Neun Tage nach dem mutmaßlich islamistischen Terroranschlag hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Konzerthaus von Solingen gefordert, die illegale Migration nach Deutschland einzudämmen. In seiner Rede bei einer Gedenkversammlung am Sonntag sagte Steinmeier, die Bluttat treffe Deutschland in seinem Selbstverständnis als offenes, vielfältiges Land. Er unterstrich zwar das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte, fügte dann aber hinzu: „Wir wollen dieses Land bleiben und können es am Ende doch nur bleiben, wenn uns die Zahl derer, die ohne Anspruch auf diesen besonderen Schutz (sind), nicht überfordert.“ Kurz danach ergänzt er: „Wir dürfen die Gutwilligen nicht überfordern!“
Die deutsche Politik, so Steinmeier weiter, müsse jetzt „jede, wirklich jede Anstrengung unternehmen, um die Regeln zur Begrenzung des Zugangs, die es schon gibt und die, die wir gerade zusätzlich schaffen, umzusetzen“. Das sei „eine Riesenaufgabe, bei der wir nicht versagen dürfen. Sie muss unsere Priorität sein in den nächsten Jahren“. Er appellierte an Regierung und Opposition, an Bund und Länder sich nun dieser „gesamtstaatlichen Kraftanstrengung“ zu stellen: „Das erwarte ich, das erwarten die Menschen in Deutschland, und zwar über parteipolitische Grenzen und staatliche Ebenen hinweg. Dafür stehen alle demokratischen Kräfte in unserem Land in der Verantwortung.“
„So viel Schmerz, so viel Trauer“, sagt Steinmeier, „jedes Wort – zu viel. Und doch zu wenig.“
In Solingen, so kritisierte Steinmeier, habe „der Staat sein Versprechen auf Schutz und Sicherheit nicht einhalten können“. In Anspielung auf einen im Juni 2023 gescheiterten Versuch, den Attentäter abzuschieben und nach Bulgarien zu überstellen, sprach er von „Fehlern und Versäumnissen“, die der Staat jetzt aufklären müsse.
Steinmeier hatte am Sonntag vor seiner Rede zunächst Angehörige der drei Todesopfer des Attentats und Verletzte sowie einige Retter und Nothelfer getroffen. Anschließend legte er einen Kranz auf dem Solinger Fronhof nieder, dem Tatort. Erst vor 15 Monaten hatte Steinmeier im Solinger Konzerthaus gesprochen – aus Anlass des 30. Jahrestags des rechtsextremistischen Brandanschlags vom 29. Mai 1993 auf das Haus der türkisch-stämmigen Familie Genç, bei dem fünf Menschen ums Leben gekommen waren.
Neben Steinmeiers Rednerpult brannten am Sonntag drei Kerzen für die drei Toten. Der Bundespräsident versuchte sich als Antreiber der Politik, aber auch als eine Art Seelsorger für die erneut von Gewalt getroffene Stadt: „So viel Schmerz, so viel Trauer“, sagte er, „jedes Wort – zu viel. Und doch zu wenig.“ Für die Angehörigen gebe es keinen Trost: „Aber Sie sind mit Ihrem Schmerz nicht allein. Heute trauern wir hier gemeinsam und mit uns die Menschen in ganz Deutschland.“ Islamisten und Rechtsextremisten hätten zwar unterschiedliche Ideologien. Doch eines verbinde sie: „Sie zielen auf unser Herz, unsere Freiheit – auf das, was uns ausmacht.“ Die Gesellschaft dürfe sich vom Terror nicht spalten lassen: „Lassen wir uns nicht auseinandertreiben und nicht gegeneinander aufhetzen. Stehen wir zusammen!“
Solingen selbst, so sagen es viele Menschen in der Stadt, sucht nun Ruhe. Am vergangenen Freitag wählten etwa 250 Bürger eine völlig andere Form des Gedenkens als am Sonntag: Sie versammelten sich um 21.37 Uhr, exakt eine Woche nach der Messerattacke des mutmaßlichen Islamisten, mit Oberbürgermeister Tim Kurzbach und seiner Frau auf dem Fronhof zum stillen Gedenken. Sie stellten Kerzen auf – und schwiegen.
Am Sonntag im Saal dankte Kurzbach den Besuchern für ihre Anteilnahme. „Warum immer Solingen?“, rief der Oberbürgermeister in den Saal. Kurzbach versprach im Namen seiner Stadt: „Wir werden weltoffen bleiben. Wir werden auch wieder zur Lebendigkeit zurückfinden.“ Solingen werde 2025 erneut ein Stadtfest feiern und „nachholen, was ein Terrorist uns nehmen wollte“. Steinmeier und andere Gäste seien eingeladen: „Kommen Sie wieder zu uns, um Solingen nicht nur in der Trauer kennenzulernen, sondern auch in seiner Lebensfreude.“
Anmerkung der Redaktion: Eine frühere Fassung des Artikels zitierte Steinmeier mit dem Halbsatz, Deutschland könne dieses Land „nur bleiben, wenn wir die Zahl derer herunterbringen, die ohne Anspruch auf diesen besonderen Schutz zu uns kommen.“ So stand es auch im Redemanuskript des Bundespräsidenten. Tatsächlich aber sagte er in seiner Rede dann, Deutschland könne dieses Land nur bleiben, „wenn uns die Zahl derer, die ohne Anspruch auf diesen besonderen Schutz (sind), nicht überfordert.“ Wir haben die entsprechende Stelle korrigiert.