Süddeutsche Zeitung

Sondierungsgespräche:Wo SPD und Union miteinander können - und wo nicht

Lesezeit: 5 min

Die SPD kann sich eine große Koalition jetzt doch wieder vorstellen. Etliche ihrer Forderungen gehen allerdings an die Schmerzgrenze von CDU und CSU.

Von Markus C. Schulte von Drach und Cerstin Gammelin

Trotz aller Vorbehalte, die unter den Sozialdemokraten gegen eine weitere große Koalition herrschen, wird die Partei mit der Union über diese Möglichkeit sprechen. Parteichef Martin Schulz kündigte an, dem Parteivorstand vorzuschlagen, "auf der Grundlage unseres Parteitagsbeschlusses Sondierungsgespräche mit den Unionsparteien aufzunehmen".

Es gibt aber etliche Themen, die Schulz zufolge die Kernsubstanz sozialdemokratischer Programmatik darstellen, weshalb hier ein "Maximum" durchgesetzt werden müsse. Wie weit liegen die Parteien auseinander - und wie eng beieinander?

Die schwarze Null

Das Markenzeichen der unionsgeführten großen Koalition der vergangenen vier Jahre war die schwarze Null, also ein Haushalt, der ohne zusätzliche Schulden auskommt. Das Wunder gelang ohne großes Zutun der Regierung: Verantwortlich waren niedrige Rohstoffpreise, Niedrigzinsen, gute Konjunktur, Rekordzahlen bei Jobs und Steuereinnahmen. Für CSU und CDU ist die schwarze Null eine Bedingung für jede künftige Koalition. Die SPD hat zwar gerne gegen die schwarze Null gekeilt. Sie trägt sie aber grundsätzlich mit. Einigungschancen: sehr gut

Steuern und Soli

Es ist so viel Geld in der Haushaltskasse übrig wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Union und SPD sind sich einig, die Steuerzahler zu entlasten. Rund 15 Milliarden Euro Steuersenkung hatte die Union im Wahlkampf versprochen, so viel wie die SPD. Die Sozialdemokraten wollen Bürger mit kleineren und mittleren Einkommen, Familien mit Kindern und Alleinerziehende entlasten. Bei den Zuzahlungen fordert die SPD ein nach Einkommen und Kinderzahl gestaffeltes Kindergeld. Die Union dagegen möchte das Kindergeld und die Steuerfreibeträge erhöhen. Während die SPD das Ehegattensplitting durch einen Familientarif ersetzen will, beharrt die Union auf der jetzigen Regelung.

Beide Parteien sind sich darin einig, dass der Soli-Zuschlag in Zukunft abgebaut werden soll - die SPD fordert das möglichst bald für Gering- und Mittelverdiener, die Union aber für alle gleichermaßen.

Die von der SPD geforderten Maßnahmen will die Partei etwa durch einen höheren Spitzensteuersatz und stärkere Besteuerung von Vermögen gegenfinanzieren. Das schließt die Union aus. Die SPD will darüber hinaus Steuerhinterziehung und Steuervermeidung stärker bekämpfen. Mit dem einen oder anderen Kniff könnte es in diesen Bereichen Kompromisse geben: Etwa wenn der Soli, wenigstens teilweise, in den Steuertarif integriert wird.

Rente

Geht es nach der SPD, so soll das Rentenniveau bis 2030 auf 48 Prozent des Durchschnittslohns stabilisiert werden. Im Programm steht auch eine Solidarrente für Geringverdiener, um Altersarmut zu verhindern. Die Union sieht das anders. Sie will bislang nur eine Rentenkommission einrichten. Die Solidarrente hält sie für nicht finanzierbar. Dafür wünscht sich die CSU eine Mütterrente. Die Verhandlungen dürften schwierig werden - aber bisher haben die Parteien sich hier noch immer geeinigt.

Gesundheit: Bürgerversicherung

Alle Menschen sollen der SPD zufolge auf die gleiche Weise versichert werden - das bedeutet: Einführung einer paritätisch finanzierten Bürgerversicherung. Die Beiträge müssten Arbeitgeber und Arbeitnehmer in gleichem Maße zahlen. Einzahlen müssten hier auch Beamte und wohlhabende Bürger, die bisher meist privat versichert sind. Aus der CDU gibt es heftigen Widerstand. So warnte etwa Julia Klöckner, stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU, die Abschaffung der privaten Krankenversicherung würde für alle Versicherten teurer. Die Verhandlungen werden schwierig, es geht ans Grundsätzliche.

Arbeit und Mindestlohn

Unionsparteien und SPD sind sich darin einig, dass Langzeitarbeitslosen eine staatlich geförderte Beschäftigung ermöglicht werden soll - die Frage ist nur, wie. Der Mindestlohn soll, geht es nach der SPD, erhöht werden. Die Union will lediglich den Zugang zum Mindestlohn vereinfachen. Eine Einigung dürfte hier schwierig werden, ist aber nicht unmöglich.

Mietpreisbremse

Die SPD will den sozialen Wohnungsbau ausweiten und die hohen Mieten in Großstädten so bekämpfen. Da die Mietpreisbremse bislang kaum gewirkt hat, fordern die Sozialdemokraten ein neues Recht, das die Mieter stärken soll. Die Union will sowohl den öffentlichen Wohnungsbau fördern als auch den privaten. Sie will etwa ein Baukindergeld für jedes Kind. Ein Kompromiss ist denkbar.

