Belarus:Zu Besuch bei seinem letzten Freund

Russlands Präsident Putin und sein belarussischer Kollege Lukaschenko beim Skifahren in Sotschi im Februar 2019.

Gemeinsam über den Dingen schwebend: Russlands Präsident Putin und sein belarussischer Kollege Lukaschenko (r.) beim Skifahren in Sotschi im Februar 2019.

(Foto: Sergei Chirikov/AFP)

Der belarussische Machthaber reist nach Russland, wo ihm Wladimir Putin seine Unterstützung zusichert. Belarus wird noch abhängiger vom Kreml.

Von Silke Bigalke, Moskau

Am Freitag ist Alexander Lukaschenko in sein Flugzeug gestiegen und ins russische Sotschi geflogen. Nichts Ungewöhnliches so weit, der belarussische Machthaber trifft Wladimir Putin allein in diesem Jahr schon zum dritten Mal. Sicher war sein Flug am Freitag aber einsamer als gewöhnlich: Der Himmel über Belarus ist leerer, seit Lukaschenko vergangenen Sonntag eine Ryanair-Maschine zur Landung zwang.

Europäische Fluggesellschaften meiden das Land und die staatliche Fluglinie Belavia darf nicht mehr in die EU-Staaten fliegen. Minsk drohen zudem noch weitere Sanktionen. In Sotschi beklagte Lukaschenko nun den Druck des Westens, Belavia würde bestraft, obwohl sie nichts mit dem Vorfall zu tun habe. Putin stimmte ihm zu, bei der Reaktion des Westens handle es sich um "einen emotionalen Ausbruch". Der Besuch in Sotschi war schon länger geplant; für Lukaschenko bekam er nun eine neue Dringlichkeit: Der belarussische Machthaber musste sich vergewissern, dass Putin weiterhin hinter ihm steht. Dieser betonte bei dem Besuch nun mehrfach, dass er Lukaschenko in der Konfrontation mit dem Westen unterstütze - und lud den Amtskollegen an der Schwarzmeerküste zum Baden ein.

In Sotschi sollte es laut Kremlsprecher Dmitrij Peskow auch um Sofia Sapega gehen. So heißt die Freundin des Bloggers Roman Protassewitsch, beide saßen an Bord der Maschine, beide wurden in Minsk festgenommen. Sofia Sapega ist anders als Protassewitsch russische Staatsbürgerin, sie studiert in Vilnius. Auch von ihr veröffentlichten die Behörden ein offenbar erzwungenes Geständnis auf Video. Sie schafft es kaum, in die Kamera schauen, während sie durch den Text hetzt.

Die 23-Jährige gesteht, Redakteurin eines Telegram-Kanals zu sein, der Namen und andere Daten von Mitgliedern des belarussischen Sicherheitsapparats veröffentlicht. Ihr wird Anstiftung zum Hass und, laut der russischen Zeitung Nowaja Gaseta, zudem das Organisieren von Massenprotesten vorgeworfen. Damit drohen ihr zwölf oder 15 Jahre Haft. Dabei sei sie während der Proteste gar nicht im Land gewesen, politisch nicht engagiert, sagte ihre Mutter mehreren Medien. Sie habe einen Appell an Wladimir Putin geschrieben, sich für ihre Tochter einzusetzen.

Auf die Flugzeugentführung reagierte Moskau eher verhalten

Fraglich, ob er das tat. Kremlsprecher Peskow blieb vage, natürlich werde man die Rechte russischer Bürger schützen. Aber wegen der "besonderen" Beziehungen zwischen Russland und Belarus sei das auf verschiedene Weise möglich. Außerdem gebe es ja ein Geständnis.

In Moskau fiel die Reaktion auf die Flugzeugentführung insgesamt recht gedämpft aus. Man solle die Situation "nicht vorschnell" bewerten, sagte Außenminister Sergej Lawrow am Tag darauf, nannte den belarussischen Ansatz "absolut vernünftig". Die Frage, inwieweit Moskau Lukaschenkos Manöver abgenickt, ihm dabei geholfen oder gar nichts davon gewusst haben könnte, lässt sich nicht klären, die Einschätzungen der Experten gehen auseinander.

Russland unterstützt nach eigenen Angaben eine internationale Untersuchung. In den ersten Darstellungen Lukaschenkos, er habe wegen einer Bombendrohung aus der Schweiz gehandelt, gab es Widersprüche. Die Ryanair-Maschine war nämlich noch vor Eingang der Drohung umgeleitet worden, wie der E-Mail-Dienst Protonmail am Freitag in Genf bestätigte. Von einem Server dieses Dienstes war die angebliche Warnung versendet worden.

Welche internationalen Folgen das Manöver haben würde, das habe Minsk wahrscheinlich nicht vorausgesehen, schreibt der belarussische Politikexperte Artjom Schrajbman für das Moskauer Carnegie Center. "Das Regime ist im Überlebensmodus, das hat seinen Tunnelblick verstärkt." Alle Energie fokussiere es auf eine Sache: "seine Feinde zu neutralisieren".

Lukaschenko isoliert sich dadurch immer stärker, ist als Folge immer dringender auf Moskau angewiesen. Und Putin unterstützt ihn. Der Handel zwischen beiden Ländern habe zugenommen, "das ist eine gute Tendenz", sagte Putin nun in Sotschi. Ohne finanzielle Hilfe aus Russland wäre es Lukaschenko längst unmöglich, seinen gewaltigen Unterdrückungsapparat zu erhalten. Dieser bleibt vermutlich auch deswegen so loyal, weil der Kreml sich klar hinter Lukaschenko stellt. Das Militär übt öfter gemeinsam, die Geheimdienste beider Länder arbeiten demonstrativ zusammen. Im April beispielsweise verhaftete der russische Geheimdienst FSB zwei Oppositionelle in Moskau. Sie sollen einen angeblich vom Westen gestützten Anschlag auf Lukaschenko geplant haben.

"Wir sind ein Versuchsgelände"

Lukaschenko verkauft sich Moskau dafür als letzter Puffer zwischen dem Kreml und einem feindlich gesinnten Westen. Kräfte, die ihm Böses wollten, hätten erst Proteste organisiert, jetzt würden sie zu einer Würgetaktik übergehen, sagte Lukaschenko am Mittwoch, offenbar in Reaktion auf den Flug-Boykott. "Wir sind ein Versuchsgelände für sie, bevor sie weiter nach Osten vordringen", sagte der Machthaber. Lukaschenkos Nachricht an Putin sei, so Schrajbman, "dass es niemals einen stärker antiwestlich eingestellten belarussischen Führer geben wird, also sollte er ihn wertschätzen".

Der Nutzen für Putin könnte in dem Moment kippen, in dem er sich wieder mehr Entspannung mit dem Westen wünscht. Am 16. Juni trifft er sich mit US-Präsident Joe Biden in Genf, der nannte die erzwungene Flugzeuglandung in Minsk "ungeheuerlich".

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