Süddeutsche Zeitung

Solidaritäts-Demonstrationen:Autofahren für Deniz Yücel

  • In Berlin und anderen deutschen Großstädten gehen zahlreiche Menschen aus Solidarität mit Deniz Yücel auf die Straße - zu Fuß oder auf Rädern.
  • Politiker, Kollegen des in der Türkei inhaftierten Welt-Journalisten und andere Bürger fordern seine Freilassung - und mehr Druck von der Bundesregierung auf die Regierung in Ankara.

Von Charlotte Haunhorst und Antonie Rietzschel, Berlin

Die Fenster in der türkischen Botschaft in Berlin sind längst dunkel, als sich auf dem Platz gegenüber ungefähr 200 Menschen versammeln, um gegen die Inhaftierung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel zu demonstrieren. "Wir sind keine Gegner der Türkei", stellt der Bundestagsabgeordnete und Grünen-Chef Cem Özdemir klar, als er ins Mikrofon spricht. Doch die Pressefreiheit müsse geachtet werden.

Die Kundgebung findet auf Initiative des Grünen-Bundestagsabgeordneten Özcan Mutlu statt. Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch sagt, im Fall Yücel gehe es um grundsätzliche Werte. Dass der Journalist jetzt in Untersuchungshaft sitze, sei nicht zu akzeptieren. "Pressefreiheit muss überall gelten und in Deutschland wird dafür aufgestanden", sagt Bartsch.

Der 43-jährige Deniz Yücel war am Montag in der Türkei in Untersuchungshaft genommen worden. Zuvor war er fast zwei Wochen lang in Polizeigewahrsam festgehalten worden. Yücel hat immer wieder kritisch über die türkische Regierung und Präsident Erdoğan berichtet. Nun werden ihm Propaganda für eine terroristische Vereinigung und Aufwiegelung der Bevölkerung vorgeworfen.

"Deniz ist nur einer von vielen", sagt der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr. "Wir stehen hier auch für die anderen Journalisten, die in der Türkei in Haft sind. Diese Worte wird in der Botschaft wohl nur noch die Wachmannschaft hören. Doch dass man in Deutschland nicht einverstanden mit der Inhaftierung des Welt-Korrespondenten in der Türkei ist, hatte der türkische Botschafter am Nachmittag auch andernorts vernommen: Das Auswärtige Amt hatte ihn zu einem Gespräch geladen.

"Erdoğan weghupen" beim Autokorso

Fast zeitgleich zur Demonstration vor der Botschaft rollt auch ein Autokorso für Yücel durch Berlin-Mitte. Umringt von Polizei und Presse sind zwischen 100 (laut Polizei) und 150 (den Veranstaltern zufolge) Autos unterwegs. Alle Fahrzeuge sind beklebt mit "Free Deniz" (Befreit Deniz)-Plakaten oder Sprüchen wie "Erdoğan weghupen" und "Wir sind doch nicht zum Spaß hier". Auch ein paar Radfahrer fahren im Korso mit.

Dieser setzt sich langsam unter lautstarkem Hupen in Bewegung. Am Alexanderplatz ist für Straßenbahnen und andere Autos kein Durchkommen mehr. Am Rand stehen Passanten und applaudieren.

Auch in mehreren anderen Städten protestieren Menschen in ihren Fahrzeugen für die Freilassung Yücels - wenn auch nicht ganz so viele wie in Berlin. Beim Autokorso in Hannover und München werden 19, in Bremen 15 Fahrzeuge gezählt. Knapp 70 Wagen nehmen laut Polizei in Frankfurt an der Kundgebung teil.

In Köln protestieren Yücel-Unterstützer in etwa 50 Autos gegen dessen Inhaftierung. "Unser Kollege Deniz Yücel liebt Autokorsos", sagte der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), Frank Überall, der selber mitfährt.

Politiker und besorgte Bürger demonstrieren

Auch im Netz setzen sich derweil Menschen für die Freilassung des Korrespondenten ein. Nach weniger als einem Tag haben fast 60 000 eine entsprechende Petition auf der Plattform Change.org unterzeichnet. Der Schriftsteller und Satiriker Shahak Shapira hatte den Aufruf Dienstagnacht ins Netz gestellt. Dort heißt es: "Für die Freiheit von Information, Meinung, Wort und Kunst. Gemeinsam für und mit Deniz Yücel und allen zur Zeit in der Türkei inhaftierten Kolleginnen und Kollegen."

Vor der türkischen Botschaft in Berlin tragen am Dienstagabend viele Teilnehmer der Kundgebung weiße T-Shirts mit dem Konterfei von Deniz Yücel sowie Schilder mit der Aufschrift "Free Deniz". Neben Politikern von Grünen, Linken und der Piratenpartei sind auch Kollegen von Deniz Yücel dabei, aber auch Bürger, die sich um das Schicksal des Journalisten sorgen - und um die Pressefreiheit. "Ohne Journalisten wie Yücel wissen wir gar nicht, was in solchen Ländern los ist, sagt ein älterer Herr.

Unter den Demonstranten ist auch Schauspieler Vedat Erincin. Er stammt ursprünglich aus der Türkei, lebt aber seit 30 Jahren in Deutschland. Regelmäßig besucht er Freunde und Familie in der Heimat. "Ich fühl mich dort nicht mehr wohl", sagt er. "Nicht in Istanbul."

Die Inhaftierung Yücels hat ihn nicht sonderlich schockiert. Hunderte Journalisten seien immerhin inhaftiert, Erdoğan mache was er will, sagt Erincin. Dass die Kundgebung heute viel bringt, glaubt er auch nicht. "Natürlich können wir gegen die Regierung demonstrieren", sagt er und weist Richtung Botschaft, an deren Fassade der Halbmond plus Stern leuchtet. Doch eines ist ihm wichtig: "Die Bundesregierung muss Druck machen. Und der ist bisher zu wenig."

(Mit Material der Agenturen AFP und dpa)

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