Am 5. August werden die Olympischen Sommerspiele in Rio de Janeiro eröffnet. Die aktuell spannendste Frage zu der Veranstaltung: Werden dann auch die Athleten aus Russland am Start sein? Oder müssen sie aus der Ferne zuschauen? Verbannt wegen unlauterer Methoden, für die sich zuletzt immer mehr Hinweise fanden. Ein Sportfest der Jugend der Welt, zu dem nicht die Jugend der ganzen Welt geladen ist - das wäre ein denkwürdiger Vorgang. Russland ist eine olympische Großmacht. Die jüngsten Winterspiele fanden 2014 in Sotschi am Schwarzen Meer statt. 2012, bei den Sommerspielen in London, gewannen russische Athleten 82 Medaillen: 24-mal Gold, 25-mal Silber, 33-mal Bronze - erfolgreicher waren nur Großbritannien, China und die USA.
Betrugsvorwürfe:Dopingvorwürfe gegen Russland: Erst entschuldigen, dann zurückschlagen
Moskau sucht neue Wege, um der Krise zu begegnen. Medien, die über Dopingverstöße berichten, sollen nun sogar strafrechtlich verfolgt werden.
In der Sportpolitik gibt es viele Einflussfaktoren. Wie eine Entscheidung ausfällt, ist deshalb oft schwer zu prognostizieren. Eines aber lässt sich konstatieren: In dieser Woche könnte sich der Wind entscheidend gedreht haben. An diesem Mittwoch trat Thomas Bach, der mächtigste Mann des Weltsports, in einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz auf. Der einstige Fechter steht seit 2013 dem Internationalen Olympischen Komitee vor. Bach, 62, galt lange als Freund und Fürsprecher Russlands. Nun aber schließt auch er eine Kollektiv-Bestrafung nicht mehr aus. In den Worten eines Sport-Diplomaten klingt das so: "Falls sich die Anschuldigungen bewahrheiten, werden wir alle Beteiligten zur Rechenschaft ziehen. Das reicht von individuellen, lebenslangen Sperren über finanzielle Strafen bis hin zum Ausschluss nationaler Sportverbände."
Die Anschuldigungen, die im Raum stehen, sind gewaltig. Aufgebracht wurden sie von deutschen Medien. Im Dezember 2014 hatte die ARD eine erste Dokumentation ausgestrahlt, in der über flächendeckendes Doping in Russland berichtet wurde. In ihr traten zwei Kronzeugen auf: Witalij Stepanow, ehemaliger Mitarbeiter der russischen Anti-Doping-Agentur, und seine Frau Julia, eine 800-Meter-Läuferin. Sie hatte Dopingpraktiken ihrer Trainer und Teamkollegen dokumentiert. Der orchestrierte Betrug reichte offenbar bis ins Sportministerium. "Du musst dopen, so läuft es", diesen Satz hätten sie oft gehört, sagten die Stepanows.
Der Geheimdienst spielt beim Doping-Betrug mit
Der Bericht sorgte weltweit für Aufsehen. Er führte dazu, dass die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) eine unabhängige Einheit von Experten und Kriminalbeamten beauftragte, den Vorwürfen nachzugehen. Nach knapp einem Jahr veröffentlichten sie ihren Report. Tenor: Alles, was die Stepanows angegeben hatten, stimmte. Und: Es war noch schlimmer. Offenbar gab es in Russland ein Geheimlabor, das Doping-Proben vortestete. Der Geheimdienst hatte die Labore infiltriert. Das Sportministerium soll den orchestrierten Betrug zumindest toleriert haben. Insgesamt, so folgerte die Kommission, habe in Russlands Leichtathletik bis zuletzt eine "tief wurzelnde Kultur des Betrugs" geherrscht.
Die Wada hat nicht die Macht, Sportler oder Verbände von Wettbewerben auszuschließen. Die Organisation kann lediglich Empfehlungen aussprechen. Das tat sie aufgrund des Reports über die russischen Leichtathleten. Der zuständige Weltverband der Leichtathleten (IAAF) verhängte daraufhin eine Sperre gegen den russischen Verband - auf unbestimmte Zeit. Seitdem dürfen russische Sportler bei keinen internationalen Wettbewerben mehr antreten. Dieser Bann gilt derzeit auch für die Olympischen Spiele in Rio.
Es gibt allerdings eine Möglichkeit, den Ausschluss aufzuheben: Wenn Russland Reformen nachweist. Das versucht das Land. Das Vorhaben aber wurde von immer neuen Enthüllungen konterkariert. Die ARD strahlte unterdessen eine Doku aus, wonach in Russlands Leichtathletik offenbar weiterhin gedopt und manipuliert wird. In der New York Times schilderte Grigorij Rodtschenkow, der in die USA geflohene Leiter des Anti-Doping-Labors bei den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi, wie eigens für diesen Anlass offenbar ein staatlich gestütztes Doping-System aufgezogen wurde.
Rodtschenkow hatte demnach Dopingcocktails für russische Sportler gemixt. Wer was erhielt, soll per Order aus dem Sportministerium gekommen sein. Mitarbeiter im Anti-Doping-Labor sollen knapp 100 kontaminierte Urinproben russischer Sportler durch ein Loch in der Wand in einen Nebenraum geschmuggelt haben, wo Geheimdienst-Agenten die verdächtigen Urinproben gegen zuvor abgegebene, unauffällige ausgetauscht haben sollen. Bach, der den Russen zuvor noch attestiert hatte, "starke Botschaften" im Bemühen um Reformen auszusenden, fand dafür einen Superlativ. Falls das wahr sei, so der IOC-Präsident, wäre das ein "noch nie da gewesenes Niveau krimineller Aktivität".
Die New Yorker Staatsanwaltschaft sieht das offenbar ähnlich. Auf Veranlassung des Justizministeriums - so undementierte US-Medienberichte von diesem Dienstag - untersucht sie die Vorwürfe. In der vergangenen Woche war bereits bekannt geworden, dass das FBI mit Ermittlungen gegen russische Sportler und Funktionäre begonnen hatte. Strafrechtliche Ermittlungen gegen Ausländer sind in den USA keine Seltenheit. Die amerikanische Rechtsprechung erlaubt eine Strafverfolgung, wenn es eine Verbindung in die USA gibt. Über diesen Hebel hat dieselbe New Yorker Staatsanwaltschaft schon Verfahren gegen 40 Funktionäre des Fußball-Weltverbandes Fifa wegen Korruptionsverdachts eröffnet.
Das IOC muss über den Ausschluss entscheiden
Über die Frage, ob die Russen in Rio mitspielen dürfen, können die US-Behörden jedoch nicht entscheiden. Das ist Sache der Sportverbände. Formal hat das IOC quasi das Hausrecht. Sehr wahrscheinlich wird es sich aber am Verdikt des Fachverbandes orientieren, in dessen Bereich die meisten Vorwürfe gegen die Russen fallen und der diese aktuell von einer Taskforce prüfen lässt: dem des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF. Mitte Juni will dessen Führung entscheiden, ob die russischen Leichtathleten international weiter gesperrt bleiben. Falls ja, dürfen sie nicht in Rio ran. Einen generellen Ausschluss für alle russischen Athleten bedeutet das aber nicht. Bei den anderen Sportarten dürften die russischen Farben zu sehen sein.