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Sohn von Willy Brandt:"Die SPD ist Opfer des neoliberalen Globalisierungskonzeptes"

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Peter Brandt, Sohn des früheren Kanzlers Willy Brandt, provozierte seinen Vater schon vor 1968 als Trotzkist und in der APO. Ein Gespräch über die SPD, Nationalbewusstsein und Renitenz.

Interview von Lars Langenau

Peter Brandt, 69, ist der älteste Sohn von Willy Brandt und seiner zweiten Frau Rut. Seine Brüder sind der Schriftsteller und Filmemacher Lars und der Schauspieler Matthias Brandt. Mit ihrer norwegischen Halbschwester Ninja lebten die Brüder zumindest im Sommer in einer Art Patchworkfamilie, als es dieses Wort noch gar nicht gab. Er wuchs in Berlin als Sohn des Regierenden Bürgermeisters auf, doch als Willy Brandt 1966 Außenminister wurde, zog die Familie nach Bonn. Peter blieb in Berlin, machte in der geteilten Stadt sein Abitur und wurde Historiker. Später lehrte er als Professor Geschichte an der Fernuniversität Hagen. Lange war es ihm unbehaglich, auf seinen Vater angesprochen zu werden. Doch 2013 schrieb er "Mit anderen Augen" ein persönliches Buch über ihn. "Vor 20 Jahren hätte ich das noch nicht schreiben können, weil der Abstand nicht da war. Sein 100. Geburtstag war ein guter - und vielleicht letzter Anlass dazu."

SZ: Herr Brandt, wie viel Aufbruch und Widerstandsgeist aus dem Aufbruchjahr 1968 ist denn bei Ihnen persönlich noch vorhanden?

Kritisch-selbstkritisch sollte man ja immer bleiben, als Wissenschaftler ohnehin. Was den Widerstandsgeist betrifft, müssen andere das beurteilen. Ich selbst habe mir die Devise "suaviter in modo, fortiter in re" ("Stark in der Sache, milde in der Art", die Red.) zu Eigen gemacht, was auch meinem Naturell entspricht. Politisch bin ich in meinem Leben meist in der Minderheit gewesen, auch innerhalb der eigenen Gruppierungen, und habe mich öfter unbeliebt gemacht. Nonkonformismus als Attitüde liegt mir aber nicht.

Sie waren um das Jahr 1968 sehr aktiv. Wie kamen Sie als Sohn von Willy Brandt zur Außerparlamentarischen Opposition?

Peter Brandt: Ich stieß über die Falken, die Quasi-Jugendorganisation der SPD, zur APO. Die Falken waren antikapitalistisch und weil sie auch antistalinistisch waren, und sich gegen den SED-Staat positionierten, gab es eine Verbindung zu Rudi Dutschke: Dutschke und andere konnten 1965/66 an der Volkshochschule Charlottenburg einen "marxistischen Grundkurs" veranstalten. Dahin habe ich als 17-Jähriger dann meine Falken-Gruppe geschleppt.

Welche Beziehung hatten Sie zu Dutschke?

Ich habe ihn und seine Frau Gretchen mehrfach zu Hause in Wilmersdorf besucht und für meine Schülerzeitung Roter Turm eins der ersten Interviews überhaupt mit ihm geführt. Ich fand ihn als Typ beeindruckend. Und ich glaube, dass er mich mochte. Aber es war nicht so, dass ich jedes seiner Worte als der Weisheit letzten Schluss empfand.

Sie hatten einen berühmten Vater. War der kein Vorbild für Sie?

In mancher Hinsicht sicherlich, aber ich habe mir relativ früh meine eigenen Gedanken gemacht.

Sie hatten auch Kontakt zu dem RAF-Mitgründer und heutigen Neonazi Horst Mahler.

Mahler hat mich 1968 vor Gericht wegen Demonstrationsdelikten verteidigt. Er hatte damals einen exzellenten Ruf als Strafverteidiger. Dass er zum Terroristen und später zum Rechtsextremen werden würde, konnte man nicht ahnen.

Wie weit links standen Sie denn selbst damals?

Sehr weit, aber eher in einem traditionell-sozialistischen Sinn. Ich war Trotzkist. Damit war ich in eine strikte Organisationsstruktur eingebunden: Dieser halbkonspirativen Gruppe trat man nicht bei, sondern wurde "rekrutiert". Und man konnte nicht einfach passives Mitglied sein, sondern musste aktiv mitmachen.

