Mehr als 100 Menschen hat die britische Polizei in den vergangenen Tagen bei nationalistischen Krawallen in England und Nordirland festgenommen. Die Randalierer warfen mit Ziegelsteinen, Flaschen und Stühlen auf die Beamten, sie setzten Cafés, Supermärkte und eine Polizeistation in Brand, griffen Moscheen an. Ausschreitungen wurden unter anderem aus London, Hartlepool, Blackpool und Bristol gemeldet. In Belfast gab es gewaltsame Zusammenstöße zwischen einer islamfeindlichen Gruppe und einer Antirassismusdemonstration.
Der Bürgermeister der Liverpool-City-Region, Steve Rotheram, twitterte am Sonntag, nachdem in der Stadt eine Bücherei angezündet worden war: „Das ist kein Protest. Das ist eine Beleidigung für jene Familien, die noch trauern, und für die Überlebenden, die noch damit zu kämpfen haben, die Attacke vom Montag zu begreifen.“
Messerattacke in Southport:17-Jähriger wegen dreifachen Mordes angeklagt
Nach dem Angriff auf Kinder im britischen Southport muss sich der Angeklagte auch wegen versuchten Mordes in zehn Fällen verantworten. In London randalieren Rechtsextreme nach der Tat – mehr als 100 Menschen werden festgenommen.
Fake News trieben die Protestierenden auf die Straße
Die Attacke vom Montag – die Geschichte der jüngsten Krawalle in Großbritannien begann vor einer Woche mit dieser einen Tat und dem einen Tatort, der Stadt Southport an der nordwestlichen Küste Englands. Mittlerweile aber gibt so viele Beteiligte und Schauplätze, dass in vielen Schadensmeldungen nur noch kurz auf den Anlass des Aufruhrs hingewiesen wird – und darauf, dass dieser fabriziert wurde. Fake News trieben die Protestierenden auf die Straße.
Großbritannien wurde am Montag zunächst geschockt von der Meldung, dass ein Mann in Southport auf Kinder eingestochen hatte. Er tötete drei Mädchen im Alter von sechs, sieben und neun Jahren mit einem Messer. Acht weitere Kinder verletzte er schwer, ebenso zwei Frauen, die die Mädchen zu schützen versuchten. Die Kinder hatten an einem Workshop teilgenommen, sie wollten tanzen wie Taylor Swift.
Wenige Stunden später behaupteten Nutzer sozialer Plattformen, die Identität des Täters sei ermittelt worden: Er heiße Ali Al-Shakati, sei Muslim und 17 Jahre alt. Wer den Namen am Montagnachmittag bei Google News eingab, fand diverse Bestätigungen der Meldung, wenn auch nur durch weitgehend unbekannte Quellen.
Der Täter „kam vergangenes Jahr mit dem Boot an“, heißt es etwa im Tweet des X-Nutzers „Europe Invasion“. Der wirkmächtige Influencer Andrew Tate, gegen den unter anderem wegen Menschenhandels und Vergewaltigung ermittelt wird, schrieb auf X: „Ein illegaler Migrant kam vor einem Monat in einem Boot an. Dann entschied er sich, auf Kinder einzustechen.“
Das Thema Flüchtlinge ist politisch stark aufgeladen
Der Täter sei also einer jener Flüchtlinge, die mit Schlauchbooten vom europäischen Festland aus über den Ärmelkanal an den Küsten Englands landeten. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres waren das mehr als 13 000 Menschen. Das Thema ist politisch stark aufgeladen. Eine Umfrage in England und Wales im Januar ergab, dass 42 Prozent der Bürger sich wünschten, die angekommenen Flüchtlinge würden des Landes verwiesen, sofort und ohne die Möglichkeit, dagegen juristisch vorzugehen. Der damalige Premierminister Rishi Sunak warb mit dem Slogan „Stop the Boats“ für eine härtere Asylpolitik, Nachfolger Keir Starmer sagte den Schleusern den Kampf an.
Dass der Täter in Southport ein Bootsflüchtling sei, wurde noch am Montag von der Polizei dementiert. Weder gebe es Hinweise darauf, dass die Religion des Täters bei dem Verbrechen eine Rolle gespielt habe, noch gehe man von einem terroristischen Hintergrund aus. Der Jugendliche wurde vor 17 Jahren in Cardiff geboren, seine Eltern waren aus Ruanda nach Wales eingewandert.
Die Mobilisierung der Proteste konnte durch die Richtigstellung nicht gestoppt werden. Der rechtspopulistische Politiker Nigel Farage spekulierte vielmehr am Dienstag, dass die Behörden die „Wahrheit vor uns zurückhalten“ würden. Am selben Tag begannen die Proteste, zunächst in Southport, später in weiteren Städten. Am Wochenende skandierten Randalierer in Hull vor einem Hotel, in dem Asylsuchende leben, immer wieder „Stop the Boats“.
Keir Starmer kündigte ein hartes Vorgehen gegen die Rechtsextremisten an
Premierminister Keir Starmer gab der Polizei „volle Rückendeckung“, um zu tun, was immer auch nötig sei, um den „Hass säenden Extremisten“ zu begegnen. Diana Johnson, in Starmers Regierung zuständig für Kriminalitätsbekämpfung, wies die zuständigen Gerichte an, rund um die Uhr zu arbeiten, um Strafen gegen die Festgenommenen rasch auszusprechen, „nick them quick“.
Johnson kündigte auch Gespräche mit den Betreibern von sozialen Netzwerken an. „Offenkundig müssen wir mehr unternehmen“, sagte sie. Die Falschbehauptungen von Tate und „Europe Invasion“ indes waren am Sonntagnachmittag noch auf X zu lesen, auch wurden sie nicht mit einer Richtigstellung versehen. Beide Beiträge wurden mittlerweile jeweils mehr als 1,2 Millionen Nutzern angezeigt.