Sondierungsgespräche:Auf Tuchfühlung mit Jamaika

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Herbst auf dem Balkon: Die Delegationen von FDP und Union vor der Sondierung. Alle geben sich entspannt, nur einer winkt. (Foto: Steffi Loos/Getty Images)

Erst die Union mit den Liberalen, dann die Union mit den Grünen - der Start der Sondierungsgespräche in Berlin verläuft friedvoller als erwartet. Horst Seehofer betritt dabei das eine oder andere Neuland für ihn.

Von Constanze von Bullion und Mike Szymanski, Berlin

Horst Seehofer ist immer für Überraschungen gut. Das erlebt seine CSU regelmäßig - manchmal nicht zur Freude aller Beteiligten. Diesmal scheint der bayerische Ministerpräsident aber alles richtig zu machen. Seine CSU gilt als schwierigster Kantonist in einer möglichen Jamaika-Koalition. Doch Seehofer macht - zumindest an diesem Mittwoch - seinem Ruf keine Ehre. Am Mittag sollen die Sondierungsgespräche der Union mit der FDP beginnen, am späten Nachmittag die mit den Grünen. Doch zur Lösung der Verspannungen hat sich Seehofer zu einer Art persönlicher Vorsondierung entschieden.

Am Mittwochmorgen taucht er in der Zentrale der Liberalen auf, um bei FDP-Chef Christian Lindner für gutes Klima zu sorgen. Am Vorabend war er schon in der Grünen-Zentrale erschienen. Nie zuvor hatte der CSU-Chef das Gebäude betreten. Jetzt versuchte er, Gemeinsamkeiten mit Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir auszuloten. "Er hat es überlebt", feixen die Fraktionschefin und der Parteivorsitzende der Grünen anschließend. Die vertrauensbildende Maßnahme des CSU-Vorsitzenden kam bei den beiden offenkundig nicht schlecht an.

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Die offiziellen Sondierungen liefen am Mittwoch dann friedvoller ab als von manchen erwartet. Die Mitglieder der FDP-Delegation trafen sich in der Parlamentarische Gesellschaft, es folgten die Unionsteilnehmer gegen halb elf. Angela Merkel und ihre Minister Peter Altmaier (CDU) und Alexander Dobrindt (CSU) kamen direkt von der Kabinettssitzung. Dort hatten sie zuvor Finanzminister Wolfgang Schäuble verabschiedet. Am kommenden Dienstag soll er zum Bundestagspräsidenten gewählt werden.

Um zwölf Uhr kamen die Delegationen von Union und FDP dann zu ihrer ersten gemeinsamen Sondierungsrunde zusammen. Zwei Stunden dauerte das Gespräch. Und glaubt man Berichten von Teilnehmern, verlief es unfallfrei - auch zwischen CSU und FDP. Die Delegationen tasteten sich dem Vernehmen nach auch schon zu ersten Inhalten vor. So ging es um den Klimaschutz, aber auch um das Konfliktthema Flüchtlingspolitik. Auch Steuern und Finanzen waren Gegenstand der Gespräche. "Da wird noch hart verhandelt werden müssen", hieß es hinterher aus der FDP-Delegation. Immerhin, man habe den Eindruck, "dass sich die Union ehrlich bemüht, die Chancen für eine Jamaika-Koalition auszuloten".

Etwas ausführlicher kam zwischen Union und FDP offenbar die Forderung der Grünen zur Sprache, ab 2030 nur noch abgasfreie Autos zuzulassen. Die FDP soll die Bundeskanzlerin hier um eine klare Positionierung gebeten haben. Im Wahlkampf hatte Merkel ein Verbot der Neuzulassung von Autos mit Verbrennungsmotoren zumindest erwogen, ohne allerdings allzu konkret zu werden. Beim Sondierungsgespräch habe sie den Hintergrund ihrer Aussage noch einmal dargelegt und die Klimaschutzziele angeführt - sich aber nicht auf ein Verbot festgelegt, heißt es aus der Runde. Seehofer soll bekräftigt haben, gegen ein Verbot zu sein.

Gegenüber der FDP zeigt sich die CSU überhaupt recht konziliant, zumindest abseits des Verhandlungstisches. Seehofers Leute ließen verlauten, der Ministerpräsident schätze Lindner - im Gegensatz zum früheren FDP-Chef Philipp Rösler, den Seehofer nie wirklich ernst genommen habe. Der bayerische Ministerpräsident habe Respekt davor, dass Lindner die Liberalen wieder in den Bundestag geführt habe. Es sei heute auch leichter, mit der FDP ins Geschäft zu kommen, weil Lindner nicht nur auf Steuersenkungen fixiert sei.

Erst am späten Nachmittag waren bei den Sondierungen die Grünen an der Reihe, auf Tuchfühlung mit der Union zu gehen. Das Spitzenpersonal erschien zu Fuß und mit angespannten Gesichtern, der Druck war den Unterhändlern anzusehen. "Wir gehen jetzt ernsthaft da rein, wir wollen Gemeinsames suchen", sagte Göring-Eckardt. Man werde "prüfen, ob es genug Gemeinsamkeiten für vier Jahre gibt." Was man so sagt, wenn man noch nichts sagen will.

Ganz fremd aber seien die Verhandlungspartner einander nicht mehr, ließen die Grünen vor dem ersten Sondierungsgespräch wissen. Bei Horst Seehofers Besuch der grünen Parteizentrale am Dienstagabend sei es "nett, freundlich" zugegangen, sagte Parteichef Cem Özdemir. Beide Seiten hätten sich vorab treffen wollen, "damit man sich etwas besser versteht".

Grüne und CSU, die in den Jamaika-Gesprächen als schärfste Antagonisten gelten, haben schon mal ausgelotet, ob sie beim Sozialen zueinander finden, bei der Pflege etwa. Aber auch über die grüne Forderung nach Familiennachzug für Flüchtlinge wurde gesprochen. Das Thema sei beiden Parteien wichtig, betonte Fraktionschefin Göring-Eckardt, wenn auch "auf verschiedene Art".

Aber es sollte am Mittwoch nicht nur um Atmosphärisches gehen, sondern auch um "Struktur- und Verfahrensfragen", hieß es bei den Grünen. Sie haben vorgeschlagen, dass bei den Sondierungen jede der vier Parteien im Wechsel festlegen kann, was verhandelt wird, immer schön der Reihe nach. So soll verhindert werden, dass die größeren Parteien die Agenda setzen, je nach strategischem Kalkül.

Überhaupt die Organisation. Am Freitagabend gibt es das erste Treffen aller vier Jamaika-Parteien. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) sagt: "Es geht um die Frage, wie wir die Sache angehen wollen." Arbeitsgruppen solle es geben, aber wie viele? Wie oft sollen sie tagen? Drei Tage am Stück - das könnten manche Landespolitiker nicht einrichten. Und so ist am Mittwochabend nur eines klar: Leicht werden diese Verhandlungen nicht.

© SZ vom 19.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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