Hört sich autoritär an ...

Dieser, jedenfalls dem Anspruch nach, ziemlich stramme Haufen mit dem schönen Namen "Vierte Internationale, deutsche Sektion" hatte in den 50er Jahren beschlossen, verdeckt innerhalb der großen Arbeiterpartei SPD zu wirken. In Frankreich war es die Kommunistische Partei, in England die Labour Party. Dort erwartete man den großen Politisierungs- und Radikalisierungsprozess.

Hatten die Parteien damit kein Problem?

Man trat da nicht offiziell als Trotzkist auf, sondern lehnte sich an bestehende Strömungen an und wollte diese dann in seine Richtung treiben. Als meine Genossen und ich 1968 die Organisation "Spartacus" gründeten, war das der Bruch mit dem "Entrismus" in der SPD, also der taktischen Unterwanderung.

Die DKP bekam Geld aus der DDR, die Maoisten aus China. Woher kam das Geld für die Trotzkisten?

Sie finanzierten sich über hohe Mitgliedsbeiträge. Es gab kein "Vaterland aller Werktätigen".

Sie waren also Trotzkist und zugleich Mitglied in der SPD?

Irgendwann nicht mehr, weil Spartacus kurioserweise selbst einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit der SPD gefasst hat und ich dann ausgetreten bin. Ich blieb allerdings immer über meine gewerkschaftlichen und politischen Aktivitäten auch im Dunstkreis der Sozialdemokratie. 1994 wurde ich wieder Mitglied. Damals war Rudolf Scharping SPD-Vorsitzender, der zwar von den Medien nicht gemocht wurde, aber erstmals seit den 70er Jahren der SPD wieder ein Plus verschaffte - und es mit mehr als 36 Prozent für Helmut Kohl ziemlich eng machte.

Über Scharping sagte Ihr Vater einmal: "Vergesst mir den Mainzer nicht!" Neben Engholm, Schröder und Lafontaine galt er als sein politischer Enkel.

Ein offizieller Titel war das mit den "Enkeln" natürlich nicht, aber die vier waren altersmäßig und im Hinblick auf ihre Befähigung diejenigen, die ihm hätten nachfolgen können. Besonders zu Lafontaine hatte mein Vater bekanntlich zeitweise einen engen Draht. Er ist ein Mann mit enormen politischen Fähigkeiten. Das Saarland war nie eine sichere Bank für die Sozialdemokraten, aber er konnte das Volk ansprechen und dort Mehrheiten von mehr als 54 Prozent erreichen.

Und 1990 versemmelte er dann als Spitzenkandidat der SPD die Bundestagswahl ...

Er hatte nicht verstanden, die berechtigte Kritik an Kohls Einigungspolitik mit einer Umarmung der Ostdeutschen zu verbinden. Stattdessen gab er ihnen das Gefühl, dass er sie übrigens in der Bundesrepublik gar nicht dabei haben wollte. Zum Teil war das Taktik, weil er dachte, dass man im Westen eher Wahlen gewinnen könnte, wenn man den Ostdeutschen nicht so weit entgegenkommt.

Im Westen dachten viele bis 1989, dass die BRD und die DDR zwei legitime Staaten sind und die Zweitstaatlichkeit unverrückbar ist.

Da gibt es sicher einen Unterschied, ob man in Berlin oder in Westdeutschland gelebt hat. Natürlich gab es auch in Berlin Menschen, für die ihr Deutschland an der Mauer endete und nach Westen und Süden erst wieder in Helmstedt beziehungsweise an der bayerischen Grenze begann. Ich habe Berlin noch ungeteilt, beziehungsweise nur administrativ getrennt erlebt und empfand die Teilung Deutschlands immer als unnatürlich. Allerdings konnte ich mir eine Wiedervereinigung auch nie als simple Angliederung des einen Teils an den anderen vorstellen. Übrigens hätte es meines Erachtens auch eher dem Geist des Grundgesetzes entsprochen, wäre gemäß Artikel 146 eine Nationalversammlung gewählt worden, die dann eine neue Verfassung ausarbeitet und über die es dann eine Volksabstimmung gegeben hätte. Es kam bekanntlich anders.

