Sozialdemokraten im Umfragetief:Gabriel beerdigt den Stolz der SPD

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Sozialdemokraten im Umfragetief, Gabriel beerdigt den Stolz der SPD (Video: Süddeutsche.de, Foto: dpa)

Sigmar Gabriel hat den Anspruch aufgegeben, die SPD könne einen Kanzler stellen. Damit riskiert er einen weiteren Bedeutungsverlust seiner Partei. Wenn die populäre Kanzlerin eines Tages beiseitetritt, könnte es zu spät sein.

Kommentar von Heribert Prantl

Sigmar Gabriel führt seine Partei, aber ihm fehlen der Wille und die Vorstellung, mit seiner SPD das Land zu führen. Hinter der herzhaften Rustikalität, die er ausstrahlt, verbirgt sich entschlossene Unentschlossenheit. Gabriel hat Kraft, aber keine Stärke; er verwechselt Pose mit Haltung. Er ist präsent, aber er präsentiert keine Botschaft. Er hat ein ganz wunderbares Talent zur mitreißenden Rede, damit gewinnt er bisher seine Parteitage; aber er weiß nicht, wohin und zu welchen Zielen er die Wähler reißen soll; deswegen reißt er nichts. Ihm fehlt die unbeirrbare und unbändige Zuversicht, die er und die SPD bräuchten, um sich über die schlechten Meinungsumfragen zu erheben. Gabriel macht die Sozialdemokratie so klein, wie sie derzeit dort bewertet wird.

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Sigmar Gabriel hat den Anspruch aufgegeben, seine Partei könne einen Kanzler stellen. Die SPD ist damit von einem weiteren Bedeutungsverlust bedroht, kommentiert Heribert Prantl.

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Gabriel verabschiedet sich von Führungsanspruch der SPD

Nie wurde das so deutlich wie jüngst beim Parteitag der schleswig-holsteinischen SPD in Neumünster. Dort hielt Gabriel eine verräterische Rede: Angela Merkel, so sagte er, sei "eine gute Bundeskanzlerin, solange wir aufpassen". Dieser Satz steht für die Verzwergung der SPD: Gabriel macht aus einer Partei mit dem Anspruch zu dirigieren eine Partei, die andere beim Dirigieren kontrolliert.

Gabriel mag das für pragmatischen Realismus halten, weil doch Zeiten und Wähler auf Merkel stehen. Aber Gabriel verabschiedet sich so von dem Anspruch, eine potenzielle Kanzler-Partei zu führen; er beerdigt den Stolz seiner Partei. Ein Aufpasser ist im anderen Kontext der "custos", der Küster also, der dem Priester das Gewand anzieht und die Kerzen anzündet.

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SPD-Chef Gabriel bestreitet, dass er die Bundestagswahl 2017 schon verloren gegeben hat. Doch das ist fast egal. Merkel bleibt Kanzlerin - wenn nicht noch ein Wunder geschieht.

Von Thorsten Denkler

Der SPD-Chef als Küster von Angela Merkel

Man fühlt sich an die Zeiten von Klaus Kinkel als FDP-Chef erinnert, als die FDP den Satz plakatierte, dass, wer Kohl als Kanzler wolle, dessen kleinen Koalitionspartner wählen solle. Wer so redet, dem fehlt der Wille zur Macht, der Wille zur Veränderung, der Glaube an eine politische Alternative. Ohne diesen Willen stellt die SPD keinen Kanzler mehr.

Wer die bessere CDU sein will, ist deswegen noch keine gute SPD. Volkspartei ist oder wird man auch nicht, wenn man, wie Gabriel das getan hat, gefällig mit den Pegidisten redet, statt klarzumachen, dass das, was die wollen, allem widerspricht, wofür die SPD seit ihrer Gründung steht. Wenig hilfreich ist es schließlich, wenn der Vorsitzende Gabriel alle drei Tage die eigene Generalsekretärin rupft.

Es reicht nicht, die Punkte aus dem Koalitionsvertrag abzuarbeiten

Die SPD als Aufpasser-Partei? Das wäre keine Partei mehr, die an der Spitze stehen will; eine Aufpasser-Partei steht immer neben der Spitze. Eine Aufpasser-Partei greift nicht nach dem Hauptgewinn, sondern ist mit dem Trostpreis zufrieden, also mit dem Regieren in einer großen Koalition.

Eine Aufpasser-Partei ist eine Partei, die - wie die SPD das ja wacker macht - darauf aufpasst, dass die Punkte gut abgearbeitet werden, die sie in den Koalitionsvertrag geschrieben hat: Mindestlohn, Rente mit 63 und Doppelpass. Zeitungskommentatoren registrieren und honorieren diese Erfolge womöglich stärker als die Wähler, weil letztere darin nur einzelne Stückchen aus einem ansonsten verloren gegangenen sozialdemokratischen Puzzle sehen. Eine bloße Aufpasser-Partei ist nicht Volks-, sondern Funktionspartei: Sie muss aufpassen, dass der Wähler nicht sagt: Zum Aufpassen braucht ihr nicht einmal die gegenwärtigen 25 Prozent, da genügen auch bloße 15.

Gabriel kann gut reden, aber daraus entsteht kein Politikentwurf

Es ist natürlich ein Leichtes, alle Defizite auf Gabriel abzuladen und in ihm, in seiner robusten Schwäche und seiner lethargischen Nervosität, ein Spiegelbild der Partei zu sehen. Gabriel hat aber immerhin Ruhe in die Partei gebracht und den ständigen Wechsel an der Parteispitze gestoppt. Auch ein Zauberer, der Gabriel nicht ist, könnte aus einem Huhn keinen Adler machen. Aber das Huhn könnte Eier legen und brüten. Ein guter Hühnerhalter sorgt dafür, dass das funktioniert. Es funktioniert aber nicht. Ein eiliges Basta animiert zum Brüten nicht.

Die großen Brütereien finden anderswo statt: Ein Buch nach dem anderen wird geschrieben über die Ungerechtigkeit der Weltordnung und wie man sie beseitigen könnte. Die SPD, die aufgrund ihrer Geschichte wie keine andere dazu berufen wäre, schreibt daran nicht mit. Die Verbindung des Sozialen mit dem Ökonomischen gelingt Gabriel bisweilen gut in seinen Reden. Es entsteht aber daraus kein Politikentwurf und keine Politik. Die TTIP-Debatte könnte eine Debatte sein, die dafür Gelegenheit gibt. Gabriel will diese Debatte, die seine Partei führen will, aber partout verhindern. Der Zickzackkurs, den Gabriel dabei vorführt, überzeugt niemanden - nicht einmal jene, die, wie er, TTIP unbedingt wollen.

Es mag ja sein, dass die SPD eine Bundestagswahl erst dann wieder gewinnen kann, wenn Merkel beiseitegetreten ist. Wenn die SPD aber darauf nur wartet, wird sie die Entfremdung von den Wählern kaum rückgängig machen können.

© SZ vom 20.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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