Süddeutsche Zeitung

Sonderstatus für den Donbass:Kiews Kotau vor Moskau

Das ukrainische Parlament räumt der Donbass-Region im Osten weitgehende Sonderrechte ein. Damit haben sich Wladimir Putin und die Separatisten durchgesetzt. Viele Demonstranten vom Maidan müssen sich jetzt verraten fühlen.

Kommentar von Cathrin Kahlweit

Während Europa gespannt nach Schottland starrt, wurde am Dienstag in Kiew ohne medialen Schlagabtausch und ohne Debatte eine Abspaltung vollzogen. In geschlossener Sitzung stimmten die alten Verbündeten Moskaus, die Partei der Regionen und die Kommunisten, mit den Verbündeten des neuen Präsidenten für einen Sonderstatus der Donbass-Region. Das Gesetz war erst am selben Morgen eingebracht worden. Ein Abgeordneter sagte, er schäme sich; die Nationalisten verglichen das Gesetz mit der Entrechtung des Volkes durch das im Februar gestürzte Regime von Viktor Janukowitsch. Gut möglich, dass bald wieder Demonstranten auf dem Maidan stehen.

Denn wahr ist: Die Ukraine wird de facto geteilt, auch wenn das Gesetz erst einmal nur für drei Jahre gelten soll und der Präsident nur von "mehr Selbstbestimmung" für den Osten spricht. Der Kampf um die territoriale Integrität wurde aufgegeben. Das neue Gesetz sieht eine eigene Miliz, ein eigenes Grenzregime und eigene Wahlen für die von den Separatisten besetzten Gebiete vor. Kurz vor der Abstimmung hatte ein Armeesprecher bereits gesagt, man werde dort eine vorläufige "Trennungslinie" markieren, wo später eine "neue Grenze" gezogen werden könnte.

Die territorialen Ansprüche der Separatisten werden umgesetzt

Trennungslinie? Neue Grenze? Eigene Milizen? Das klingt nach einem Kotau vor den Interessen Moskaus - und das ist es auch. Präsident Petro Poroschenko, für den die Beschlüsse im Parlament überlebensnotwendig sind, wenn er seinen Friedensplan umsetzen will, argumentiert ausschließlich damit: Nur mit einem Sonderstatus für den Donbass und einer Amnestie für die Separatisten, die Kiew bis vor Kurzem noch Terroristen nannte, könne ein Ende dieses Krieges auf ukrainischem Gebiet erreicht werden. Zeit für ein gesamtukrainisches Dezentralisierungskonzept gab es offenbar nicht. Das muss warten.

Tatsächlich sind die Alternativen, die sich der Führung in Kiew bieten, rar. Der Krieg im Osten lässt sich angesichts der russischen Übermacht nur mit Konzessionen an die prorussischen Kräfte beenden. Offenbar haben die Zugeständnisse beim Assoziierungsabkommen nicht ausgereicht, damit Moskau seinerseits den Druck verringert.

Poroschenko und Teile des alten Establishments vollziehen daher nun, was vom Westen hinter den Kulissen herbeiverhandelt und von Moskau auf offener Bühne erzwungen wurde: die Umsetzung der territorialen und politischen Ansprüche der Separatisten in Fakten. Poroschenko hat das im Wissen um die Ausweglosigkeit der Lage so kommentiert: "Keine Nation hat je einen so hohen Preis gezahlt, um europäisch zu werden."

Verraten fühlen sich die Demonstranten des Maidan

Der Präsident hofft, dass das Bekenntnis zum Westen und seinen Werten, das die Parlamentarier am Dienstag ebenfalls abgaben, die Empörung jener mindert, die sich verraten fühlen. Und verraten fühlen sich viele: die, die auf dem Maidan für eine sofortige Umsetzung des Assoziierungsabkommens gekämpft hatten; diejenigen, die ihre Männer, ihre Söhne im Krieg verloren haben; und die, die eine neue politische Kultur und eine funktionierende Demokratie herbeigesehnt hatten.

Die Ratifizierung des Assoziierungsabkommens durch die Werchowna Rada wurden in Kiew und Brüssel am Dienstag als historisch bezeichnet. Ebenso historisch, aber nicht von Reden und Feiern begleitet, ist das Sondergesetz für den Osten, das den Separatisten in den Bezirken Luhansk und Donezk zwar keine Unabhängigkeit, aber faktisch ein Mitspracherecht über die Zukunft der Ukraine einräumt.

Das ist vielleicht unumgänglich, wenn die Ukraine nicht ökonomisch und gesellschaftlich komplett aufgerieben, ja aufgegeben werden soll. Aber dieser Beschluss könnte das Land mittelfristig stärker verändern als das Bekenntnis zur Westintegration.

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Quelle:
SZ vom 17.09.2014
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