Thüringen:"Das ist nicht nur ein Denkzettel, sondern eine volle Breitseite"

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Ein Wahllokal im Landkreis Sonneberg. (Foto: Jacob Schröter/Imago)

Nach dem Sieg des AfD-Kandidaten im Rennen um das Amt des Landrats in Sonneberg ist die Bestürzung groß. Die Suche nach der Mitverantwortung läuft. Reaktionen im Überblick.

Im Landkreis Sonneberg in Südthüringen hat der AfD-Kandidat Robert Sesselmann am Sonntag die Stichwahl um das Amt des Landrats gegen CDU-Kandidat Jürgen Köpper gewonnen. Es ist das erste kommunale Spitzenamt für die Rechtspartei bundesweit.

Die CDU-Kreisvorsitzende von Sonneberg, Beate Meißner, macht die Bundes-CDU für die Niederlage des Unionskandidaten verantwortlich. "Das ist nicht nur ein Denkzettel, sondern eine volle Breitseite - aber nicht gegen den CDU-Kreisverband Sonneberg, sondern gegen die CDU auf Bundesebene", sagte Meißner der Deutschen Presse-Agentur. Ihr Kreisverband habe "alles gegeben". Vom Ausgang der Stichwahl sei sie enttäuscht und schockiert. Dennoch freue sie sich über die gestiegene Wahlbeteiligung. "Das ist Demokratie", sagte sie. Die Wahlbeteiligung lag mit 59,6 Prozent etwa zehn Prozentpunkte höher als noch in der ersten Wahlrunde am 11. Juni.

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Die Spitzen von Linken und Grünen in Thüringen zeigen sich entsetzt über das Ergebnis. Auch sie machen die CDU mitverantwortlich. Die Wahl sei ein Beweis dafür, "dass es sich für demokratische Parteien nicht lohnt, zu versuchen, rechts außen zu überholen", sagte die Landesvorsitzende der Linken, Ulrike Grosse-Röthig, am Sonntag in Erfurt. Genau das habe die CDU aber in den vergangenen Wochen versucht. Die Grünen-Landessprecherin Ann-Sophie Bohm sagte: "Das Ergebnis entsetzt mich." Dass Menschen offenkundig unzufrieden mit politischen Entscheidungen seien, sei noch lange kein Grund, "den Kandidaten einer rechtsextremen Partei zu wählen". Die Thüringer AfD wird vom Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextrem eingestuft.

Thüringens SPD-Chef und Innenminister Georg Maier sieht einen Grund für den AfD-Wahlerfolg in Sonneberg auch in den instabilen politischen Verhältnissen im Freistaat. "Die Dysfunktionalität unseres Parlaments ist für das Wahlergebnis ganz sicher mitverantwortlich", sagte Maier der Deutschen Presse-Agentur. Bei vielen Themen, die die Menschen bewegten, gebe es zu wenig erkennbare Fortschritte, weil die rot-rot-grüne Minderheitsregierung ständig auf die Zustimmung der CDU angewiesen sei. "Wir drehen uns wirklich teilweise im Kreis."

Mit Zurückhaltung reagiert der Coburger Oberbürgermeister Dominik Sauerteig (SPD) auf den Sieg der AfD im benachbarten Kreis Sonneberg. "Ich bin der Meinung, dass es mir als Oberbürgermeister der Stadt Coburg nicht zusteht, die mehrheitliche Entscheidung des Souveräns, nämlich der Bürger des Landkreises Sonneberg, negativ zu kommentieren oder gar die Wähler zu schelten", schrieb Sauerteig am Sonntagabend auf seiner Facebook-Seite. Bei den gemeinsamen Fragestellungen der Stadt Coburg und dem Landkreis Sonneberg "werde ich in Verantwortung für die Bürger der Region Herrn Sesselmann ganz konkret in die Pflicht nehmen", betonte Sauerteig weiter. "Kommunalpolitik und das konkrete Lösen von Aufgabenstellungen in der Praxis vor Ort funktioniert nämlich nicht mit einem ausschließlichen Kurs des Dagegenseins und des Zeigens auf Berlin oder Erfurt."

Vertreter von Judentum und Wissenschaft äußerten sich besorgt über das Wahlergebnis. Die Wählerinnen und Wähler der AfD im Kreis Sonneberg haben nach Worten der früheren Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, "mit demokratischen Mitteln" ein Ausrufezeichen gegen die Demokratie gesetzt. Sie spreche heute nicht mehr von einem Dammbruch, das würde das Wort entwerten, teilte Knobloch mit: "Die Gefahr für die jüdische Gemeinschaft und andere Minderheiten ist längst real." Viele trügen eine Mitverantwortung für dieses Ergebnis, sagte Knobloch weiter. "Aber allen voran haben die Menschen vor Ort an der Wahlurne diese gefährliche Entscheidung getroffen."

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Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, unterstrich, nicht jeder AfD-Wähler habe eine rechtsextreme Gesinnung. "Aber die Partei, deren Kandidaten sie gewählt haben, ist laut Landesverfassungsschutz rechtsextrem" und die Wahl eines AfD-Kandidaten in ein exekutives Amt erschüttere ihn. Das Internationale Auschwitz Komitee sprach von einem "traurige(n) Tag für den Landkreis Sonneberg, für Deutschland und für die Demokratie".

Extremismusforscher Matthias Quent sprach gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) von einem symbolischen Wert des Wahlsiegs von bundesweiter Bedeutung: "Die realen Gestaltungsmöglichkeiten eines Landrats in einem Kreis mit 54 000 Einwohnern sind begrenzt, aber dieser Wahlsieg gibt der AfD eine zentrale Position für den Angriff auf die Landes- und Bundespolitik." Sesselmanns Wahl sei eine "Bestätigung für den rechtsextremen Radikalisierungskurs von Björn Höcke. Sie ist zudem ein Ausgangspunkt für eine nun höchstwahrscheinlich folgende Normalisierung und Legitimierung einer Zusammenarbeit zwischen AfD und CDU", so der aus Thüringen stammende Forscher.

Die aus Thüringen stammende Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt sagte dem RND: "Die AfD hat ein erklärtes Ziel, sie möchte unserer Demokratie Schaden zufügen." Die Wahl dürfe nicht als Protestwahl abgestempelt werden. "Ich bin überzeugt, dass die Menschen die AfD nicht trotz ihrer Positionen wählen, sondern genau wegen dieser Haltungen." Alle demokratischen Parteien seien in der Verantwortung, nicht weiter zu einer Normalisierung beizutragen. "Wer rhetorisch rechts blinkt, darf sich nicht wundern, wenn die Menschen bei Wahlen auch tatsächlich rechts abbiegen", so Göring-Eckardt.

Der Parteivorsitzende der Linken, Martin Schirdewan, bezeichnete das Wahlergebnis als "Alarmsignal für die Demokratie". "Wir müssen jetzt ganz genau darüber nachdenken, wie man Demokratie stärken kann an dieser Stelle", sagte Schirdewan am Montag im ZDF-"Morgenmagazin". Dabei gehe es auch darum, wie die Erfahrung der Ostdeutschen jetzt wieder in die politische Debatte eingespeist werden könne, so dass sie sich "eben nicht frustriert der AfD zuwenden, sondern demokratischen Parteien."

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