Sozialdemokraten im Stimmungstief:SPD streitet über Personal und Profil

In der SPD ist eine Diskussion über die Sinnhaftigkeit von Personalveränderungen entbrannt. Anlass war die Forderung des niedersächsischen Landesvorsitzenden Wolfgang Jüttner nach einer Kabinettsumbildung.

Von Nico Fried

Berlin - Der niedersächsische Fraktionschef Sigmar Gabriel widersprach am Donnerstag seinem Landeschef. "Wer glaubt, Veränderungen bei Personen lösen Probleme in der Sache, der irrt", sagte Gabriel der Süddeutschen Zeitung. ´

Ähnlich äußerte sich der Spitzenkandidat der thüringischen SPD, Christoph Matschie. Ein Sprecher der Bundesregierung wies die Forderungen zurück: "Es gibt keine Kabinettsumbildung", sagte er. Bundesinnenminister Otto Schily sagte: "Ich wüsste nicht, dass Herr Jüttner Einfluss auf eine Kabinettsumbildung oder was oder wie auch immer hat." Bundeskanzler Schröder sagte bei einem Besuch der Bundeswehr-Spezialeinheit KSK in Calw, er habe nicht vor, ungebetenen Ratschlägen des einen oder anderen aus der Partei zu folgen.

Die Schwierigkeit der SPD bestehe darin, dass ihre Politik derzeit nicht klar konzipiert sei, sagte Gabriel. "Die Leute suchen nicht neue Gesichter, sondern etwas, worauf sie stolz sein können." Gabriel forderte seine Partei auf, "das Spielfeld zu wechseln". Im vergangenen Jahr sei vor allem über Maßnahmen geredet worden, jetzt müssten die Ziele in den Vordergrund rücken. "Die bisherigen Reformen waren notwendig, aber sie sind nichts, womit wir gewinnen werden."

Jüttner: Es geht nicht ohne Kabinettsumbildung

Als wesentliche Themen nannte Gabriel Bildung sowie Familie und Kinder. Zudem forderte er die Einführung eines Mindestlohnes. "Ich bin sehr dafür, dass jeder jede Arbeit annehmen muss - aber nur, wenn er dabei mehr verdient als ein Sozialhilfeempfänger", sagte Gabriel. Diese Themen müssten konkretisiert werden, "damit sie genauso klar erkennbar sind wie es die Sparmaßnahmen im vergangenen Jahr waren".

Jüttner hatte zuvor erklärt: "Ich glaube, es geht nicht mehr ohne eine Kabinettsumbildung." Einige der Gesichter im Kabinett seien verbraucht. "Mit dieser Mannschaft kann man keinen Aufschwung organisieren", sagte Jüttner der Financial Times Deutschland. Gabriel trat vorbeugend möglichen Spekulationen entgegen, er stecke wegen persönlicher Ambitionen hinter dem Vorstoß seines Landeschefs. "Ich habe Jüttner nicht als Terrier vorausgeschickt. Von diesen Personalspekulationen habe ich wirklich die Schnauze voll."

Der SPD-Fraktionschef im baden-württembergischen Landtag, Wolfgang Drexler, schloss sich Jüttners Vorstoß an. "Wenn man das öffentliche Erscheinungsbild der Bundesregierung sieht, ist in der Mitte der Legislaturperiode eine Kabinettsumbildung der richtige Schritt", sagte Drexler. Dagegen sprach sich Thüringens SPD-Chef Christoph Matschie gegen eine Personaldiskussion aus: "Der Ruf, dass Köpfe rollen müssten, ist immer die scheinbar einfachste Lösung. Aber das hilft nicht weiter", sagte er der SZ.

"Wenn wir noch einmal so agieren, sind wir weg vom Fenster"

Matschie, SPD-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl im Juni und Staatssekretär im Bildungsministerium, warnte seine Partei vor Panikreaktionen. Die Modernisierung des Landes müsse weitergehen. "Es ist aber wichtig, dass wir bei den nächsten Reformen überlegter vorgehen und die einzelnen Schritte transparenter machen. Ein solches Durcheinander wie bei der Gesundheitsreform können wir uns nicht mehr leisten. Wenn wir noch einmal so agieren, sind wir weg vom Fenster."

In diesem Zusammenhang kritisierte Matschie auch den Koalitionspartner: "Es ist völlig kontraproduktiv, wenn die Grünen immer nur fordern, das Tempo müsse erhalten bleiben. Auch sie sollten dabei helfen, dass die Menschen nicht mehr nur das Gefühl haben, alles werde immer komplizierter."

Auch Hessens SPD-Vorsitzende Andrea Ypsilanti distanzierte sich von Jüttner: "Ich beteilige mich nicht an Personaldebatten, denn es geht nicht um Köpfe, sondern um politische Inhalte", sagte sie. Der Schwachpunkt der SPD liege beim Thema soziale Gerechtigkeit. Der designierte bayerische SPD-Vorsitzende und SPD-Bundestagsfraktionsvize Ludwig Stiegler hält eine Kabinettsumbildung für eine wohlfeile, aber falsche Lösung.

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