Solidarpakt:156 Milliarden Euro für den Osten

Bis 2019 will der Bund den Aufbau Ost noch mit Milliardenbeträgen unterstützen. Zwei Drittel der im Solidarpakt II zugesagten Gelder werden im Rahmen des Länderfinanzausgleichs vergeben - Geld, auf das nun strukturschwache Regionen im Westen Anspruch erheben.

Markus C. Schulte von Drach

Solidarisch wollten die Bundesländer der alten Bundesrepublik mit den Ländern der ehemaligen DDR sein. Schließlich hatten viele Deutsche im Osten unter den Folgen des real existierenden Sozialismus zu leiden.

Die Wiedervereinigung sollte - so die Hoffnung der Ostdeutschen und die Versprechen der Politiker im Westen - dazu führen, dass in den neuen Bundesländern innerhalb einiger Jahre ein sich selbst tragendes Wirtschaftswachstum erreicht wird und die Lebensbedingungen denen im Westen entsprechen. Notwendig war dazu eine Modernisierung der Infrastruktur, ökologische Altlasten mussten beseitigt und der Wohnungsbau saniert werden.

Ganz real drückte und drückt sich die Solidarität der alten Bundesländer und ihrer Bürger darin aus, dass Geld in den Osten fließt. So zahlen Arbeitnehmer im Westen wie im Osten seit 1991 den Solidaritätszuschlag (Soli) als Ergänzungsabgabe zu den Steuern. Es handelt sich um heute 5,5 Prozent der Einkommens- beziehungsweise Lohnsteuer oder der Körperschaftssteuer.

Darüber hinaus hatte die Bundesregierung mit den Bundesländern 1993 vereinbart, dass im Rahmen des sogenannten Länderfinanzausgleichs die fünf ostdeutschen Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie Berlin besondere finanzielle Zuweisungen erhalten. 1995 trat diese Vereinbarung als Solidarpakt I in Kraft. Bis 2004 erhielten die neuen Bundesländer und ihre Gemeinden nach Auskunft der Bundesregierung 94,5 Milliarden Euro.

Das Ziel, bis zu diesem Zeitpunkt Osten und Westen wirtschaftlich auf einen ähnlichen Stand zu bringen, wurde trotz der Investitionen deutlich verfehlt - und das hatte man bereits lange vor dem Ende des Solidarpakts I vorhergesehen.

Schon 2001 wurde deshalb der Solidarpakt II beschlossen. Darin wurde festgelegt, dass bis 2019 insgesamt 156,5 Milliarden Euro in die fünf östlichen Bundesländer transferiert werden sollen. 51,1 Milliarden Euro davon zahlt der der Bund als Zuwendungen an den Osten zur Förderung der Wirtschaft und Infrastruktur. Dazu kommen 105,3 Milliarden Euro, die die ostdeutschen Länder und Berlin in Form von Bundesergänzungszuweisungen im Länderfinanzausgleich erhalten sollen.

Über den Länderfinanzausgleich verteilen Bund und Länder die steuerlichen Einnahmen, und zwar über den eigentlichen Länderfinanzausgleich und den Umsatzsteuerausgleich. Von reicheren Ländern mit hohem Steueraufkommen fließt hier Geld an die ärmeren, um zu gewährleisten, dass diese ihre öffentlichen Aufgaben erfüllen können. 2011 waren es beispielsweise 7,3 Milliarden Euro, die von Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und auch Hamburg gezahlt wurden. Profitieren durften davon vor allem Berlin (drei Milliarden), die fünf neuen Bundesländer und Bremen.

Im Rahmen des Länderfinanzausgleichs finden aber auch die Bundesergänzungszuweisungen statt. Die Gelder hierfür stammen aus den Bundessteuern sowie Anteilen der Einkommens-, Lohn-, Körperschafts- und Umsatzsteuern. Zwar erhalten auch einige westliche Bundesländer, etwa Bremen, auf diese Weise Unterstützung. Über den Solidarpakt II sind jedoch für den Osten jährliche Beträge festgeschrieben, die sich bis 2019 auf die 105,3 Milliarden Euro summieren sollen. 2011 zum Beispiel wurden insgesamt zwölf Milliarden Euro Bundesergänzungszuweisungen gezahlt, fast 11,5 Milliarden flossen in den Osten. Für die ostdeutschen Bundesländer festgeschrieben waren laut Stabilitätspakt acht Milliarden.

Proteste im Westen

In Nordrhein-Westfalen betrachtet man sich jetzt als extrem benachteiligt: Die Finanzsituation in den Kommunen ist ausgesprochen schlecht. In den strukturschwachen Regionen im Westen ruft man schon lange um Hilfe. Trotzdem zahlte das Land 2011 im Rahmen des Länderfinanzausgleichs unterm Strich mehr als zwei Milliarden Euro, erhielt jedoch keinen einzigen Euro aus den Bundesergänzungszuweisungen.

Dabei geht es dem Osten längst nicht mehr so schlecht, kritisieren nun insbesondere die Bürgermeister im Ruhrgebiet die gegenwärtige Förderungspraxis. Auch eine Studie zum Aufbau Ost, die vom Bundesinnenministerium in Auftrag gegeben, aber lange Zeit nicht veröffentlicht wurde, kommt zu diesem Fazit.

Wie deutsche Medien Ende Februar berichteten, haben mehrere Institute unter Federführung des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH) in dem Gutachten "Wirtschaftlicher Stand und Perspektiven für Ostdeutschland" festgestellt, dass die Unterschiede zwischen Ost und West noch immer groß sind - sich die Lebensverhältnisse jedoch auch trotz der Investitionen nicht angleichen werden.

Jetzt müsse man "alle strukturschwachen Regionen in Deutschland in gleicher Weise behandeln. Die Neuen Länder dürften wegen ihrer strukturellen Schwächen [...] weiterhin nahezu flächendeckend zum Fördergebiet gehören. Jedoch wird in der absehbaren Zukunft allein mit politischen Interventionen eine Angleichung der Wirtschaftskraft Ostdeutschlands an westdeutsche Durchschnittswerte nicht möglich sein", heißt es in dem Papier, das inzwischen verfügbar ist.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) forderte daraufhin bereits zusätzlich Hilfen des Bundes für strukturschwache Regionen im Westen: "Nun ist erst einmal Westdeutschland dran", erklärte sie dem Handelsblatt zufolge.

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