SPD-Parteitag:Für Sigmar Gabriel geht es um alles

German Economy Minister and Leader of the SPD Sigmar Gabriel walks on the podium during party congress in Berlin

Sigmar Gabriel muss widerstrebende Genossen überzeugen.

(Foto: REUTERS)

Die SPD stimmt heute über ihre Haltung zu Ceta ab. Wie Parteitage entscheiden, wenn es Spitz auf Knopf steht - und es um die Zukunft des Chefs geht.

Von Heribert Prantl

Es ging um alles, es ging auch um ihn. Der SPD-Vorsitzende zeigte keine Regung. Sein Bundesgeschäftsführer reichte ihm, es war nachts um eins, nach einer dramatischen Debatte und einer quälend verwirrenden Abstimmungsschlacht, den erlösenden Zettel: Antrag des Parteivorstands knapp genehmigt, Sieg für den Parteichef. Doch der zuckte mit keiner Miene. Erst zwei Stunden später, an der Hotelbar, fiel die Anspannung von ihm ab. Kurz vor Mitternacht hatte er noch die entscheidenden Delegiertenstimmen zusammengekratzt, als er sich höchstpersönlich verpflichtete, für die weiteren Verhandlungen geradezustehen; er garantierte den Delegierten, an den strengen Voraussetzungen und Bedingungen festzuhalten, welche der Parteitag mit dem Projekt verbindet.

Damals ging es nicht um Ceta, nicht um das Freihandelsabkommen der EU mit Kanada und um die Frage, ob und unter welchen Bedingungen die SPD da zustimmt; darum geht es an diesem Montag auf dem SPD-Parteikonvent in Wolfsburg. Damals ging es aber auch um Wichtiges, um Hochumstrittenes: um die Zustimmung der SPD zur Änderung des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung, um die Einführung des großen Lauschangriffs; es ging um das Abhören von Gesprächen ohne Wissen der Beteiligten durch heimlich in Wohnungen angebrachte Wanzen. Damals hieß der Parteivorsitzende Rudolf Scharping (er hatte sich ein paar Monate zuvor in einer Mitgliederabstimmung gegen Gerhard Schröder und Heidemarie Wieczorek-Zeul durchgesetzt), und der Showdown fand statt auf dem Parteitag zu Wiesbaden im November 1993: Thema war das Grundgesetz und die Zukunft des neuen Parteichefs, der die Grundgesetzänderung zur Verbesserung der inneren Sicherheit, wie es hieß, unbedingt wollte.

SPD-Vorsitzende haben schon viel versprochen, um sich in der Partei durchzusetzen

Es wurde engagiert diskutiert; das Parteitagsprotokoll eines eigenen Parteitags-Forums umfasst 90 gedruckte Seiten, das Debattenprotokoll des Plenums des Parteitags umfasst 80 gedruckte Seiten. Das Ganze endete dann, nach vielen Stunden, sehr knapp und gemäß Scharpings Willen für den großen Lauschangriff - unter allerlei Bedingungen und Vorbehalten. Die Bedingungen des SPD-Parteitags aber wurden in den Verhandlungen mit der CDU / CSU nur sehr partiell durchgesetzt.

Lauschangriff mit Scharping: Die Europawahl 1994 wurde trotzdem oder gerade deswegen zum Debakel für die Scharping-SPD, und auch bei der Bundestagswahl gelang es ihm nicht, Helmut Kohl zu stürzen. Der Lauschangriff wurde dann 2004 vom Bundesverfassungsgericht in wesentlichen Teilen für verfassungswidrig erklärt. Die Wichtigkeiten und Wertigkeiten von angeblichen Großthemen verändern sich so - aber erst nachträglich.

Schon ein Jahr zuvor hätte es die SPD in einem anderen Grundsatzstreit fast zerrissen. Beim Sonderparteitag in Bonn im November 1992 stand zur Debatte, ob die SPD der Änderung des Asylgrundrechts zustimmt oder nicht. Da hieß der Vorsitzende Björn Engholm - und auch damals wurden Bedingungen formuliert, ohne die es eine Änderung des Grundrechts auf Asyl nicht geben sollte. Auch damals verbürgte sich der Parteichef für diese Bedingungen; er tat es mit dem seltsam verqueren Satz, er werfe "seine Schädeldecke in den Ring" für die sorgfältige Verwirklichung des Parteitagsbeschlusses. Nach diesen SPD-Vorstellungen lief es dann doch nicht, und das Zuwanderungsgesetz, ein Regelwerk zur Einwanderung, das sich die SPD mit ihrer Zustimmung zur Abschaffung des alten Asylgrundrechts von der CDU erkaufen wollte, kam nicht; die SPD konnte es erst mehr als ein Jahrzehnt später verabschieden, als sie, zusammen mit den Grünen, selber an der Regierung war.

Björn Engholm, der die Grundgesetzänderung in der SPD durchgesetzt hatte, war da schon lang in der Versenkung verschwunden. Im Mai 1993 war er wegen der Schubladenaffäre von seinem Amt als Ministerpräsident von Schleswig-Holstein und allen Parteiämtern zurückgetreten.

2003 gelang es Gerhard Schröder auf dem Sonderparteitag zu Berlin mit einer kämpferischen Rede, die Mehrheit für die Unterstützung seiner Reform-Agenda 2010 zu gewinnen. "Wer versucht, die Realität zu verdrängen, den drängt die Realität beiseite", rief er seinen Genossen zu. Er erhielt eine Mehrheit von achtzig Prozent.

Von einer solchen Mehrheit kann Sigmar Gabriel bei der Ceta-Abstimmung in Wolfsburg nur träumen. Nachdem er bei den Ceta-Verhandlungen schon die privaten Schiedsgerichte wegverhandelt und diese durch einen öffentlich-rechtlichen Investitionsgerichtshof ersetzt hat, verspricht er nun weitere Nachverhandlungen und zieht rote Linien. Damit will er widerstrebende Genossen überzeugen, die - beeindruckt von den Anti-TTIP- und Anti-Ceta-Demonstrationen am Wochenende - nun zur Abstimmung nach Wolfsburg fahren. Gabriel verspricht, dass das jetzige Ceta-Papier noch nicht das endgültige sei. Aber über diesem Versprechen liegen alte Schatten - die Versprechungen seiner Vorgänger.

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