Sommerzeit:Als der Kaiser die Zeitumstellung befahl

1916 wird erstmals an der Uhr gedreht - weil die deutsche Reichsführung Energie für den Ersten Weltkrieg sparen will. Die Zeitungen bejubeln damals den "Gewinn".

Von Oliver Das Gupta

Einige Dinge, die zu Kaisers Zeiten erfunden wurden, gibt es in Deutschland immer noch. Dazu gehört etwa die Schaumweinsteuer. Die hat man einst eingeführt, um den Flottenbau des marinetollen Wilhelm II. zu bezahlen - inzwischen erfreut die Abgabe den Bundesfinanzminister. Auch die Sommerzeit ist so ein Relikt aus der Monarchie: Zu Ostern 1916 wurde sie im deutschen Kaiserreich eingeführt.

Anders als 2016 lag damals das Osterfest Ende April. Deshalb wurde am Abend des 30. April 1916 die Uhren eine Stunde vorgestellt: Von elf Uhr auf 12 Uhr Mitternacht.

Zu dieser Zeit tobte der Erste Weltkrieg fast schon zwei Jahre lang. Der anfängliche Übermut und feste Glaube an einen schnellen Siegfrieden waren längst perdu. Die Wirtschaft war längst auf Krieg umgestellt, aber an der Versorgung haperte es zunehmend - auch an Elektrizität. Aus diesem Grund verordnete die Reichsführung die Sommerzeit. Es sollte Energie gespart werden. Die zusätzliche Stunde Helligkeit nach der Arbeit sei "ein Gewinn, der immer größer und fühlbarer wird, je mehr wir uns der Sommer-Sonnenwende nähern", schrieben die Münchner Neuesten Nachrichten.

Wie andere Blätter verkündete die Vorgängerin der Süddeutschen Zeitung damals die Neuerung lange im Voraus. Doch in einem Zeitalter vor Radio, Fernsehen und Internet schien das nicht gereicht zu haben: Es wurden sogar "Künstlerische Erinnerungs-Postkarten" feil geboten, um die Kunde von der "neuen Sommerzeit" zu verbreiten. Die Habsburger Doppelmonarchie Österreich-Ungarn sowie Rumänien machten damals auch gleich mit, ebenso die Niederlande. Einige Monate später sollten auch die Kriegsgegner Frankreich und Großbritannien die Uhren umstellen.

Einigen deutschen Zeitgenossen schien die Zeitumstellung damals nicht ganz geheuer zu sein. Die Münchner Neuesten Nachrichten berichten von einigen Zuschriften besorgter Leser. Zentrale Befürchtung war demnach, dass die Sommerzeit nur ein Kniff der Obrigkeit sein könnte, um das allgemeine Arbeitspensum auszuweiten. Aus Wien wurden ähnliche Bedenken gemeldet, allerdings misstraute dort der Magistrat den Privatunternehmern. Die kaiserlich- und königlichen Behörden seien angewiesen, "allfällige Umgehungsversuche nachdrücklichst zu verhindern".

Solche Befürchtungen trieben die Vossische Zeitung eher nicht um. Sie frohlockte vielmehr über das "Massenexperiment" der Zeitumstellung. Falls ein "innerer Zeitsinn besteht", schrieb das Blatt, "müsste mindestens am 1. Mail ein Zu-Spät-Aufwachen beobachtet werden".

Von solchen Folgen berichten die Münchner Neuesten Nachrichten nichts am 1. Mai, der damals noch kein Feiertag war. Doch die Zeitumstellung machte mächtig Eindruck auf die Münchner. Eine Reihe von Uhren seien schon am Nachmittag vorgerückt worden, was teils zu "lustigen Missverständnissen" geführt habe, heißt es. Am Marienplatz habe eine Menschenmenge die Umstellung der Ratshausuhr in der königlich bayerischen Hauptstadt verfolgt. Als die Zeiger sich bewegten und die Glocken erschallten zur "Mitternachtstunde", sei "Jubelgeschrei" zu hören gewesen.

Die Umstellung habe die Gespräche dominiert, heißt es in der Zeitung vom 1. Mai über den Vortag. Auch andere Nachrichten wie der eben ausgebrochene Osteraufstand der Iren gegen die Briten seien in den Hintergrund gerückt - selbst die "Siegesfreude" über den Fall von Kut-el-Amara. Das mit Deutschland verbündete Osmanische Reich hatte damals nach monatelanger Belagerung die irakische Stadt von den Briten erobert.

Die Auswirkungen der neuen Zeit scheinen sich zumindest in München in Grenzen gehalten zu haben. Behörden hätten wie gewohnt geöffnet, das Gärtnerplatztheater habe die Vorstellungen um eine halbe Stunde vorgezogen. Die Wachposten in den Garnisonen seien eine Stunde früher abgelöst worden. Nur die Schüler scheinen es schwer gehabt zu haben. Sie mussten nach Ende der Osterferien "um eine Stunde früher aus den Federn kriechen", schreibt die SZ-Vorgängerzeitung, das sei ein "schmerzlicher Übergang".

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