Eigentlich dachten alle Beteiligten, dass es das jetzt gewesen sei. Am 11. Februar ist der bisherige Bundestag zum letzten Mal zusammengekommen. Am Ende der Sitzung hielt Kevin Kühnert, der ehemalige SPD-Generalsekretär, seine Abschiedsrede. Dann ergriff Bundestagspräsidentin Bärbel Bas noch einmal das Wort. „Den ausscheidenden Kolleginnen und Kollegen wünsche ich persönlich alles Gute für ihren weiteren Lebensweg“, sagte Bas. „Bleiben Sie diesem Hause, aber auch der Politik verbunden.“ Die Sozialdemokratin machte auch noch ein paar grundsätzliche Bemerkungen zur Verrohung politischer Auseinandersetzungen im Land und mahnte zu „Respekt und Achtung vor der Meinung der anderen“. Dann schloss Bas die Sitzung mit dem Satz: „In diesem Sinne verabschiede ich Sie mit einem fröhlichen Glückauf!“
Es waren würdige Schlussworte am Ende einer turbulenten Legislaturperiode. Doch Bärbel Bas wird die bisherigen Abgeordneten jetzt doch noch einmal zusammenrufen müssen. Union und SPD haben sich am Dienstagabend bei ihren Sondierungen auf Grundgesetzänderungen von gewaltiger Dimension verständigt – für Verteidigung und für Infrastruktur. Weil im neu gewählten Bundestag AfD und Linke aber so stark sind, dass gegen sie keine Verfassungsänderung beschlossen werden kann, wollen Union und SPD die Änderungen noch vom alten Bundestag in Sondersitzungen verabschieden lassen. Dazu müssen dann auch alle am 23. Februar nicht mehr angetretenen oder nicht mehr wieder gewählten Abgeordneten noch einmal nach Berlin kommen. Viele von ihnen sind allerdings schon im Urlaub oder anderweitig unterwegs.
"Schwimmen Sie nicht zu weit raus"
„Schwimmen Sie nicht zu weit raus – und achten Sie darauf, das Handgepäck immer griffbereit zu haben“, hatte der damalige Bundestagspräsident Norbert Lammert im Juni 2012 den Abgeordneten am Ende der letzten Sitzung vor der Sommerpause aufgetragen. Wegen eines Hilfspakets für spanische Banken wurde dann tatsächlich mitten in den Parlamentsferien eine Sondersitzung notwendig. Und im Juli 2022 forderte Bas in der letzten Sitzung vor den Sommerferien die Abgeordneten auf, „regelmäßig in ihre Postfächer zu schauen“, weil es sein könne, „dass ich Ihnen eine verpflichtende Dienstreise nach Berlin organisiere“. Damals ging es um mögliche Folgen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine.
Auch jetzt hoffen sie in den Fraktionsspitzen, dass keiner der Abgeordneten zu weit rausgeschwommen ist oder seine Postfächer nicht gesichtet hat. Nach Auskunft der Bundestagsverwaltung gibt es für die Einberufung von Sondersitzungen des Bundestags „weder in der Geschäftsordnung noch sonst irgendwo“ eine Mindestfrist. Sie könnten also auch sehr schnell stattfinden.
Es sind sogar zwei Sondersitzungen nötig
Allerdings müssen die Sondierer auch die sogenannte Heilmann-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts beachten. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Heilmann hatte im Juli 2023 in Karlsruhe erreicht, dass die Ampelkoalition die Änderung des Gebäudeenergiegesetzes nicht so schnell durch den Bundestag peitschen konnte, wie sie es vorhatte. Das Bundesverfassungsgericht hatte wegen der geplanten Geschwindigkeit die Rechte der Abgeordneten nicht ausreichend beachtet gesehen.
Deshalb wollen die Sondierer jetzt nichts überstürzen. In der Debatte sind der 13. und der 18. März als Termine für die Sondersitzungen des Bundestags. Denn es wird ja zwei geben müssen: Eine Sondersitzung, in der die erste Lesung der Grundgesetzänderungen stattfindet. Und eine für die zweite und dritte Lesung.
Für einige Abgeordnete könnte es trotzdem schwer werden, an den Sondersitzungen teilzunehmen. Legendär ist der Fall der SPD-Bundestagsabgeordneten Ute Vogt im Sommer 2001. Tagelang versuchten Vogts Mitarbeiter damals, die Abgeordnete zu erreichen. Ohne Erfolg. Vorsorglich buchten sie trotzdem ein Ticket von Anchorage über Chicago und München nach Berlin. Doch als sie Ute Vogt endlich erwischten, war es zu spät. Die Sozialdemokratin verpasste die Sondersitzung des Bundestags zum Mazedonien-Einsatz. Sie war mit einem Wohnmobil in Alaska unterwegs, ihr deutsches Handy hatte dort keinen Empfang.
Sondersitzungen in der jetzigen Lage fordern aber auch die Parlamentsverwaltung heraus. Im bisherigen Bundestag sitzen 733 Abgeordnete aus sieben Fraktionen und Gruppen. Im nächsten werden es nur noch 630 aus fünf Fraktionen sein. Es steht also ein größerer Umbau im Plenarsaal an. Der muss bis zur konstituierenden Sitzung des neuen Bundestags abgeschlossen sein, die wiederum spätestens am 25. März stattfinden muss. Die Verwaltung muss den Umbau jetzt also so organisieren, dass er die beiden Sondersitzungen nicht behindert.
Wozu eine Überschneidung von Umbauten im Plenarsaal und Sondersitzungen führen kann, wenn es nicht gut läuft, hat man im Juli 2019 erleben können. Damals wurde Annegret Kramp-Karrenbauer in einer Sondersitzung als neue Verteidigungsministerin vereidigt. Weil der Plenarsaal gerade modernisiert wurde, musste das Parlament im Foyer des Paul-Löbe-Hauses, einem Bundestagsgebäude, tagen.