Sozialdemokraten:Die Berliner Luft brennt

Michael Mueller Parteitag SPD Berlin DEU Deutschland Germany Berlin 27 05 2016 Michael Mueller

Raed Saleh (rechts) rechnete in einem Essay mit seiner SPD ab, das wurde als Angriff auf Parteichef Michael Müller verstanden.

(Foto: imago)

Die SPD holte bei der Wahl vor zwei Wochen das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte, dennoch verordnete Parteichef Michael Müller erst mal Harmonie. Viele Genossen wollen dabei nicht mitspielen.

Von JENS SCHNEIDER, Berlin

Es ist, als ob ein Kater nach einer Nacht mit falschen Getränken und peinlichen Momenten nicht verschwinden will. Verstörende Bilder sind auf der Wahlparty der Berliner SPD entstanden, als sie vor knapp zwei Wochen so gerade noch mal davonkam. Sie bleiben hängen: Wie ein siegreicher Gladiator war der Regierende Bürgermeister Michael Müller auf die Bühne gekommen und rief die Genossen zum Feiern auf, "dass die Luft brennt".

Am Ende stand das schlechteste Ergebnis in der Geschichte der Berliner SPD - 21,6 Prozent, ein Einbruch um 6,7 Prozentpunkte. "Das Bild, was da produziert wurde, sendet eine völlig falsche Botschaft", sagt Annika Klose, die Vorsitzende der Jusos in Berlin. "Das geht so nicht." Sie habe wenig später erlebt, wie bei einem parteiinternen Treffen viele um ihren Wahlkreis bangten, einige ihn schon verloren hatten "und sich keiner fühlte, als hätten wir diese Wahl großartig gewonnen".

Und so zählt die Juso-Chefin zu denen, die froh sind, dass die verordnete Harmonie nach dem Desaster aufgebrochen ist, während andere im Parteivorstand von einem Angriff auf den Vorsitzenden Müller sprechen und Schaden für die Partei befürchten. Gemeint ist ein Vorstoß des Fraktionsvorsitzenden Raed Saleh, der in dieser Woche in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel das Debakel seiner Partei mit großer Schärfe analysierte. Die SPD müsse sich radikal erneuern, schrieb Saleh, sie sei "in den vielen Jahren in der Regierungsverantwortung von der Volkspartei zur Staatspartei geworden".

Fraktionschef Saleh wünscht sich ein "reinigendes Gewitter"

Den Essay lasen viele wie eine Abrechnung mit einem einstigen Konkurrenten. Saleh hat sich vor zwei Jahren um die Nachfolge von Klaus Wowereit als Regierungschef beworben. Er verlor deutlich gegen Müller. Als Fraktionschef ist er allerdings unangefochten, wurde mit 91,9 Prozent im Amt bestätigt. Betreibt er nun als bisher zweiter starker Mann der Berliner SPD die Ablösung des Regierungschefs? "Mir geht es nie um Personalfragen, auch mit diesem Essay nicht", sagt Saleh. Aber man könne doch nicht so tun, als sei nichts gewesen: "Nicht mein Essay ist das Problem, sondern die Jubelbilder am Wahlabend, und die 21,6 Prozent." Er wolle die Stimmung in der Partei und in der Stadt ernst nehmen: "Ein Gewitter bereinigt die Luft."

Nun brennt also doch die Luft, nur nicht aus Feierlaune, und es gefällt nicht allen. Am Donnerstagabend beschloss der Parteivorstand, dass die SPD Koalitionsverhandlungen mit Linken und Grünen beginnen will - einstimmig. Anders war das, als es um Salehs Text ging.

Es lief freilich, wie es oft läuft, wenn ein Knall vermieden werden soll. Statt über den Inhalt sei über Stilfragen geklagt worden, berichten Teilnehmer: Dem Fraktionsvorsitzenden werde übel genommen, dass er an die Presse ging, sich aber in den Gremien wenig äußerte - und vor allem, dass er die SPD eine Staatspartei nannte. Er solle mal in den Duden schauen, habe ein Senator Saleh entgegengehalten. Ein Staatssekretär klagte, so ein Text könne die Partei weitere Prozente kosten. Da sei gelacht worden, sagen Teilnehmer, aber nicht vor lauter Fröhlichkeit.

Bei der streitfreudigen Berliner SPD ging es den Beteiligten zufolge freundlicher zu als erwartet. Saleh und Müller mieden eine offene Konfrontation. Der Fraktionschef betont stets, dass er den Regierungschef nicht infrage stellen wolle. Ihm gehe es doch um die Ausrichtung der Partei.

So viel Selbstlosigkeit nimmt ihm die andere Seite nicht ab, auch wenn er die Machtfrage derzeit nicht stellt. Mit seinem Vorstoß hat Saleh ein Zeichen gesetzt. Am Tag danach erinnern Vorstandsmitglieder daran, wie klar er im Wettkampf um die Wowereit-Nachfolge verlor. 60 Prozent der Genossen stimmten für Müller, nur 18 für Saleh - noch stehe dieses Ergebnis.

Müller sagt zu all dem fast nichts. Er verfolgt die Debatten im Vorstand weitgehend kommentarlos. "Er ignorierte Salehs Papier, als hätte es das nicht gegeben", berichtet ein Vorstandsmitglied. "Er will einfach zur Tagesordnung übergehen, redet über die Sondierung." Es müsse gewiss Selbstkritik geben, erklärte Müller nach der Sitzung am Donnerstag und verwies dazu auf ein sechsköpfiges Parteigremium, das die Wahlniederlage mit Hilfe von zwei Politologen aufarbeiten soll.

Mitte Oktober will der Vorstand auf einer Klausur über das Wahldebakel sprechen. Dann wird man mitten in den Koalitionsverhandlungen stecken, und wenn es um eigene Fehler gehen soll, kann das politische Alltagsgeschäft schnell beim Verdrängen helfen. Wer regieren will, dürfe sich nicht mit sich selbst beschäftigen, warnen Müller-Getreue vorsorglich.

Es kommt darauf an, wie viel Langmut die Partei zeigt. Die Juso-Chefin Klose fordert eine konsequente Aufarbeitung. "Es muss jetzt alles auf den Tisch", sagt sie. "Wir können nicht weitermachen wie bisher." Klose erwartet, auch mit Blick auf Michael Müller, dass auch über eigene Fehler gesprochen wird: "Eine ordentliche Portion Selbstkritik würde guttun." So wäre es nach ihrer Auffassung wichtig, wenn auch die Parteispitze offen einräumt, dass beispielsweise zu lange am Sparkurs in Berlin festgehalten worden sei.

Aber auch Saleh solle bei all dem nicht vergessen, dass er fünf Jahre als Fraktionschef dabei war. "Er hat in vielen Punkten recht", sagt sie. "Aber er sollte schon auch seine eigene Verantwortung klarmachen."

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