Europawahl:"Wir sind die neuen Grünen"

Die PARTEI startet in den EU-Wahlkampf

Kommen ins EU-Parlament: Martin Sonneborn und Nico Semsrott.

(Foto: dpa)

Die "Partei" des Satirikers Martin Sonneborn stellt nun zwei Sitze im Europa-Parlament und sieht sich als "angehende Volkspartei". Aber das heißt gar nichts.

Von Michael Bauchmüller und Daniel Brössler, Berlin

Kurz nach sechs hat sich eine Traube vor dem "SO 36" gebildet, einem Szeneklub in Kreuzberg. Martin Sonneborn steht am Rande und schaut zu. "Darf ich ein Foto von Ihnen machen?", fragt ein mittelalter Mann, "ich hab' Sie gewählt." Sonneborn, trocken: "Damit haben Sie das Anrecht." So geht das ständig.

898 386 Menschen haben Sonneborns "Die Partei" am Sonntag ihre Stimme gegeben - fast fünfmal so viele wie 2014. Einer Partei, die Satire zum Programm macht, die eine deutsche Atombombe fordert ("Damit wir sie als erste gefordert haben. Smiley"), die "Letztwählern" für die letzten 18 Lebensjahre das Wahlrecht und Klimaleugnern den Führerschein entziehen will. Sonneborn saß schon im bisherigen EU-Parlament. Sein Kompagnon, der Kabarettist Nico Semsrott, nennt sich "hoffnungslos" und wirkt auch so in seinem schwarzen Kapuzenpulli. Er zieht ebenfalls ins Parlament ein.

Zwei Sitze hat die Partei jetzt. Die meisten derer, die am Sonntag in den Kreuzberger Club wollen, haben die beiden gewählt. Es sind viele. Gut 200 Meter lang ist die Schlange, sie kommt nur zäh voran. Angesichts der Zuwachszahlen, sagt Sonneborn, "glaube ich schon, dass wir die angehende Volkspartei sind", mit Betonung auf "die". Schließlich verlören die großen Volksparteien schon "rein mortal". "Wir wissen, dass uns die biologische Lösung in die Hände spielt", doziert Sonneborn. Seine Gleichung geht so: "Die SPD ist tot, die Grünen sind die neue SPD, und wir sind die neuen Grünen." Im Unterschied zu den Grünen wolle "Die Partei" zwei Jahre länger an ihren Prinzipien festhalten.

Welche das sind, lässt sich aus Sonneborns Tätigkeit aber schwer ableiten. Man kann sich zum Beispiel fragen, was Sonneborn gegen den russischen Oppositionellen Alexej Nawalny hat. Zusammen etwa mit dem NPD-Mann Udo Voigt stimmte er 2017 im Europäischen Parlament gegen eine Resolution, in der die Freilassung Nawalnys aus russischer Haft gefordert wurde. Oder gegen Ukrainer: Ihnen wollte er in einer Abstimmung die Visafreiheit vorenthalten. Oder gegen Schwule. Im Parlament stimmte Sonneborn gegen ein Verbot von "Konversionstherapien", die Homosexualität "heilen" sollen. Tatsächlich sind Sonneborn Nawalny, Ukrainer oder Schwule so egal wie das meiste andere, worüber im Parlament abgestimmt wird. Er hat es sich nach eigener Auskunft zur Regel gemacht, abwechselnd mit Ja und Nein zu stimmen. Schuld ist also im Zweifel der Zufall.

Von Sonneborns erster Zeit im EU-Parlament bleiben ansonsten eine Reihe auf Youtube gerne geklickter Kurzauftritte im Plenum. Etwa jener, als er im vergangenen November Bundeskanzlerin Angela Merkel aufforderte, Deutschland "besenrein" zu übergeben. Allerdings gab es auch Themen, denen sich Sonneborn mit großem Ernst widmete. Eine Zeit lang bemühte er sich intensiv um politische Bündnispartner, betrieb engagierte Sacharbeit und wirkte besorgt. Da kämpfte er gegen Versuche unter anderem der Bundesregierung, eine EU-weite Prozenthürde bei Europawahlen einzuführen. Die Gefahr konnte erst einmal gebannt werden. Mit mühsamer Arbeit an Gesetzestexten belastete sich Sonneborn ansonsten kaum.

Seine Anhänger scheint das nicht zu stören, er posiert für Selfie um Selfie, jedes Mal lehnt er sich leicht zurück und zeigt mit dem Finger auf seinen Fan. Seine Parteimitglieder will er demnächst "qua Befehl" dazu verdonnern, weniger zu arbeiten, um so das Wirtschaftswachstum zu senken. Aber für das Parlament dürfe das natürlich nicht gelten. Da werde er arbeiten wie eh und je, sagt er. Also mäßig.

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