Wenn sich das Bundesverfassungsgericht über ein Gesetz beugt, dessen Relevanz für den Bundeshaushalt sich in Milliarden messen lässt, dann ist stets eine gewisse politische Nervosität zu verzeichnen. Vergangenes Jahr hatte das Gericht die Koalition mit seinem Nein zum Klima- und Transformationsfonds in arge Nöte gebracht. Am 12. November verhandelt der Zweite Senat über den Solidaritätszuschlag, der zuletzt mehr als elf Milliarden Euro in die Staatskasse spülte – für den nächsten Haushalt, wie auch immer er zustande kommen möge, durchaus eine Summe mit politischer Brisanz. Die Politik blickt also nach Karlsruhe. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu dem Verfahren.
Was genau ist der Solidaritätszuschlag?
Der „Soli“, wie sein Kosename lautet, wurde erstmals 1991 eingeführt, lief aber bald wieder aus. Seit 1995 wird er als „Ergänzungsabgabe“ durchgängig erhoben, um die Kosten der deutschen Einheit zu finanzieren. Anfangs lag er bei 7,5 Prozent der Bemessungsgrundlage, 1998 wurde er auf 5,5 Prozent reduziert – und brachte dem Bundeshaushalt bis 2018 Einnahmen von mehr als 310 Milliarden Euro. Danach beschloss die damalige schwarz-rote Koalition die allmähliche „Rückführung“ des Zuschlags.
Wie sieht der geplante Ausstieg aus dem Soli aus?
Seit 2021 werden nur noch etwa 900 000 Steuerzahler mit sehr hohem Einkommen in der vollen Höhe von 5,5 Prozent mit dem Zuschlag belastet. Darunter gibt es eine „Gleitzone“ mit abgestuftem Zuschlag, aber rund 90 Prozent der Steuerzahler sind komplett davon befreit. Offen ist freilich, wie lange dieser Ausstieg für die verbleibenden Soli-Zahler dauern soll; eine definitive Frist hat der Gesetzgeber nicht genannt.
Wer hat gegen den Soli geklagt?
Hinter der Verfassungsbeschwerde stehen sechs FDP-Abgeordnete, darunter Florian Toncar und Katja Hessel. Die beiden waren bis vergangene Woche Parlamentarische Staatssekretäre im Bundesfinanzministerium, das in Karlsruhe eigentlich der natürliche Verteidiger der Steuer wäre. Ihre Amtszeit endete aber mit dem Ausscheiden von Christian Lindner als Minister. Lindner war ohnehin selbst ein Gegner des Solis, weshalb mit ihm an der Spitze eigentlich keine starken Argumente zur Weitergeltung der Steuer zu erwarten waren. Nun aber führt Jörg Kukies das Ministerium, ein Vertrauter von Olaf Scholz. Das könnte die Tonlage des Ministeriums in der Verhandlung verändern.
Warum halten die Kläger den Zuschlag für verfassungswidrig?
Ihr Kernargument lautet: Sein Zweck – die Finanzierung der deutschen Einheit – sei erfüllt. Sie begründen dies unter anderem damit, dass 2019 der sogenannte Solidarpakt II ausgelaufen sei, der die Kosten der Vereinigung ausgleichen sollte. Eine solche „Ergänzungsabgabe“ dürfe nicht auf Dauer erhoben werden, auch deshalb nicht, weil sonst die Einkommensverteilung zwischen Bund und Ländern in eine Schieflage gerate. Denn während Einkommens- und Körperschaftssteuer Bund und Ländern gemeinsam zufließen, profitiert von der Ergänzungsabgabe allein der Bund.
Was sagt die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dazu?
Wenig. Es gibt dazu ein einziges, kurzes Urteil von 1972, das freilich dem Gesetzgeber einen großen Spielraum einräumt. Eine zeitliche Befristung solcher Abgaben ist demnach nicht nötig. Das Gericht hat aber offen gelassen, ob eine Pflicht zur Abschaffung besteht, wenn die Voraussetzungen „evident“ entfallen. Auch darf der Zuschlag nicht so hoch ausfallen, dass er die Verteilung der Steuern zulasten der Länder „aushöhlt“. Allerdings hat der Gesetzgeber durch den Einsteig in den Ausstieg aus dem Solidaritätszuschlag erstens die Schieflage bei der Verteilung verringert und zweitens signalisiert, dass die Abgabe endlich ist. Das könnte gegen einen Erfolg der Klage sprechen. Richtig ist aber auch: Das vergangene Karlsruher Urteil liegt sehr lange zurück, solche Grundsätze können sich ändern.
Ist es ungerecht, dass inzwischen nur noch ein kleiner Teil der Steuerzahler den Soli zahlt?
Das könnte der interessante Teil des Verfahrens werden. Denn die vormalige Koalition hatte das Gesetz ausdrücklich mit „sozialstaatlichen Erwägungen“ begründet – die Leistungsfähigeren sollen höhere Lasten tragen, heißt das. Die Kritiker brandmarken dies als „Reichensteuer“ und halten eine soziale Staffelung für verfassungswidrig. Wenn man eine steuerliche Umverteilung wolle, müsse man eben direkt an die Einkommensteuer ran. Es wird also spannend, wie groß Karlsruhe den Spielraum für eine sozialpolitische Umverteilung bei solchen Nebensteuern bemisst. 1972 sah das Gericht hier kein Problem: Es sei auch bei Ergänzungsabgaben zulässig, soziale Gesichtspunkte zu berücksichtigen.
Wird Karlsruhe den Solidaritätszuschlag bestätigen?
Das ist schwer zu prognostizieren. Letztlich entscheidet sich dies daran, wie das Gericht in dieser Frage seine Rolle interpretiert – als kleinlicher Kontrolleur wie im Haushaltsurteil oder als zurückhaltende Aufsichtsinstanz, die dem demokratisch gewählten Gesetzgeber bei der Gestaltung der Steuern einen großzügigen Spielraum lässt.