Hatten Sie erwartet, dass die Sowjetunion implodieren würde?

Nein. Klar war die UdSSR wirtschaftlich in einer katastrophalen Lage, aber es erstaunt mich noch immer, dass die Sowjets im Frühjahr/Sommer 1990 mit der Hinnahme der Nato-Mitgliedschaft ganz Deutschlands ihren letzten Trumpf aus der Hand gaben. Gorbatschow muss gedacht haben, es beginnt ein neues Zeitalter mit einer neuen Sicherheitsstruktur und dass auch die Nato nicht einfach so weiterbestehen würde. Da hat er sich getäuscht.

Wieso hat die SPD in weiten Teilen Ostdeutschlands niemals Fuß fassen können?

Erstens waren die sozialdemokratische Tradition trotz oder wegen der SED-Diktatur 1990 viel schwächer als in den 50er und 60er Jahren. Zweitens sträubte sich die neugegründete SDP/SPD gegen die Aufnahme früherer SED-Mitglieder, die zu einem hohen Anteil hätten gewonnen werden können. CDU und FDP waren da mit der Aufnahme früherer Blockparteien weniger wählerisch. Drittens hatte, wie gesagt, Lafontaine kein Gespür für die Empfindungen der ostdeutschen Landsleute. Die Diskrepanz zum Agieren Willy Brandts war unübersehbar.

Viertens ...

... hatte sich die SPD zu lange versagt, die Status-quo-überwindende Zielsetzung ihrer Entspannungspolitik öffentlich zu benennen, als dass sie 1989/90 imstande gewesen wäre, massenwirksam mit einem eigenen Deutschlandplan hervorzutreten. Inzwischen geht es, angesichts der meist schwachen Parteienbindung in den östlichen Bundesländern, eher um die Frage, was das Alleinstellungsmerkmal der SPD ist: zwischen CDU und Linkspartei.

In Bayern gab es zur Bundestagswahl ein Plakat mit dem Slogan: "Strauß würde heute AfD wählen." Was würden Sie unternehmen, wenn rechte Gruppierungen Ihren Vater in dieser Richtung vereinnahmen wollten?

Das gab es schon: Im Rahmen eines Landtagswahlkampfs feierte die inzwischen aufgelöste DVU in Sachsen-Anhalt vor etlichen Jahren Ebert, Schumacher und Brandt als große Sozialisten und Patrioten. Tote Indianer sind bekanntlich gute Indianer. Höchstwahrscheinlich hätte ich nichts gemacht, aber die SPD bat mich, als Familienmitglied dagegen zu klagen. Als ich das tat, hat es die DVU freiwillig zurückgezogen.

Sind Sie stolz auf den Vater?

Stolz ist ein schwieriges Wort in diesem Zusammenhang. Man kann eher auf seine Kinder stolz sein, weil man an denen irgendwie einen Anteil hat. Bei seinen Vorfahren hat man das definitiv nicht.

Als Ihr Vater Regierender Bürgermeister von Berlin war, haben Sie demonstriert und wurden in seiner Außenministerzeit sogar einmal festgenommen.

Eigentlich bin ich überhaupt kein Mensch, der provozieren will, niemand, der um der Opposition willen opponieren will. Ich war Teil einer Bewegung, die gegen die Notstandsgesetze und den Vietnamkrieg demonstrierte - und gegen Autoritäten rebellierte. Allerdings habe ich mich dann auch bemüht, nicht fotografiert zu werden, und darum, dass man mich in der breiten Öffentlichkeit nicht übermäßig zur Kenntnis nahm.

Trotzdem drohte Ihr Vater sogar mit Rücktritt, eben weil Sie ein so renitenter Demonstrant waren ...

Als er 1965 zum zweiten Mal als Kanzlerkandidat antrat, hatte ich einen Aufruf zur Beendigung der US-Intervention in Vietnam unterschrieben. Ich zog infolge großer öffentlicher Empörung die Unterschrift auf Rat meiner Freunde im SDS formell zurück, aber mit dem Hinweis, dass ich trotzdem zu 100 Prozent dahinterstehen würde. Später dann habe ich im Anschluss an eine Veranstaltung in Berlin an einer nicht genehmigten Demo mit ein paar Hundert Leuten teilgenommen. Als Willy davon erfuhr, sagte er mir sinngemäß: Wenn du damit nicht aufhörst, muss ich als Bürgermeister zurücktreten. Ich glaube nicht, dass er das ernsthaft in Erwägung zog, aber er war sichtlich erbost und aufgebracht.

