Sozialdebatten:Altersarmut in Deutschland nimmt zu

Lesezeit: 3 Min.

Die Forderung nach höheren Renten für Geringverdiener ist populär - aber kaum zu bezahlen. Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Guido Bohsem

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) hat mit seinem Vorschlag einer Sockelrente eine Diskussion über Altersarmut in Deutschland ausgelöst. Wer 35 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt hat, soll nach Rüttgers Überlegungen auf jeden Fall mehr Geld aus seiner Rente bekommen als aus der staatlichen Grundsicherung. Während die Bundesregierung die Initiative ablehnt, gibt es in großen Teilen der SPD und der CDU Sympathien dafür. Im Folgenden Antworten auf die wichtigsten Fragen.

So viel staatliche Rente erhalten die Deutschen. (Foto: SZ-Grafik)

Ist Altersarmut ein aktuelles Problem? Nach allgemeiner Einschätzung nicht. Zwar gibt es viele Senioren, die nur Mini-Bezüge aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen. Unter ihnen sind aber oft auch Menschen, die zunächst eingezahlt, sich aber in ihrem späteren Berufsleben selbständig gemacht haben oder Beamte geworden sind. Im Durchschnitt erhält ein Rentner in Deutschland 806 Euro im Monat, Männer mehr als Frauen.

Wird die Altersarmut steigen? Ja. Sie wird voraussichtlich bereits in den nächsten fünf Jahren deutlich zunehmen, vor allem in Ostdeutschland. Paradox daran ist, dass die durchschnittlichen Renten in den neuen Ländern derzeit noch höher sind als die in der alten Bundesrepublik. Ostdeutsche Männer erhalten zum Beispiel mit 1011 Euro im Monat 55 Euro mehr als westdeutsche. Das liegt daran, dass in der DDR fast jeder sein ganzes Leben lang beschäftigt war. Nach 1990 jedoch wurden in manchen Regionen fast durchgehend 20 Prozent der Menschen arbeitslos und haben damit nur äußerst niedrige Rentenzahlungen zu erwarten. So ergibt sich aus einem Jahr Hartz-IV-Bezug lediglich ein monatlicher Rentenanspruch von 2,19 Euro. Wer also zehn Jahr arbeitslos war, erhält dafür später lediglich eine Rente von 21,90 Euro im Monat.

Ist Arbeitslosigkeit der einzige Grund für die kommende Altersarmut? Nein, auch im Wirtschaftsaufschwung der vergangenen Jahre habe viele Arbeitnehmer nur Jobs gefunden, die schlecht bezahlt sind. Das heißt, sie haben entsprechend nur geringe Beiträge in die Rentenkasse gezahlt, ihr Anspruch ist also niedrig. Nach Aussagen des Arbeitsministeriums kann ein Wachmann, der 45 Jahre lang einen Stundenlohn von 5,20 Euro erhalten hat, nur mit einer Rente von 700 Euro im Monat rechnen. Die SPD sieht daher den Mindestlohn als gutes Mittel gegen Altersarmut. Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt geht einher mit der politisch gewollten Absenkung des Rentenniveaus, das 2030 etwa 20 Prozent niedriger sein wird als heute. Derzeit gibt es allerdings noch keine fundierten Untersuchungen darüber, wie viele Menschen in zehn oder 15 Jahren von Altersarmut betroffen sein werden.

Für wie viele Senioren reicht die Rente derzeit nicht? Ende 2006 lebten 370.500 der über 65-Jährigen von Sozialhilfe, etwa 121.670 Männer und 248.860 Frauen. Sie beziehen die sogenannte Grundsicherung für das Alter. Sie ist keine Rente, sondern eine Hilfeleistung des Staates zur Sicherung des Existenzminimums. Sie wird deshalb auch nicht von der Rentenversicherung bezahlt. Die rot-grüne Koalition hat die Grundsicherung 2003 eingeführt. Die wesentliche Neuerung bestand darin, dass das Vermögen der Kinder nicht mehr angerechnet wird. Alle anderen Einkünfte, etwa die aus der Rentenversicherung, aber auch die Bezüge aus der Riester-Rente senken die Grundsicherung. Die Höhe der Leistung orientiert sich am Bedarf. Das heißt, der Regelsatz beträgt monatlich 347 Euro. Hinzu kommt dann je nach Wohnort ein Zuschuss für die Miete und die Heizung. Im Bundesdurchschnitt betrug die Grundsicherung 660 Euro im Monat.

Passt Rüttgers' Vorschlag in das Rentensystem? Nein, die Sockelrente unterscheidet sich deutlich von den Regeln der Rentenversicherung. Hier gilt das sogenannte Äquivalenzprinzip. Das heißt, die Rente bemisst sich an der Höhe der eingezahlten Beiträge. Wer lange Zeit gearbeitet und nur geringe Beiträge abgeführt hat, kriegt also weniger Rente als einer, der genauso lang gearbeitet, aber mehr eingezahlt hat. Was zählt, ist die Höhe der insgesamt gezahlten Beiträge. Rüttgers' Vorschlag würde dieses Prinzip außer Kraft setzen, weil er die Dauer der Einzahlung höher bewertet. Das führte zu Ungerechtigkeiten: Würde ein Rentner beispielsweise eine Sockelrente von 700 Euro erhalten, hätte er weniger eingezahlt als einer, der 701 Euro aus der regulären Rente bekommt.

Welche Alternativen zur Sockelrente gibt es? Vorschläge gibt es viele. Sie reichen von einer Anhebung der Grundsicherung bis hin zu einer allgemeinen Rentenpflicht. Die Regierung setzt darauf, dass auch immer mehr Geringverdiener freiwillig privat für das Alter vorsorgen. Zudem gibt es Forderungen, die Riester-Rente verpflichtend zu machen.

© SZ vom 22.04.2008/sekr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: