Sonderparteitag zum Atomausstieg:Grüne Granden kämpfen um den Draht zur Basis

Die Stimmung in Berlin ist aufgeheizt: Auf dem Sonderparteitag versucht die Führungsspitze der Grünen, der Basis die Zustimmung zum schwarz-gelben Atomausstiegs-Plan abzuringen. Doch Grünen-Urgestein Hans-Christian Ströbele hält dagegen - und bekommt Unterstützung vom Partei-Nachwuchs. Am Abend konnte die Parteispitze einen ersten Erfolg verbuchen.

Thorsten Denkler, Berlin

Die Sache scheint gelaufen zu sein, als Grünen-Chefin Claudia Roth ihre Rede beim Sonderparteitag in Berlin zur Energiewende beendet hat. Fast eine halbe Stunde hat sie für den Leitantrag des Bundesvorstandes und damit für ein Ja zum Atomausstieg nach schwarz-gelbem Fahrplan geworben.

Ausserordentliche Delegiertenkonferenz Buendnis 90/Die Gruenen

Parteichefin Claudia Roth appelliert in Berlin an die grüne Basis.

(Foto: dapd)

Sie hat die grüne Seele gestreichelt, hat geschickt die Erinnerungen wachgerufen: Wie sie sie alle zusammen nach Brockdorf marschiert sind, in Gorleben demonstriert haben, sich von Wasserwerfern haben nass spritzen lassen. Sie erinnert daran, wie sich Grüne beschimpfen lassen mussten als Spinner, Windrad-Ökos und Träumer.

Und jetzt macht die schwarz-gelbe Regierungskoalition nach der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima genau das, was die Grünen immer gefordert haben.

Trotzdem muss Roth darum kämpfen, das ihre Partei das anerkennt. Im Laufe der vergangenen Woche hat sich bei der grünen Führungsspitze Angst vor einer Ohrfeige der Basis breit gemacht; Angst davor, dass der Parteitag mit Nein stimmen und damit letztlich die grüne Forderung nach dem Ausstieg ablehnen könnte. Niemand hätte im Vorfeld darauf wetten wollen, wie dieser Parteitag ausgehen würde.

Roth hebt die Stimme, übertönt alles in der eilig für diesen Sonderparteitag hergerichteten Messehalle, als sie den wichtigsten Satz ihrer Rede spricht: "Wir haben nach jahrzehntelangem Kampf einen Sieg errungen! Das ist der Sieg der Anti-AKW-Bewegung, das ist der Sieg der..." - ihre Worte gehen im Beifall unter.

Es ist ein Beifall, so stark, so kräftig, dass Roth von diesem Moment an eigentlich nicht mehr bange sein müsste. Es ist gar nicht mehr nötig, dass sie den Delegierten die energiepolitische Revolution verspricht, den "radikalen" industriellen Umbau des Landes, sollten die Grünen ab 2013 wieder mitregieren.

"Dann verdient sie unsere Zustimmung nicht!"

Die grüne Führungsriege kann sich erstmal sicher fühlen. Bis eine gewisse Gesine Agena an das Pult tritt. Agena ist Sprecherin der Grünen Jugend und gilt als großes Talent.

"Merkel verdient unsere Zustimmung nicht"

Drei Minuten hat sie nur. Nicht viel, aber es reicht aus, ein völlig anderes Bild zu malen. Es mache ihr Sorgen, wenn vor den Türen des grünen Parteitages so viele Vertreter wichtiger Anti-AKW-Organisationen so eindringlich vor der Entscheidung warnten, dem schwarz-gelben Ausstieg zuzustimmen, erklärt Agena,

Ausserordentliche Delegiertenkonferenz Buendnis 90/Die Gruenen

Jürgen Trittin beim Grünen-Sonderparteitag: "Wie glaubwürdig wäre es, wenn wir gegen unsere eigenen Anträge stimmen würden?"

(Foto: dapd)

Und: "Warum sollten wir Grüne einem vermeintlichen Konsens beitreten, wenn mit uns über diesen Konsens nicht verhandelt wurde?" Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht mal die Zeit und den Mut habe, mit uns darüber zu verhandeln, "dann verdient sie unsere Zustimmung nicht!" Plötzlich ist alles anders. Die Delegierten jubeln und johlen nun Agena zu - als säße hier auf einmal ein anderes Publikum.

Im Anschluss spricht Klaus Töpfer ein Grußwort, CDU-Mann, ehemaliger Umweltminister und Vorsitzender der von Merkel einberufenen Ethik-Kommission, an deren Ergebnissen sich der Atomausstieg jetzt orientiert. Töpfer wird mit einem herzlichen Applaus empfangen. Wäre er Kanzlerkandidat der CDU, schwarz-grün wäre vielleicht schnell zu machen.

