefin redet über Männerzirkel in der SPD und das Wissen, "wann man etwas Neues anfangen muss".

Von Susanne Höll, Maria Laach

Die Frau, die an der Seite eines Benediktinermönchs durch das Gelände des Klosters Maria Laach spaziert, wirkt heiter. Sonnengebräunte Haut, sie lacht, gestikuliert. Ganz entspannt also? Ein Fotograf ruft: "Frau Nahles, wie geht es Ihnen?" Er bekommt keine Antwort. Schnell verschwindet Nahles im Konferenzgebäude des Klosters. Es ist ihr erster öffentlicher Auftritt seit ihrem Rückzug vom SPD-Vorsitz.

Über das Grundgesetz will sie reden und über die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Mit Blick auf die eigene jüngere Vergangenheit und die ihrer Partei ist immerhin das erste Thema unverfänglich. Und damit niemand auf die Idee kommt, heikle Dinge bei der SPD anzusprechen, ließen die Verantwortlichen des Klosters mehrfach wissen, dass Fragen zur Partei, die sich bekanntlich in einem beklagenswerten Zustand befindet, nicht erwünscht seien.

Gut möglich, dass Nahles eingangs nervös war, schließlich hat sie die Öffentlichkeit seit dem Rücktritt vor gut zwei Monaten gemieden. Eine eventuelle innere Unruhe dürfte sich aber schnell gelegt haben. In Maria Laach ist sie sozusagen unter Freunden. Alte Mitstreiter sind gekommen, darunter der frühere rheinland-pfälzische Finanzminister Gernot Mittler, so wie Nahles katholisch, Sozialdemokrat und ein Freund des Klosters. Und weniger bekannte Menschen auch, die sie noch aus Jugendzeiten kennen. Und solche, die ihr nie begegnet sind, die aber neugierig sind auf diese in mancherlei Sicht sehr ungewöhnliche Andrea Nahles.

Sie gibt trotz aller Frage-Gebote bei diesem Auftritt einiges über sich und ihre Partei preis. Zum Dasein als Frau in der deutschen Sozialdemokratie etwa. Nein, sagt Nahles, sie habe sich nie wirklich gleichberechtigt gefühlt. "Nein, zu keinem Zeitpunkt", antwortet sie. Zwar seien die Dinge seit ihrem parteipolitischen Engagement zunächst besser geworden, dann aber wieder schlechter. Allein die vielen Zirkel, in denen sich die Männer organisierten, selbst in den hohen und höchsten Gremien. Als sie selbst dann Parteichefin wurde, im April 2018, habe es nicht mehr viele Männerzirkel gegeben, zu denen sie keinen Zutritt gehabt habe. "Aber es waren immer noch zu viele", fügt sie hinzu. Eine Anspielung auf die äußerst unschönen innerparteilichen Abreden gegen die zuletzt wenig geschätzte Vorsitzende, die sie schließlich zum Rücktritt trieben. Das ist ihre Sicht der Dinge.

Mutter und Politikerin zu sein sei "wahnsinnig anstrengend" gewesen, gesteht Nahles

Wahr ist allerdings auch, dass man der SPD vieles vorwerfen kann, nicht aber Diskriminierung beim Mobbing gegen ihre obersten Chefs. Vor Nahles wurden etliche Männer aus dem Spitzenamt getrieben, durch ganz unterschiedliche Zirkel, in denen in der Vergangenheit auch Nahles einmal aktiv war. Manche ihrer Aktionen, etwa gegen den einstigen Vorsitzenden Franz Müntefering, hat sie später tief bereut. Heute weiß sie, mit welchen Schmerzen und welchem Leid ein Absturz aus dem Chefamt verbunden ist, das den Inhabern oft mehr Kraft abverlangt, als sie aufbringen können.

Nahles gibt auch preis, dass sie als zeitweise alleinerziehende Mutter und Fraktions- sowie Parteivorsitzende an Grenzen geriet. Ihre Tochter ist acht Jahre alt, sie ist nun in der dritten Klasse. Die Doppelbelastung sei "wahnsinnig anstrengend" gewesen, gesteht sie. Man kriege es hin, oft auch ganz gut. "Aber man killt sich praktisch selbst", fügt sie hinzu. Einige Frauen im Saal nicken. So ist es.

Alsbald, im September oder Oktober, wird Nahles ihr Bundestagsmandat niederlegen, ihr letztes verbliebenes politisches Amt. Als sie in Maria Laach eine zügige Entscheidung ankündigt, ruft jemand in den Saal: "Du musst bleiben." Sie lächelt, hält einen Moment inne. Und sagt dann: "Man muss wissen, wann man etwas Neues anfangen muss." Nahles hat sich offenkundig für einen Abschied aus der Politik in Würde entschieden. Sie wird sicher nicht die Arbeit ihrer Nachfolger von der Seitenlinie kommentieren.

Über ihren potenziellen Nachfolger im Bundestag wird schon heftig diskutiert, zumindest in Rheinland-Pfalz. Er heißt Joe Weingarten, hat eine leitende Funktion im Wirtschaftsministerium und bringt Parteikollegen seit Längerem mit Meinungen insbesondere zu Klimafragen und Zuwanderung gegen sich auf. Dass er manche der Asylbewerber jüngst als "Gesindel" bezeichnete, hat die Sache nicht besser gemacht. Sobald Nahles ihren Mandatsverzicht erklärt, muss er sich entscheiden, ob er nach Berlin wechselt. Ganz egal, wie er wählt: Man wird die Vorgängerin vermissen.

Die Noch-Abgeordnete steht am Ende der Veranstaltung im leeren Saal, in der Hand einen kleinen Blumenstrauß von einer Sozialdemokratin aus Andernach. Sie ist schlanker als früher, die letzten Monate haben ihr, der trotz aller politischen Härte sensiblen Frau, zugesetzt. Der Familienurlaub in Italien im Sommer habe aber gutgetan. Trotzdem, Nahles wirkt melancholisch. Und sagt in kleiner Runde, dass es künftig nicht mehr viele Veranstaltungen wie diesen Abend mit ihr geben werde.

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