Süddeutsche Zeitung

Sousse nach dem Terroranschlag:Vertreibung aus dem Paradies

Alle stehen nach dem Anschlag von Sousse unter Schock: Die Touristen wollen das Land schnellstmöglich verlassen. Die Tunesier hingegen sind schon wieder im Dienst. Nur die Gäste sind nicht mehr da.

Von Thierry Backes, Sousse

Die Fahnen vor dem Riu Hotel Impérial Marhaba wehen nicht auf Halbmast, es hat vermutlich noch keiner die Zeit gehabt, sich darum zu kümmern. Wie auch? Die Security-Mitarbeiter, die gestern noch zuschauen mussten, wie der 24 Jahre alte Seifeddin R. 39 Menschen niedermäht und viele weitere verletzt, sind heute schon wieder im Dienst. Sie sitzen im Empfangshäuschen vor dem Fünf-Sterne-Hotel in Port El Kantaoui ein paar Kilometer nördlich von Sousse und bewachen das Metalltor, das die Luxus-Herberge abschirmt.

Einer von ihnen ist Mohsen Rabhi, und es ist nicht leicht, ihm zuzuhören, wenn er von dem erzählt, was er am Freitag erlebt hat: "Ich stand am Hoteleingang, als ich die ersten Schüsse hörte. Ich sah, wie Touristen wegrannten und dann, wie er auf sie schoss." Panik dann, als der Terrorist auf einmal vor ihm stand und ihm gesagt habe: "Ich werde dir nichts tun. Geh mir aus dem Weg." Der Terrorist habe es wohl auf Touristen abgesehen, nicht auf Tunesier. Rabhi flüchtete vor das Hotel, jetzt steht er wieder genau an der Stelle, direkt neben dem Eingangstor und zeigt mit der Hand auf die Flecken auf dem Boden. "Da lag jemand, und dahinten auch."

Hotel-Security ohne Waffen

Es gibt viele Berichte wie diesen zu hören am Tag nach dem Anschlag, und wenn ihnen eines gemein ist, dann, dass der Terrorist im ganzen Hotelkomplex gewütet hat. Auch deswegen warten jetzt Dutzende Journalisten auf Einlass, um mehr zu erfahren. Zohra Driss, die Hotel-Besitzerin und Parlamentarierin in Personalunion ist, hat die Presse am Nachmittag in einen eigentlich für feierliche Zwecke gebauten Konferenzraum neben dem Hotel geladen, vielleicht auch, damit sie keine Spuren von dem sehen, was im Innern passiert ist. "Wir erleben heute leider einen Tag der Trauer", sagt Driss und verbindet das mit einer Botschaft, die das Land trösten soll: "Der Täter wollte Tunesien erlegen, aber er hat nur unseren Willen gestärkt, für die Freiheit zu kämpfen."

Zur Tat selbst ist von ihr nicht mehr zu erfahren. Auch nicht zu der Frage, die viele in Tunesien heute beschäftigt: Warum hat die hoteleigene Security R. nicht stoppen können? "Wie stellen Sie sich das denn vor?", raunzt Driss einen Fragesteller an. "Die Kollegen haben keine Waffen. Was sollen sie tun gegen einen Typen, der eine Kalaschnikow in der Hand hält?" Und überhaupt: Was wäre das denn noch für ein Urlaub, wo der Urlauber am Strand mit Maschinengewehren bewacht werden muss?

Hinter dem Hotel beginnt eben jener Strand, an dem R. die ersten Touristen erschossen hat. Am Tag danach liegen hier rote und weiße Blumen und ein paar Zettel mit den Wörtern "Why? Warum?" Ein einfaches Absperrband in Schwarz-Gelb sperrt den geräumten und von Blut gereinigten Tatort ab, mehr nicht. Ein Familienvater hüpft darunter hindurch und lässt sich mit seiner Tochter fotografieren, in der Hand ein Zettel, auf dem auf Arabisch steht: "Je suis Sousse."

Ingo und Katja Mayer aus dem Hunsrück spazieren durch die Abendsonne über den Strand an dem Hotel vorbei, im Hintergrund patrouilliert ein Polizeiboot. "Unsere Hochzeitsreise", sagt Katja, doch sie sieht nicht aus wie jemand, der das gerade sehr genießt. Das junge Paar übernachtet in dem Hotel direkt neben dem Impérial Marhaba.

Von dem Anschlag haben sie zunächst nichts mitbekommen, sie waren mit einer Gruppe im Stadtzentrum von Sousse; und als sie dann davon hörten, wollten sie nur noch eines: weg. "Man fühlt sich hier einfach nicht mehr sicher", sagt Katja und erzählt, sie und ihr Mann wären gerne sofort abgereist. Die TUI aber, ihre Reiseveranstalter, habe nicht alle gleichzeitig ausfliegen können, man habe sie vertröstet. Jetzt steigen sie erst am Sonntagmorgen in eine Maschine nach Frankfurt.

Andere sind da schon lange zuhause - dort, wo vorher Hunderte am Strand lagen, sind jetzt die Strände verwaist. Auf dem Flughafen Hammamet zum Beispiel haben sich am Samstag lange Schlangen gebildet. Die Briten, die Belgier, sie haben ihre Landsleute schon in der Nacht und generell so schnell wie möglich ausgeflogen.

Für Tunesien ist das ein harter Schlag, der zweite harte Schlag in dieser Saison nach dem Attentat auf das Bardo-Museum in Tunis Ende März. Der Tourismus ernährt hier mehrere Hunderttausend Menschen, alleine 2014 besuchten sechs Millionen das Land. 2015 aber droht der Absturz. "Wir hatten nach Bardo nur mehr 70 Prozent der Gäste vom Vorjahr", sagt ein Fahrer in Tunis, der sich nun freut, wenigstens deutsche Journalisten nach Sousse kutschieren zu dürfen. Doch eigentlich ist er wütend, wie auch der Radiomoderator von RTCI, der sagt: "Das Attentat ist eine Schande für unser Land. Wir müssen den Krieg gegen den Terrorismus noch viel intensiver führen."

In Port El Kantaoui, zehn Kilometer nördlich von Sousse, merkt man davon am Samstag noch nicht viel. Ein paar Straßensperren, ja, und ein paar geschlossene Tore vor den Hotels, nichts Ungewöhnliches. Der 24-jährige Jonas Helmstedt und die zwei Jahre jüngere Kathrin Jung sind nach dem Anschlag trotzdem geblieben, sie haben ohnehin nur ein paar Tage gebucht und wohnen ein paar Kilometer vom Tatort entfernt. Mulmig sei ihnen schon, sagen sie, "aber wir haben eigentlich keine Angst". Für Tunesien ist das am Samstag eine gute Nachricht.

Mitarbeit: Marwa Abayed

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