Süddeutsche Zeitung

Somalia:Warlords, Heuschrecken und andere Plagen

Wieder werden die Bürger bei der kommenden Wahl in dem Land am Horn von Afrika nicht direkt über ihr Parlament entscheiden, sondern ein von Clans dominiertes korruptionsanfälliges System. Und dass auch sie ein Faktor sein wollen, demonstrierten Islamisten gerade mit einem tödlichen Anschlag.

Von Bernd Dörries, Kapstadt

Der Attentäter trug einen Gürtel mit Sprengstoff und jagte sich in die Luft, als die Karawane des Ministerpräsidenten sich näherte. Es traf eine Art Begrüßungskomitee, das Mohamed Hussein Roble willkommen heißen wollte, den Regierungschef Somalias, der gerade im Wahlkampf ist, der mehr Kampf ist als eine Wahl im herkömmlichen Sinne. Zehn Menschen kamen bei dem Anschlag am Freitag ums Leben, darunter ein General der somalischen Armee und der Kommandeur einer Elite-Einheit, die seit Jahren von den USA ausgebildet wurde.

Nur wenige Wochen vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen war der Anschlag eine Erinnerung der islamistischen Terroristen von Al-Shabaab, dass sie zwar nicht auf dem Wahlzettel stehen, aber dennoch eine der entscheidenden Kräfte sind im Land. Somalia ist für viele Paradebeispiel eines gescheiterten Staats.

Nach dem Sturz des langjährigen Diktators Siad Barre im Jahr 1991 kämpften Warlords, Clanchefs und Islamisten um die wenigen Ressourcen und die Macht. Seit 2012 gibt es ein neues föderales System, mit mächtigen Regionen und einer Zentralregierung, die zumindest die Sicherheitslage in der Hauptstadt Mogadischu verbessert hat und einige staatliche Aufgaben wahrnimmt. Im Dezember sollte eigentlich zum dritten Mal ein neues Parlament gewählt werden, was aber aufgrund vieler Unstimmigkeiten verschoben wurde.

Der im Jahr 2017 mehr von Stammesältesten ernannte als frei gewählte Präsident Mohamed Abdullahi hatte lange versprochen, erst das Parlament und dann auch sich selbst nach dem Prinzip "Eine Person - eine Stimme" wählen zu lassen, also demokratisch. Ein entsprechendes Gesetz wurde im Februar verabschiedet - und stieß auf den wütenden Protest der Opposition und auch der Repräsentanten einiger Regionen.

Sie warfen dem Präsidenten vor, etwas Undurchführbares anzukündigen, mit dem eigentlichen Ziel, seine Amtszeit verlängern zu wollen. Mohamed Abdullahi, Spitzname "Formajio" - weil er in der ehemaligen italienischen Kolonie so gerne Käse aß, hatte selbst zugegeben, dass es bis zu zwei Jahre dauern könnte, die Wahlberechtigten unter den etwa 15 Millionen Somaliern biometrisch zu registrieren. So lange hätte der Präsident einfach weiterregiert. Was die Opposition nicht wollte. Auch weil der Präsident die Macht der Regionen zugunsten einer starken Zentralregierung beschneiden wollte. Nach monatelangen Diskussionen einigte man sich darauf, Parlament und Präsident weiter indirekt wählen zu lassen.

Die Gesellschaft Somalias wird von fünf Clans und zahlreichen Subclans geprägt, sie bestimmen für jeden Parlamentssitz eine Gruppe von 101 Wahlmännern pro Wahlkreis, die dann entscheiden, wer der Abgeordnete sein wird. Insgesamt soll es knapp 28 000 Wahlmänner geben, 30 Prozent der Parlamentssitze sollen an Frauen gehen. Im Februar sollen die Abgeordneten den neuen Präsidenten wählen.

Das System der indirekten Wahl ist anfällig für Absprachen und Korruption, bei der letzten Wahl flossen angeblich mehr als 20 Millionen Dollar an Schmiergeld. Bei dieser Wahl sollen mehr Angehörige der Zivilgesellschaft als Wahlmänner ernannt werden und die Transparenz erhöhen. Ein schwieriger Prozess, den der Präsident nicht unbedingt fördert.

Mohamed Abdullahi war 2017 eher als Außenseiter zum Staatschef gemacht worden, er hatte lange in den USA gelebt, galt als Technokrat und eher neutral in den ständigen Fehden Somalias. Ihm gelang eine gewisse Stabilisierung, Kritiker werfen ihm nun aber vor, seine Macht mit zweifelhaften Methoden sichern zu wollen. Er hat die Wahlbehörde mit Vertrauten aus dem Nationalen Geheimdienst besetzt, dessen Chef gleichzeitig seinen Wahlkampf leitet - und dafür wohl auch viel Geld aus Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten bekommt. Die Rivalen vom Golf streiten in Somalia um Einfluss, auch die Türkei mischt mit, soll beim Transport somalischer Truppen in umkämpften Regionen helfen.

Sollte Anfang kommenden Jahres tatsächlich gewählt werden, geschieht dies in einer Phase großer Instabilität, Somalia wird von großen Heuschreckenschwärmen heimgesucht und schweren Fluten, Corona erschwert die Versorgungslage. Gleichzeitig ziehen die USA ihre Truppen ab, die bisher somalische Einheiten ausgebildet und in Einsätzen geleitet hatten. Äthiopien braucht seine Friedens-Soldaten für den Krieg im eigenen Land und hat 3000 Soldaten abgezogen. Bald könnten die kenianischen Friedenstruppen folgen. Somalia hat die diplomatischen Beziehungen zum Nachbarland abgebrochen, angeblich, weil Kenia sich zu gut mit der abtrünnigen Region Somaliland versteht und wegen eines Streits über Gasvorkommen vor der Küste der beiden Länder.

Letztlich hat Präsident Mohamed Abdullahi aber entschieden, dass etwas nationalistisches Getrommel und ein schöner Streit mit dem Nachbarn ihm im Wahlkampf helfen könnte. Es ist eine Situation, die schnell außer Kontrolle geraten könnte. An der Grenze sollen Somalia und Kenia bereits ihre Truppen verstärken.

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