Töpfer berichtet von seinen Auslandsreisen, wie er angesichts der Debatte über den Atomausstieg gefragt werde, was denn da los sei in Deutschland, manchmal staunend, manchmal gar mitleidig. Aber dass er auch oft zu hören bekomme: "Wenn ihr das in Deutschland hinkriegt, das wäre das ein Signal für die Welt." Er bekommt viel Beifall für diesen Satz. "Entscheidend ist", so Töpfers Fazit, es muss gelingen. Und zwar so, dass es andere nachmachen können."

Von einigen Grünen ist der Auftritt Töpfers zuvor scharf kritisiert worden. Ein CDU-Mann spricht auf einem Grünen-Parteitag, das geht doch nicht. Dem grünen Bundesvorstand aber könnte Töpfer mit seiner Rede einen großen Gefallen getan haben: Vielleicht hat er am Ende viele der Unentschlossenen überzeugt.

"Der Kampf geht weiter!"

Grünen Fraktionschef Jürgen Trittin hat nach Töpfer letztlich nur noch diesen einen Auftrag: Alles tun, damit der scheinbare Trend für ein Ja verstärkt wird. Mit massiven Breitseiten gegen die Bundesregierung versucht er, bei der Basis zu punkten: Die "schlechteste Bundesregierung" in der Geschichte der Bundesrepublik werde von den Grünen 2013 "rückstandsfrei" abgelöst, kündigt er unter großem Jubel an.

Doch für Trittin geht es um mehr - um Glaubwürdigkeit. Minutiös zählt der Fraktionsvorsitzende die Anträge auf, die die Grünen nach Fukushima im Bundestag gestellt haben und erklärt, Union und FDP hätten praktisch alle Forderungen der Grünen übernommen. "Wie glaubwürdig wäre es, wenn wir gegen unsere eigenen Anträge stimmen würden?", fragt Trittin. Deshalb "müssen Grüne Ja sagen, da kann kein Grüner nein sagen!" Wieder viel Applaus.

Irgendwie schizophren wirkt die Partei im Laufe der Debatte. Es geht hin und her, es brodelt, der Parteitag kocht. Christian Ströbele geht an Pult, das Urgestein. Er will mit Nein stimmen, gönnt Merkel den Triumph nicht. Will nicht Ja sagen zu einem Atomausstieg 2022, wenn die Grünen eigentlich 2017 wollen. "Der Kampf geht weiter!", ruft er. Und die Delegierten jubeln, wie sie vorher Trittin, Agena, Roth zugejubelt haben. "Abschalten, abschalten, abschalten", hallt es durch die Messehalle. Viele stehen auf. Roth sitzt vorne auf dem Podium, die Mine versteinert. Der Applaus für Ströbele will nicht abreißen.

Wie in einer Stierkampf-Arena

Renate Künast hält sofort dagegen. Die Stimmung: aufgeheizt. Die Befürworter des schwarz-gelben Ausstiegs, diejenigen, die ihn als ihren Erfolg sehen, merken, wie eng es werden könne. Künast kämpft, laut. Neues sagt sie nicht. Zustimmen sollen die Grünen, weil acht AKW sofort abgeschaltet werden, weil die Laufzeitverlängerung vom Tisch ist, weil es das alles ein grüner Erfolg sei.

"An der Stelle werde wir ganz klar sagen: Ja das wollen wir", brüllt Künast. Wieder ist alles umgekehrt. Stehender Beifall, Fußgetrampel. Roth kann wieder lachen. Es geht zu wie in einer Stierkampf-Arena, in der sich das Publikum nicht einig ist, ob es den Torrero siegen sehen oder den Stier leben lassen will. Die Delegierten jubeln, wenn einer gegen den schwarz-gelben Ausstieg spricht. Sie jubeln wenn einer für ihn spricht.

Bei der ersten Abstimmung des Tages konnte die Grünen-Spitze einen wichtigen Teilerfolg erringen: Die Delegierten beschlossen, den Leitantrag des Bundesvorstandes zur Grundlage der weiteren Beratungen zu machen. Konkurrierende Leitanträge, die sich gegen eine Zustimmung wandten, fanden bei der Abstimmung nicht die Mehrheit. Doch damit ist die Zitterpartie noch nicht zuende: Gleich nach der Grundsatzentscheidung begannen die Abgeordneten mit der Beratung von rund hundert Änderungsanträgen zu eben diesem Leitantrag.

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