Sozialdemokraten im Hoch:Mit Gauck und der Kraft der Grünen

Der SPD steht eine gute Zeit bevor: Am Nachmittag werden die Gabriels, Steinmeiers und Wowereits die Regierung für die Sparpläne und ihre Politik geißeln. Schwarze und Gelbe tun das Gegenteil dessen, was sie einst verkündeten. Doch hat die SPD selbst genügend Kraft geschöpft?

Susanne Höll

Mit der in Zeiten unberechenbarer Währungskrisen und folgenreicher politischer Rücktritte gebotenen Vorsicht lässt sich sagen: Den Sozialdemokraten stehen vergleichsweise gute Monate bevor.

100 Tage neue SPD-Fuehrung

An diesem Montag wird der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel den Kandidaten für das Bundespräsidentenamt vorstellen - und dafür Zustimmung und Lob erhalten.

(Foto: ag.ddp)

An diesem Montagvormittag wird der Vorsitzende Sigmar Gabriel dem Parteivorstand den Kandidaten für das Bundespräsidentenamt vorstellen und dafür Zustimmung und Lob erhalten. Schließlich findet halb Deutschland, darunter auch namhafte Vertreter und Anhänger der schwarz-gelben Koalition, dass der parteilose Pfarrer Joachim Gauck nicht nur ein äußerst würdiger Bewerber ist, sondern im Vergleich zum braven Christian Wulff auch das ideale Staatsoberhaupt wäre.

Die Sozialdemokraten, die sich einen Herausforderer mit rotem Parteibuch gewünscht hätten, werden wohlweislich schweigen. Sie haben aus ihren Reihen keinen Mann - und übrigens auch keine Frau - aufzuweisen, die Gauck an Strahlkraft überbieten könnte.

Ein Erfolg Gaucks dürfte das Ende der Kanzlerin bedeuten

Am Montagnachmittag werden die Gabriels, Steinmeiers und Wowereits die Bundesregierung im Allgemeinen und die Kanzlerin im Besondern geißeln, für die Sparpläne nämlich und ihre Politik des vergangenen Jahres, in denen Schwarze und Gelbe erst im Wahlkampf und dann in der Koalition das Gegenteil dessen verkündeten, was sie nun zu tun gedenken.

Der Vorwurf mutwilliger Volksverdummung wird die Kanzlerin und die Koalition weit über den 30. Juni hinweg verfolgen, jenem Tag, an dem die Bundesversammlung den Bundespräsident wählt. Der dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach Wulff heißen. Denn ein Erfolg Gaucks dürfte das Ende der Kanzlerin Merkel bedeuten. Träte sie nicht freiwillig zurück, würde sie wohl aus ihren Reihen dazu gezwungen werden. Andersherum gilt: Die Wahl des Niedersachsen ist keine Niederlage für SPD und Grüne und schon gar nicht für Gauck.

Ein guter Sommer also für die Sozialdemokraten, die noch vor neun Monaten bangten, ob sie sich als Partei in der lange ungeübten Opposition behaupten können. Und damals Angst hatten, von ihrer Basis weit nach links gedrängt zu werden. Im Herbst 2009 wurde viel spekuliert: Die SPD könnte sich von der Agenda 2010 und den Grundsätzen ihrer elfjährigen Regierungszeit verabschieden und sich mit der Linkspartei verbünden; nichts davon ist wahr geworden.

Linkspartei links liegengelassen

Die Hartz-IV-Reformen haben ausgerechnet Union und FDP abgemildert, was notwendig war. Die SPD steht zum Afghanistan-Einsatz, die vom früheren Parteichef Franz Müntefering durchgesetzte Rente mit 67 wird zumindest von der Parteiführung nicht in Frage gestellt. Das Verhältnis zur Linkspartei haben Gabriel und die Seinen auf eine für SPD-Verhältnisse überraschend lautlose Weise vorerst geklärt.

In den vergangenen drei Wochen bedeuteten die Sozialdemokraten der Konkurrenz von links, was sie derzeit von ihr halten, nämlich nichts. Erst beendete die NRW-SPD kurz und bündig jedwedes Gerede über ein rot-rot-grünes Bündnis in Düsseldorf. Anschließend verzichtete die SPD-Bundestagsfraktion auf ein Nein zum milliardenschweren Euro-Rettungspaket, auch weil sie im Bundestag nicht so abstimmen wollte wie die Linke. Und in der Causa Bundespräsidentschaftskandidaten wurde die einstige PDS buchstäblich links liegengelassen.

Ihre derzeit mit leicht steigenden Umfragezahlen verbundene kommode Situation haben die Sozialdemokraten allerdings nicht ihrer eigenen Stärke zu verdanken, sondern der Schwäche der Bundesregierung und, wichtiger noch, der Unterstützung von Seiten der Grünen. Der einstige Koalitionspartner, die derzeit attraktivste und lebendigste aller Bundestagsparteien, dient der Gabriel-SPD inzwischen als Kronzeuge, sei es in Düsseldorf, sei es im Bund.

Was die Grünen für richtig befinden, kann nicht verkehrt sein

Was die Grünen für richtig befinden, kann nicht verkehrt sein, weder für die Partei noch das Land, lautet das gegenwärtige sozialdemokratische Mantra. Ohne deren Beistand hätte die Absage an die Linkspartei in Nordrhein-Westfalen mutmaßlich schwere Verwerfungen in der Landespartei ausgelöst. Selbst den Präsidentschaftskandidaten verdankt die SPD indirekt der früheren Öko-Partei; Gauck war einst Mitglied im Bündnis 90, der von Bürgerrechtlern gegründeten grünen Schwesterorganisation aus der sterbenden DDR.

Die SPD borgt sich Kraft von den Grünen. Mehr noch. Sie möchte sie an sich binden, um auf dem Weg zur Bundestagswahl 2013, um sich neben der ungeliebten großen Koalition und einem riskanten rot-roten Bündnis eine dritte Machtoption zu öffnen: eine Ampel mit der FDP. Die Grünen aber werden, das hat sich in Hamburg, im Saarland, aber auch in Thüringen gezeigt, ihren eigenen Koalitionsweg gehen, und das kann durchaus auch gemeinsam mit der Union sein.

Von der SPD werden sie bei Bedarf Zugeständnisse für Bündnistreue fordern. Das könnte schon nächstes Jahr der Fall sein, wenn im Bundesland Berlin gewählt wird. Unter Führung einer Spitzenkandidatin Renate Künast könnten die Grünen in der Hauptstadt zur stärksten Partei werden. Dann muss die SPD beweisen, ob sie ihrerseits Kraft geschöpft hat und trotz ihres Anspruches als Volkspartei den Mut haben wird, Junior in einer grün-roten Koalition zu werden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: