Sozialdemokraten:Auf Friedensmission im Kulturkampf

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SPD-Chefin Saskia Esken schämt sich wegen des "rückwärtsgewandten Bildes" ihrer Partei. (Foto: Reiner Zensen/imago)

Kanzlerkandidat Olaf Scholz vermittelt im Streit um Identitätspolitik in der SPD. Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, der ihn mit seinen Äußerungen auslöste, sagt, die Mehrheit der Partei sei seiner Meinung.

Von Mike Szymanski, Berlin

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hat sich persönlich in den Streit zwischen der Parteispitze und dem ehemaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse sowie Gesine Schwan, der zweimaligen Kandidatin der SPD für die Bundespräsidentschaft, eingeschaltet. Wie die Süddeutsche Zeitung aus Parteikreisen erfuhr, hatte er in den vergangenen Tagen das Gespräch mit allen Beteiligten gesucht, um die Wogen zu glätten.

Mit Thierse und Schwan hatten sich in den vergangenen Wochen zwei profilierte SPD-Mitglieder kritisch über linke Identitätspolitik, Cancel Culture und den Kulturkampf generell geäußert. Thierse hatte jüngst in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Ansicht vertreten, rechte wie linke Identitätspolitik drohe den Gemeinsinn zu zerstören. Debatten über Rassismus, Kolonialismus und Gender würden heftiger und aggressiver.

Dies löste heftigen Protest etwa bei Aktivistinnen und Aktivisten der Schwulen-, Lesben-, Bi- und Transgender-Szene aus. Die Ko-Vorsitzende Saskia Esken und ihr Stellvertreter, Kevin Kühnert, erklärten daraufhin, sie schämten sich wegen des "rückwärtsgewandten Bildes der SPD", das manche SPD-Mitglieder zeichneten. Namen nannten sie nicht.

Thierse forderte Esken diese Woche auf, ihm öffentlich mitzuteilen, ob sein "Bleiben in der gemeinsamen Partei weiterhin wünschenswert oder eher schädlich" sei.

Dieser Streit hat Scholz alarmiert. Mit seiner Nominierung zum Kanzlerkandidaten im August hatte er von seiner Partei Geschlossenheit eingefordert. Über Monate war es der SPD seither gelungen, Streit jedenfalls nicht öffentlich auszutragen. Am Montag hat die Partei zudem den Entwurf des Wahlprogramms präsentiert, in dem Respekt ein Leitmotiv ist.

"Ohne jeden Zweifel ein verdienstvoller Sozialdemokrat"

Thierse bestätigte der SZ Scholz' Anruf, er sei aber nur einer von vielen gewesen. "Mein Eindruck ist, dass die große Mehrheit in der Partei, aber auch in der Führung der SPD, meiner Meinung ist", sagte Thierse. Ihn beunruhige jedoch, dass sich viele Leute in ihren Zuschriften bei ihm für den Mut bedankten, die Kritik auszusprechen. Esken hat mittlerweile auch mit Thierse telefoniert. Hinterher erklärte sie: "Wolfgang Thierse ist für uns ohne jeden Zweifel ein verdienstvoller Sozialdemokrat, und nichts läge mir ferner als mich von ihm zu distanzieren." Sie sei froh, dass sie den Gesprächsfaden aufgenommen hätten. Ausgeräumt scheint der Konflikt noch nicht zu sein. Das Gespräch soll nächste Woche fortgesetzt werden.

Auch mit Gesine Schwan nahmen Scholz und Esken Kontakt auf. Schwan sagte, sie sei sich mit Scholz "völlig einig", dass Stammwähler und gesellschaftlich-kulturelle Identitäten nicht gegeneinander ausgespielt werden dürften, es gehe beiden ums Zusammenführen. Mit Esken sieht Schwan in den Streitfragen jedoch noch ein "längerfristiges Gesprächsthema".

Im Unterstützerlager um Esken und Kühnert hieß es am Donnerstag, es gehe nicht darum, sich bei Thierse oder Schwan zu entschuldigen. Wer so pointiert in die Debatte ginge wie diese beiden SPD-Mitglieder, der müsse auch die Reaktionen aushalten.

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