Süddeutsche Zeitung

Sonderfall Krisenstaat:EU-Kommission will offenbar Entwicklungshilfe für Militär ausgeben

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Die EU-Kommission will offenbar Geld aus der Entwicklungshilfe künftig auch dazu nutzen, das Militär und die Sicherheitskräfte von Krisenstaaten zu unterstützen. Eine entsprechende Änderung des sogenannten Instruments für Stabilität und Frieden (ISP), die dies in "Sonderfällen" vorsehe, soll am Dienstag in Straßburg verabschiedet werden. Das melden die Nachrichtenagentur AFP unter Berufung auf Kommissionskreise sowie die Nachrichtenseite Spiegel online, der der Änderungsentwurf nach eigenen Angaben vorliegt.

Konkret geht es um die Erweiterung des Einsatzspektrums von Mitteln aus dem ISP-Topf der EU. Für diesen stehen zwischen 2014 und 2020 etwa 2,3 Milliarden Euro zur Verfügung. Bislang darf die EU zwar zur Verbesserung der Sicherheitslage etwa Polizeibehörden in Drittstaaten unterstützen, nicht aber das Militär.

Das soll sich dem Änderungsentwurf nach ändern. Künftig sollen auch Militärs unterstützt werden, sofern es um das "übergeordnete Ziel" einer nachhaltigen Entwicklung gehe. Voraussetzung sei, dass Stabilität, Sicherheit und Entwicklung nicht von zivilen Kräften gewährleistet werden können oder der gesamte Staat nicht mehr funktioniere.

Genannt werden "Ausbildung, Betreuung und Beratung, die Lieferung von Ausrüstung, die Verbesserung von Infrastruktur". Explizit ausgeschlossen werden aber die Finanzierung von Waffen oder anderen "tödlichen" Ausrüstungsgegenständen. "Entwicklung ohne Sicherheit und Stabilität ist nicht möglich", hieß es zu dem Vorhaben aus Kommissionskreisen. Die Änderung soll aufgrund des Drucks mehrerer EU-Staaten zustande gekommen sein. Vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise hätten diese ein besonderes Interesse, vor allem in Afrika Konflike zu entschärfen.

Zweifel am Kommissionsplan

Die geplante Vermischung von Entwicklungshilfe und Sicherheitspolitik ist allerdings umstritten. Dem Spiegel zufolge hat sogar der Rechtsdienst der Kommission Bedenken angemeldet. Die Finanzierung des Militärs könne nicht gleichzeitig Teil der Entwicklungszusammenarbeit der EU und ihrer gemeinsamen Sicherheits- und Außenpolitik sein, warnten die Fachleute demnach. Auch der Juristische Dienst des Europäischen Rats habe Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Plans geäußert.

Auch bei deutschen Abgeordneten der Opposition stößt der Plan auf massive Ablehnung. Der Grünen-Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer sprach von einem "Tabubruch", den die EU "ohne jegliche öffentliche Debatte klammheimlich" organisiere. Er bezweifelte, dass das Vorhaben "im Einklang mit dem EU-Recht" steht. Die EU dürfe "nicht ein zentrales Instrument zur Konfliktprävention missbrauchen, um mit den entsprechenden Geldern stattdessen Rüstungsmaßnahmen zu finanzieren".

Die Linke-Europaabgeordnete Sabine Lösing nannte das Vorhaben "skandalös" und eine "Zweckentfremdung von Entwicklungshilfe". Es reihe sich ein "in die Schritte der Militarisierung der EU-Außenpolitik". Die EU nutze zunehmend zivile Programme, um "paramilitärische Gendarmerieverbände zur Aufstandsbekämpfung" auszubilden oder "Grenzsicherung zur Flüchtlingsabwehr" zu fördern, kritisierte Lösing. Folge sei eine "Stärkung repressiver Regime".

Wohin die ISP-Gelder bislang fließen

Bisher flossen Gelder aus dem Fonds für Frieden und Stabilität in die Konfliktvermeidung über die Stärkung der Zivilgesellschaft, in Aussöhnungsprogramme oder die Ausbildung von EU-Polizisten, die für Stabilisierungsmissionen in Krisengebiete geschickt werden. Jüngst wurden im Rahmen des Flüchtlingsabkommens mit der Türkei auch 20 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um die Kapazitäten der türkischen Küstenwache für Such- und Rettungseinsätze zu stärken.

Die Kommission hatte schon im April 2015 Vorschläge unterbreitet, wie Partnerländer bei der Verhinderung und Bewältigung sicherheitspolitischer Krisen unterstützt werden können. Als Beispiele wurden damals "die Bereitstellung von Rettungswagen, Ausrüstungen zum Schutz der Einsatzkräfte oder Kommunikationsmittel" für Streitkräfte in Ländern wie Mali oder Somalia genannt, in denen die EU ohnehin Militär ausbildet, den dortigen Armeen aber Mittel fehlen.

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