Zum Finale der Sondierungsverhandlungen an diesem Wochenende wächst bei CDU, CSU und Grünen die Irritation und das Misstrauen über die Freien Demokraten. Aus Verhandlungskreisen wurde am Samstag bekannt, dass der FDP-Vorsitzende Christian Lindner mehr als einmal mit überraschenden Manövern versucht hat, die CSU herauszufordern und politisch rechts zu überholen.
Offenbar mehrfach, so hieß es aus Verhandlungskreisen, habe Lindner in Momenten, in denen die CDU mit Kompromissvorschlägen CSU und Grüne einer Einigung nahe gebracht habe, plötzlich eine harte Linie eingeschlagen und bisherige Positionen der CSU übernommen.
Treffen zwischen Merkel, Seehofer und Lindner
Nach übereinstimmenden Berichten aus mehreren Sondierungsdelegationen soll das vor allem bei den umstrittenen Themen Familiennachzug und Ceta geschehen sein. Auf diese Weise habe Lindner die CSU unter Druck gesetzt und Kompromissmöglichkeiten erschwert. Gerade für die CSU ist es eine gefährliche Herausforderung, wenn die zurzeit beim Wähler gut angesehene FDP ihr auf diese Weise Konkurrenz macht.
Um dieses Problem aus der Welt zu schaffen, hatte es am Freitag bereits ein Treffen zwischen Kanzlerin Angela Merkel, CSU-Chef Horst Seehofer und Lindner gegeben. Offenbar hat das aber nicht dazu geführt, dieses Verhalten gänzlich zu beenden. Ärgerlich ist das für Union und Grüne auch, weil die FDP offenbar plötzlich allen bei Themen Steine in den Weg legt, die sie öffentlich für sich selbst nicht als Priorität beschrieben hatte. Bislang gelten vor allem die Abschaffung des Solidaritätszuschlags und eine Bildungsoffensive als zentrale Bereiche, von denen die FDP ein Jamaika-Bündnis abhängig gemacht hat.
Umso mehr rätseln sie in den anderen Delegationen, welche Motive Lindner offenbar antreiben. Manche haben den Eindruck, er schwanke einfach in der Strategie; andere befürchten, er könne auch das Ziel verfolgen, die anderen Delegationen zu zermürben. Lindner selbst wies den Vorwurf zurück. Hinweise, er habe sich auch beim Thema Rüstungsexportkontrolle so verhalten, bezeichnete er als Lüge. Durch solche Behauptungen der anderen Verhandlungspartner würde eine Einigung massiv erschwert, sagte der FDP-Chef der SZ.