Kooperationsverbot und Bildung

Die SPD fordert ein großes Bildungspaket und will das Kooperationsverbot von Bund und Ländern abschaffen. Bildung soll bis zur Universität nichts kosten. Eine weitere Lockerung des Kooperationsverbots zwischen Bund und Ländern in der Bildung, der Umgang mit prekärer Beschäftigung sowie Leih- und Zeitarbeit, die Finanzierung von mehr Investitionen in die Infrastruktur und den sozialen Wohnungsbau gelten als "Knackpunkte" eines Koalitionsvertrages. Dagegen ist erheblicher Widerstand aus den Ländern zu erwarten - auch aus solchen, in denen die SPD die Ministerpräsidenten stellt, vor allem aber aus der CSU. Die Einigungschance beim Kooperationsverbot ist schlecht, sonst sieht es bei der Bildung besser aus.

Europa

Die Europapolitik in Deutschland war bisher dadurch gekennzeichnet, nicht erklärt zu werden. CDU/CSU beließen es im Wahlkampf bei dem Bekenntnis zur Gestaltung der EU, in den bevorstehenden Gesprächen wird sie nun sagen müssen, wie diese aussehen soll. Es gilt bereits als Zugeständnis, dass die Bitte von CDU-Chefin Angela Merkel erhört wurde, nicht direkt die Vorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zur Reform der EU abzulehnen. Die SPD unterstützt Macrons Idee, wonach Europa von der Handelspolitik bis zur Friedenssicherung geeint und stark in der Welt auftreten soll.

Die Wirtschafts- und Währungsunion soll weiterentwickelt werden. "Ich werde größten Wert auf die Europapolitik in einer Regierung legen", sagte SPD-Chef Schulz, früher Europaparlamentspräsident. Es sei darüber zu reden, ob es einen Euro-Finanzminister, der gegen Steuervermeidung vorgehen könne, oder ein Euro-Budget geben solle. Kein Nationalstaat könne allein Globalisierung regeln. Schulz hat sogar die Gründung der "Vereinigten Staaten von Europa" bis 2025 vorgeschlagen - was in der Union abgelehnt wird. Kompromisse scheinen trotz der Blässe der Union gut möglich.

Obergrenze für Flüchtlinge, Familiennachzug, Einwanderungsgesetz

Es droht Streit über den Familiennachzug bei Flüchtlingen mit eingeschränktem Schutz. Der Nachzug ist bis März 2018 ausgesetzt, die Union will die Frist verlängern. Die SPD will das Nachholen der Kernfamilie wieder erlauben. Unter anderem über Ausnahmen für Härtefälle könnte hier ein Kompromiss gefunden werden.

Die vor allem von der CSU geforderte Obergrenze für Migranten von möglichst nicht mehr als 200 000 lehnt die SPD ab, weil das Grundrecht auf Asyl nicht eingeschränkt werden dürfe. Wäre beides miteinander vereinbar, dürfte sie mit sich reden lassen. Was sie fordert, ist ein Gesetz für die gezielte Einwanderung in den Arbeitsmarkt. Den Fachkräftezuzug will auch die Union gesetzlich regeln, Details sind aber offen. Die SPD will außerdem das Angebot von Sprach- und Weiterbildungskursen ausweiten. Die Einigung erscheint machbar.

Klimaschutz und Kohleaussteig

Unionsparteien und SPD stehen zu den Klimazielen, die auf der UN-Konferenz in Paris 2015 vereinbart wurden. Bis 2020, so der Plan, soll Deutschland 40 Prozent weniger Kohlendioxid ausstoßen als 1990. Ohne weniger Kohlekraftwerke wird das nicht gehen - der Ausstieg aus der Kohle muss also beginnen. Die Forderungen der SPD gehen hier aber nicht so weit, wie es bei den Grünen bei den Jamaika-Sondierungsgesprächen der Fall war. Dabei hatte die Union die kurzfristige Stilllegung von sieben Gigawatt Kohleleistung angeboten. So weit wird sie bei der SPD nicht gehen müssen, denn für die Sozialdemokraten haben die Arbeitsplätze in der Kohleindustrie eine höhere Priorität als für die Grünen. Eine Einigung ist deshalb denkbar.

Pflege

Die Sozialdemokraten wollen mehr Pflegepersonal für Krankenhäuser und Altersheime, womit die Union kein Problem haben dürfte. Eine Einigung ist hier wahrscheinlich.

Ganztagsbetreuung

Die SPD fordert einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung und will in Ganztagsschulen investieren. Den Rechtsanspruch will die Union allerdings auf Grundschulkinder beschränken - und zwar in Horts. Eine Einigung dürfte schwierig werden, aber scheitern dürften die Verhandlungen daran so schnell nicht.

Polizei

Die SPD will die Zahl der Polizisten erhöhen und die Justiz stärken. Damit dürfte sie in der Union auf wenig Widerstand stoßen. Schwieriger wird es beim Thema Vorratsdatenspeicherung, bei dem die Union weiter gehen will als die SPD. Vor einer Einigung dürfte deshalb eine harte Diskussion stattfinden.

Der Text ist eine aktualisierte Fassung eines SZ-Artikels vom 27.11.2017.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3793231
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.