Süddeutsche Zeitung

Regierungsbildung:Ampel-Unterhändler nähern sich vorsichtig an

"Die Menge an Gemeinsamkeiten" sei größer geworden, sagt Grünen-Bundesgeschäftsführer Kellner nach anderthalb Tagen vertiefter Sondierungen. Ende der Woche könnte ein wichtiger Schritt in Richtung Koalitionsverhandlungen folgen.

Von Daniel Brössler, Berlin

Als die drei Männer im "hub27", einem schmucklosen Zweckbau auf dem Berliner Messegelände, am Dienstagmittag gemeinsam aus dem Aufzug steigen, wirken sie entschlossen. Für einen Moment keimt die Erwartung, dass Volker Wissing, Lars Klingbeil und Michael Kellner nach anderthalb Tagen "vertiefter Sondierungen" auch wirklich etwas zu verkünden haben. Eigentlich hatten die Generalsekretäre von FDP und SPD und der Bundesgeschäftsführer der Grünen angekündigt, Zwischenergebnisse würden nicht mitgeteilt. Nun also doch? Oder sogar noch mehr?

"Wir haben einen guten Auftakt für die Sondierungen gehabt", sagt Klingbeil. "Wir haben in einem guten Ton miteinander gesprochen", versichert Wissing. "Die Menge an Gemeinsamkeiten" sei größer geworden, "die Menge an Unterschieden" kleiner, verrät Kellner. Spätestens da ist klar, dass die Herren nicht gewillt sind, von ihrem ursprünglichen Plan abzuweichen. "Dass wir zwischen drei Parteien Brücken bauen wollen, das war spürbar", sagt der Grüne Kellner. Viel mehr will keiner mitteilen. Was für die Aussichten einer Ampel-Koalition allerdings kein schlechtes Zeichen sein muss.

Für die Öffentlichkeit hatten die Verhandler bisher vor allem durch Bilder gesprochen, da ja über den Inhalt der Gespräche strenge Vertraulichkeit vereinbart worden war. So erschienen die Grünen-Chefs Annalena Baerbock und Robert Habeck am Montag demonstrativ zusammen mit dem FDP-Vorsitzenden Christian Lindner und seinem Generalsekretär Wissing. Vor der Runde am Dienstag dämpfte Lindner dann die Erwartungen wieder ein wenig. Auf die Frage nach der Stimmung sagte er enigmatisch: "Schwer."

Finanzen, Klima, Europa, Migration - alles wird abgearbeitet

Einen ganzen und einen halben Tag haben die Unterhändler zusammengesessen - immer dabei die Chefs, Generalsekretäre und Geschäftsführer. Dazugeholt wurden, je nach Thema, wechselnde Fachpolitiker. Und immer im Sinn dabei die Nachrichten von der Union, die immer weniger den Eindruck erweckt, als glaube sie noch ernsthaft an die Chance einer Jamaika-Regierung mit FDP und Grünen. Während die CDU mit sich beschäftigt ist, werden im "hub27" jedenfalls alle großen und vor allem konfliktträchtigen Themen einer künftigen Regierung abgearbeitet. Finanzen, Klima, Europa etwa und auch Migration.

Erst am Freitag will man wieder in größerer Runde zusammenkommen, auch damit SPD-Kanzlerkandidat und Noch-Finanzminister Olaf Scholz in der Zwischenzeit an der IWF-Jahrestagung in Washington teilnehmen kann. Der Freitag, so viel wird dann doch verraten, soll ein erster Tag der Entscheidung sein.

Der Plan sieht vor, dass das Trio aus Klingbeil, Kellner und Wissing an diesem Mittwoch und Donnerstag in die schwierige Textarbeit geht. Nach zwei Tagen "intensiver Arbeit" soll, wie Klingbeil es erläutert, in Schriftform ein "gemeinsames Verständnis" einer Ampel-Koalition festgehalten werden. Was schwer genug werden dürfte. Insgesamt habe es am Montag und Dienstag 14 Stunden "intensiver Debatte" gegeben, sagt Kellner. Das zu "verschriftlichen", sei schon eine Aufgabe. Höflich und sachorientiert miteinander zu sprechen, bestätigt Wissing, sei das eine, "das Gesagte schriftlich auszuformulieren, ist dagegen die Stunde der Wahrheit".

Stillschweigen über mögliche Kompromisse

Soll heißen: Wenn alles glatt läuft, gibt es am Freitag eine "Entscheidungsgrundlage". Dann wären die Parteigremien am Zug, um über die Aufnahme formeller Koalitionsverhandlungen zu entscheiden - oder eben nicht.

Über mögliche Kompromisse aber herrscht Stillschweigen. Auch Fragen nach dem vermutlich größten Brocken, der Steuer- und Finanzpolitik, bleiben unbeantwortet. Die FDP hat hier rote Linien gezogen, will Steuererhöhungen keinesfalls zustimmen. "Wir wollen uns nicht mit Lippenbekenntnissen begeistern, sondern wir wollen uns mit Fakten überzeugen", wiegelt Wissing Nachfragen ab. Dafür sei der "vertrauliche Raum" entscheidend. Nur dort könne "man wirklich offen und ehrlich" sprechen.

"Gerade Vertrauen ist ein ganz wichtiger Baustein für das Gelingen", bestätigt Klingbeil. Man habe aus Fehlern der Vergangenheit gelernt. Damit meint er das Scheitern der Jamaika-Sondierungen 2017, das der SPD die Fortsetzung der großen Koalition beschert hatte. Und die will ja keiner mehr.

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