Süddeutsche Zeitung

Somalia:Brüchiger Frieden von Mogadischu

"Dies ist die letzte Chance": Somalische Politiker einigen sich auf einen "Fahrplan" für den Frieden. Doch Korruption, Regionalkonflikte und radikal-islamische Milizen stehen schnellen Fortschritten entgegen. Hinzu kommt noch die Hungerkatastrophe. Dennoch: Nach 20 Jahren Bürgerkrieg ist die Sehnsucht nach einem Ende des Krieges so groß wie nie zuvor.

Arne Perras

Drei Tage lang haben sie beraten, am Dienstag beschlossen somalische Politiker in Mogadischu einen Fahrplan zur Befriedung des zerrütteten Landes am Horn von Afrika. Das Dokument soll die Weichen für ein vereintes und stabiles Somalia stellen. In ihm verpflichten sich verschiedene Kräfte des Landes zu Reformen innerhalb der nächsten zwölf Monate. Außerdem sollen die Sicherheit verbessert und Vorbereitungen getroffen werden, damit die Menschen im Land eine Zentralregierung neu wählen können. Auch eine neue Verfassung soll ausgearbeitet werden. "Somalia muss diesen Moment jetzt nutzen", beschwor der UN-Sondergesandte Augustine Mahiga die somalischen Politiker in Mogadischu. "Dies ist die letzte Chance."

Der Präsident der somalischen Übergangsregierung, Scheich Sharif Ahmed, sagte nach der Unterzeichnung: "Wir hoffen, dass jetzt alle Somalier in dieselbe Richtung marschieren." Unter großem Applaus forderte er die internationale Gemeinschaft auf, ihre Botschafter wieder nach Mogadischu zu schicken und neue Vertretungen zu eröffnen.

Im Zuge des 20-jährigen Bürgerkriegs haben fast alle Länder der Welt ihre Botschaftsangehörigen aus Mogadischu abgezogen. Der US-Sondergesandte für Somalia, James Swann, sprach von einem "positiven Schritt", wollte aber nicht von einem Wendepunkt sprechen. "Es kommt jetzt erst einmal auf die Umsetzung an", erklärte Swann, bevor er seinen Jet zurück nach Nairobi bestieg. Etwa ein Dutzend europäische Botschafter und Vertreter waren aus Kenia angereist.

Erfolge gegen die radikal-islamischen Milizen

Unter dem Schutz von Amisom, der Friedenstruppe der Afrikanischen Union, nahmen mehrere hundert somalische Politiker an der Konferenz teil, die am Sonntag vom Präsidenten der Übergangsregierung, Scheich Scharif Ahmed, eröffnet worden war. Sie war möglich geworden, nachdem Amisom in den vergangenen Monaten militärische Erfolge gegen die Milizen der radikal-islamischen Gruppe al-Shabaab erzielen konnte. Seit Anfang August haben sich deren Kämpfer aus der zerstörten Hauptstadt zurückgezogen. Parlamentarier, politische Kräfte aus Zentralsomalia sowie der halbautonomen Republik Puntland waren zu den Beratungen eingeflogen.

Obgleich UN-Vertreter das Treffen als wichtigen Schritt zum Frieden begrüßten, herrscht weiterhin breite Skepsis unter Analysten, ob der Beschluss Somalia tatsächlich stabilisieren kann. Zahlreiche Fraktionen im Land lehnen es nach wie vor ab, mit der Übergangsregierung (TFG) zu kooperieren, die von der Weltgemeinschaft unterstützt wird.

Die Region Somaliland im Norden, die sich 1991 für unabhängig erklärte, aber als Staat nicht international anerkannt ist, war nicht in Mogadischu vertreten. Sie ist weit stabiler als alle anderen Teile Somalias. Im Süden Somalias herrschen indes die Milizen von al-Shabaab, deren Ziel es ist, Scheich Sharif und sein Kabinett zu stürzen.

Die Lage in Somalia wird auch dadurch kompliziert, dass das Land vielen äußeren Einflüssen ausgesetzt ist, die eine Einigung zwischen den Regionen und rivalisierenden Clans erschweren. Auf der Seite von al-Shabaab kämpfen Extremisten, die nach amerikanischen Erkenntnissen zu al-Qaida gehören. Außerdem bekommen die Aufständischen Unterstützung aus Eritrea, das damit indirekt seinen Erzfeind Äthiopien schwächen möchte. Die Regierung in Addis Abeba stützt wiederum die TFG und versucht, dort eine Regierung zu befördern, auf die Äthiopien Einfluss nehmen kann. Doch die wenigsten Somalier betrachten Äthiopien als Freund, die beiden Länder führten mehrfach Krieg gegeneinander.

Der Westen wiederum hat sich verpflichtet, bei der politischen Einigung Somalias zu helfen, er finanziert die Friedensmission der Afrikanischen Union. Die Europäische Union gibt Geld für die Ausbildung somalischer Soldaten in Uganda. Doch die TFG, die von der Weltgemeinschaft mit aufgebaut wurde, hat unter Somaliern keinen guten Ruf.

Selbst innerhalb der Regierung heißt es, dass die Korruption eines der größten Probleme sei. Viele Somalier stehen der TFG skeptisch gegenüber, weil sie viel Geld aufsaugt, ohne dass die Menschen profitierten. Nach UN-Angaben gibt die TFG jährlich 50 bis 100 Millionen Dollar aus, sie hat Einkünfte aus Zoll- und Hafengebühren, und sie bekommt Geld aus arabischen und westlichen Ländern, doch die Transparenz fehlt.

Augustine Mahiga, der UN-Sondergesandte, verweist auf die Position des Sicherheitsrates, wonach klar sei, dass die UN nur dann die Übergangsregierung und das Parlament weiter unterstützen könnten, wenn die beschlossenen Ziele erreicht würden. "Die Geduld der Weltgemeinschaft schwindet", heißt es in den Reihen der UN. Amisom wäre ohne die Hilfe der USA nicht mehr einsatzfähig. Und ohne die militärische Stütze der AU-Soldaten kann sich wiederum die Übergangsregierung nicht halten.

Fast 40 Prozent der Somalier brauchen humanitäre Hilfe

"Die Hungerkrise hat das politische Vakuum des Landes auf drastische Weise offenbart", mahnt Mahiga. Solange Somalia weiterhin so gefährlich ist, haben es Helfer schwer, die Notleidenden zu erreichen. Fast vierzig Prozent der zehn Millionen Somalier brauchen nach UN-Angaben humanitäre Hilfe.

Gleichzeitig sieht der tansanische UN-Diplomat nun doch einen besonders günstigen Zeitpunkt, das Land voranzubringen. Zum einen seien die Aufständischen so schwach wie nie, zum anderen geben es eine "Sehnsucht nach Einheit und Frieden", wie er sie noch nie gesehen habe.

Amisom wird indes weiter gegen die Extremisten von al-Shabaab kämpfen, die den Süden kontrollieren. Ohne weitere Truppen allerdings wird es schwer für die 9000 Mann starke Truppe, auch außerhalb von Mogadischu militärische Erfolge zu erzielen. Der UN-Sicherheitsrat hatte im Dezember 2010 grünes Licht für weitere 3000 Amisom-Soldaten gegeben, doch afrikanische Länder zögern, Truppen zu stellen. Bislang kämpfen nur Uganda und Burundi gegen al-Shabaab, Verstärkung soll nun bald aus Sierra Leone und Dschibuti kommen.

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SZ vom 07.09.2011/olkl
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