Die SPD will die teilweise Soli-Abschaffung um ein halbes Jahr vorziehen. Statt von 2021 an, wie bisher geplant, soll die Abgabe auf die Einkommensteuer für fast alle Steuerzahler schon vom 1. Juli 2020 an wegfallen. Ein entsprechendes Angebot wollen die Sozialdemokraten am Abend im Koalitionsausschuss den Regierungspartnern von CDU und CSU unterbreiten. Eine einmalige Entlastung durch einen früheren Soli-Wegfall sei "eine gute Botschaft für viele Menschen und für das Konsumklima in unserem Land", sagte SPD-Parteichef Norbert Walter-Borjans in Berlin.
Die Koalitionspartner wollten sich von 20 Uhr an im Kanzleramt unter anderem mit den Bundesfinanzen beschäftigen. Im vergangenen Jahr war erneut ein Rekordüberschuss in Höhe von 13 Milliarden Euro erwirtschaftet worden; insgesamt sitzt der Bund inzwischen auf einer Rücklage von 48 Milliarden Euro. Diese Summe weckt Begehrlichkeiten. CDU und CSU hatten vorab dafür plädiert, die EEG-Umlage noch einmal drastisch um einige Milliarden Euro jährlich zu senken sowie die Steuern für Unternehmen zu reduzieren. Wenige Stunden vor dem Treffen ging dann die SPD mit dem neuen Vorschlag in die Offensive.

Soli-Zuschlag:Hunderte Euro mehr im Jahr
Von 2021 an wird der Soli-Zuschlag wegfallen. Was bringt das für Singles, Ehepaare oder Gutverdiener? Eine Übersicht.
Der Vorschlag hat seinen Ursprung in der Bundestagsfraktion der SPD. "Die Abschaffung des Soli für die breite Mitte der Bevölkerung ist gerecht", sagte Carsten Schneider, Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion in Berlin. Außerdem sei es "ökonomisch sinnvoll, weil wir damit die Binnennachfrage als zentrale Säule unseres Wirtschaftswachstums stärken". Der Spielraum dafür sei vorhanden. Die Kosten für das Vorziehen werden auf fünf Milliarden Euro beziffert.
Als sich das Parteipräsidium am Montag auch mit der anstehenden Sitzung des Koalitionsausschusses befasste und die Parteichefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans hinterher vor die Presse traten, war von einem Vorziehen der teilweisen Soli-Abschaffung noch nicht die Rede gewesen. Stattdessen heißt es in einem am Montag gefassten Präsidiumsbeschluss: "Deshalb wollen wir die Überschüsse im Bundeshaushalt von 13 Milliarden dazu nutzen, die Investitionstätigkeit des Bundes noch in dieser Legislaturperiode zu erweitern."
Am Mittwoch hat sich die Priorität offenkundig verschoben. Wie aus Parteikreisen verlautete, stünden inzwischen sowohl Finanzminister Olaf Scholz wie auch Walter-Borjans und Esken zu der Idee, die Soli-Abschaffung vorzuziehen. Walter-Borjans wies zugleich darauf hin, eine vorzeitige Entlastung bei Soli-Zuschlag dürfte allerdings "nicht zu Lasten der notwendigen höheren Investitionen in unser Gemeinwesen gehen". Scholz wollte sich zunächst nicht zu den Plänen äußern. Nach diversen internen Abstimmungsrunden war allerdings zu hören, dass er dem Plan einige Sympathien abgewinnen könne; auch aus finanzieller Sicht gebe es keine grundsätzlichen Bedenken.
Die SPD war bereits bei der Bundestagswahl 2017 mit der Forderung angetreten, den Zuschlag ab 2020 für untere und mittlere Einkommen abzuschaffen. In den Koalitionsverhandlungen einigte man sich dann mit der Union auf 2021. Konkret hat sich die Koalition darauf verständigt, den Soli-Zuschlag ab 1.1.2021 für 90 Prozent der Steuerzahler komplett und für weitere gut sechs Prozent der Besserverdiener abzuschaffen. Konkret sollen Steuerpflichtige bis zu einem Jahresbruttoeinkommen von 74000 Euro komplett entlastet werden. Wer weniger als 109000 Euro brutto im Jahr verdient, wird teilweise entlastet. Wer mehr verdient, muss den kompletten Soli-Zuschlag bezahlen, der 5,5 Prozent der Einkommensteuer beträgt.
Offen blieb zunächst, ob CDU und CSU den Vorschlag der SPD mittragen. Die Union hatte bisher immer gefordert, den Soli-Zuschlag komplett abzuschaffen. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) wollte den Ergebnissen des Koalitionsausschusses am Mittwoch nicht vorgreifen. "Wenn der politische Wille da ist, kann man aus Haushaltsüberschüssen auch eine Entlastung bei Preisbestandteilen des Strompreises vorsehen", sagte er bei der Vorstellung des Jahreswirtschaftsberichtes. Ziel müsse sein, die Strompreise dem Niveau in anderen europäischen Staaten "von oben" anzunähern. "Dass wir da an der Spitze liegen, ist für die Industrie nicht förderlich." Zugleich bekräftigte er seine Haltung zum Soli: "Ich halte die Komplettabschaffung weiterhin für richtig", sagte Altmaier.
Seitdem Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans im Dezember an die Spitze der SPD gerückt sind, stehen sie unter Druck, dem Koalitionspartner weitere Verhandlungserfolge abzutrotzen. Im innerparteilichen Wettbewerb um den Parteivorsitz hatten sie in Aussicht gestellt, mehr sozialdemokratische Politik im Bündnis durchzusetzen und weniger Kompromisse einzugehen. Neben einem raschen Anstieg des Mindestlohns auf zwölf Euro verlangten sie ein Investitionsprogramm über 450 Milliarden Euro für die kommenden zehn Jahre.
Beim Treffen der Koalitionsspitzen am Abend wollen sie mit CDU und CSU darüber beraten, wie sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt bessern lässt und der Einstieg in ein solches Investitionsprogramm gelingen kann.