Süddeutsche Zeitung

Sondierungsgespräche:Jamaika blickt auf die Zielgerade

  • Anscheinend kommt Bewegung in die Jamaika-Sondierungen. Fortschritte gibt es in den Bereichen Innen-, Familien- und Bildungspolitik.
  • Auf den Feldern Migration und Klimaschutz geben sich die Unterhändler weiter unnachgiebig.
  • Auch wenn nach Außen noch Unterschiede betont werden - hinter den Kulissen wird bereits an Kompromissen für die schwierigen Konfliktthemen gearbeitet.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Bei den Sondierungen für ein Jamaika-Bündnis in Berlin ist inzwischen die Phase Gelb erreicht. Nach langem Warten, Stillstand und Zank kommt Bewegung in die Gespräche. Selbstverständlich ist die Ampel noch nicht auf Grün gesprungen. Insbesondere auf hart umkämpften Feldern wie Flucht oder Klimaschutz gaben die Unterhändler sich am Freitag wieder unnachgiebig - nach außen hin. Hinter den Kulissen aber wurde emsig an Kompromissen gebastelt, und man bemühte sich um einen freudvolleren Ton. "Wir biegen jetzt ein auf die Zielgerade", sagte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) zu Beginn der Sondierungsrunde am Freitag. Man verhandle "hart, aber sehr lösungsorientiert". CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, der zuletzt eher mit Kratzbürstigkeit aufgefallen war, betonte, es seien "alle aufgefordert, dafür zu arbeiten, dass man näher zusammenkommt". Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), ein führender Kritiker grüner Klimapolitik, nannte Koalitionsverhandlungen "zunehmend möglicher". Auch FDP-Chef Christian Lindner zeigte sich zuversichtlich. Die Sondierer wollten am Freitag bis in die Nacht verbleibende Konflikte klären.

Bis kommenden Donnerstag sollen die Sondierungen abgeschlossen sein.

Flucht und Migration

Der Familiennachzug für Flüchtlinge gehört zu den Schlüsselfragen der Sondierungen. Die Grünen wollen einem Jamaika-Bündnis nur zustimmen, wenn Kriegsflüchtlinge mit eingeschränktem Schutz, meist Syrer, ihre nächsten Angehörigen nach Deutschland nachholen können. Derzeit ist das nicht möglich. Der Familiennachzug für subsidiär Geschützte ist ausgesetzt, bis März 2018. CDU und CSU wollen dabei auch künftig bleiben, die Grünen hingegen durch Nachzug der Kernfamilie für bessere Integration sorgen.

Dem Ja der Grünen beim Familiennachzug stand bisher ein striktes Nein der Union gegenüber. Nun aber wird ein Kompromiss denkbar, der subsidiär Geschützten den Nachzug der Kernfamilie ermöglichen könnte, wenn auch nur unter bestimmten Bedingungen. Demnach könnten Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutz nicht sofort nach Ankunft, sondern erst nach einer Karenzzeit von zwei Jahren einen Antrag auf Familienzusammenführung stellen. Überlegt wurde zudem, deutsche Sprachkenntnisse, Straffreiheit und ausreichenden Wohnraum zur Voraussetzung für Familienzusammenführung zu machen. Aus Sicht der CSU, die beim Thema Flucht der Hauptwidersacher der Grünen ist, hätte diese Variante den Vorteil, dass Familiennachzug so nur nach und nach möglich würde. Für subsidiär geschützte Flüchtlinge, die schon 2015/16 ins Land kamen, würde die Regelung wiederum den Nachzug naher Angehöriger ermöglichen - das wäre ein Geländegewinn für die Grünen.

Eine Annäherung schien sich auch bei den Rückführungszentren abzuzeichnen, in denen nach Wunsch von CDU und CSU Ankommende bleiben sollen, bis ihr Status geklärt ist. Etliche Grüne befürchteten "Riesenknäste" und Isolation. Parteichef Cem Özdemir machte aber früh klar, dass er mit Einrichtungen wie in Heidelberg leben könne, wo Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive nicht einfach festgesetzt, sondern nach zügiger Einschätzung ihrer Anträge in dezentrale Wohnheime geschickt würden. Strittig blieb aber wohl der sogenannte Spurwechsel. Die Grünen wollen gut integrierten Asylbewerbern im Rahmen eines Einwanderungsgesetzes den Wechsel in den Arbeitsmarkt ermöglichen. Die CSU lehnte dies für Asylbewerber mit geringen Bleibeperspektiven ab, etwa für Nordafrikaner. Menschen mit wenig Chance auf Asyl diese Möglichkeit in Aussicht zu stellen, sei ein Fehlanreiz. Eine Einigung beim Thema Flucht und Migration stand am Freitag noch aus.

Inneres und Recht

Die Jamaika-Parteien haben sich darauf verständigt, Polizei und Justiz finanziell besser auszustatten. Anders als CDU und CSU wollten FDP und Grüne aber keine anlasslose Speicherung von Daten durch Behörden zulassen. Auch Fragen bezüglich der parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienste und staatlicher Methoden bei der Bekämpfung von Kriminalität im Internet waren noch zu klären.

Familie

Einig sind die vier Parteien sich beim Anliegen, gegen Kinderarmut vorzugehen, die Ganztagsbetreuung für Grundschüler auszubauen und Familien mit geringem und mittlerem Einkommen zu entlasten. Die FDP konnte sich nicht mit dem Wunsch durchsetzen, für Trennungskinder das Wechselmodell zum Regelfall zu erklären, also eine genau hälftige Betreuung der Kinder durch Mutter und Vater. CDU, CSU und Grüne lehnten dies ab. Über den Umgang mit Scheidungskindern sei nur im Einzelfall zu entscheiden. Erheblichen Ärger gab es über das Wort queer, das für gleichgeschlechtliche Lebensweisen steht. Die CSU lehnte es strikt ab, den Begriff in das Familienpapier aufzunehmen. Auch das Rückkehrrecht von Arbeitnehmern in Vollzeit wurde diskutiert. Strittig blieb das Anliegen der Grünen, die Frauenquote in Führungsjobs auszubauen.

Bildung und Digitales

Die Jamaika-Unterhändler haben sich zügig darauf verständigt, künftig zehn Prozent des Bruttosozialprodukts in Schulbildung, Weiterbildung, Hochschulen und Forschung zu investieren und mehr Studenten Zugang zu Bafög zu ermöglichen. Gestritten wurde über den Wunsch, das Kooperationsverbot abzuschaffen und dem Bund mehr Einfluss auf die Schulpolitik der Länder zu sichern. Kontrovers blieb am Freitag auch der Wunsch nach einem Digitalministerium, das laut FDP eigenständig sein sollte, nach der Ansicht von CDU und CSU aber im Kanzleramt angesiedelt sein sollte. Dissens gab es auch darüber, wie der Ausbau schneller Internetverbindungen finanziert wird.

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Quelle:
SZ vom 11.11.2017/bemo
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