Warum hat sich Ihr Vater nicht öffentlich gegen den Vietnam-Krieg gestellt?

Weil seine Optik damals ganz vom Ost-West-Konflikt bestimmt war: Berlin als Frontstadt des Kalten Krieges, deren Schutz nur die Amerikaner garantieren konnten. Er hätte jede eigene Kritik an den USA als unzulässig empfunden.

Was hat "1968" mit Ihrem Bild von Deutschland zu tun?

Eine Zeit, in der sich die gesellschaftlichen Werte verschoben. Für viele war es auch ein Generationenkonflikt, weil sie sich mit ihren Vätern auseinandersetzten. Ich hatte es da natürlich leichter mit Eltern, die Antifaschisten waren. Man kann niemandem vorhalten, dass er aus einer Nazifamilie stammt, aber da hat man es natürlich schwerer mit dem Verhältnis zu Deutschland. Ich bin mit einer positiven Identifikation mit Deutschland aufgewachsen. Mein Vater verwahrte sich Zeit seines Lebens gegen die Gleichsetzung von Deutschland und Nazismus. Obwohl es keine Woche in meinem Leben gibt, in der ich nicht an die Massenverbrechen der Nazis gedacht habe, würde ich nie so abwegige Begriffe wie "Tätervolk" benutzen.

Nationalismus ist einer Erfindung des 19. Jahrhunderts. Wie kann man in dieser Logik stolz auf sein Land sein?

Wir sollten zwischen der Nation als einer historisch gewachsenen Kommunikations- und Bewusstseinsgemeinschaft beziehungsweise dem Nationalstaat einerseits, dem Nationalismus in der pejorativen Bedeutung der Alltagssprache andererseits unterscheiden. Nations- und Nationalstaatsbildung, in der Regel verbunden mit den liberal-demokratischen Emanzipationsbewegungen, waren Prozesse hauptsächlich des späten 18. und des 19. Jahrhunderts. Um "Stolz" geht es mir nicht, sondern um die im Zeitalter der Globalisierung gewiss reduzierte, aber nicht beendete Bedeutung des Nationalen in der gesellschaftlichen Realität. Das ist keine Frage der individuellen Entscheidung oder des Geschmacks.

Sind Sie denn stolz, Deutscher zu sein?

Ich denke nicht in den Kategorien des "Stolzes" oder - auf der extrem anderen Seite - des nationalen Selbsthasses. Wenn ich mich aber darauf einlassen soll, dann empfinde ich - neben dem Stolz auf die herausragenden Leistungen der Deutschen in den vergangenen tausend Jahren - ein hohes Maß an Scham für das, was in der NS-Zeit im deutschen Namen von Deutschen, allerdings nicht den Deutschen, angerichtet worden ist. Die Voraussetzung für das eine wie das andere ist die Identifikation mit dem eigenen Land - natürlich nicht im Sinne von "right or wrong - my country" - und Volk. Man kann auch von einem Sozialisationszwang sprechen. Diese Nähe, nennen wir sie ruhig Patriotismus, muss nicht im Gegensatz stehen zu dem in der Arbeiterbewegung tradierten Internationalismus und zu einer speziellen Verbundenheit mit Europa, zu dessen Reichtum übrigens auch die Vielfalt der Nationen und Ethnien gehört, mit seinen kulturellen, zivilisatorischen und politisch-emanzipatorischen Überlieferungen.

Trotzkisten verstehen sich gemeinhin als strikte Internationalisten. Sie haben aber schon 1981 ein Buch über "Die Linke und die nationale Frage" veröffentlicht. Warum hat es Ihnen die Nation so angetan?

1981 war ich sicherlich kein Trotzkist mehr, aber davon abgesehen: International ist etwas anderes als anational oder gar antinational. Deutschland war ein geteiltes Land - mit negativen Konsequenzen für die innere Entwicklung beider Fragmente. Die klassische Sozialdemokratie des Kaiserreichs, der Weimarer Republik und die nach dem Zweiten Weltkrieg unter Kurt Schumacher kannte nicht die negative Besetzung des Begriffs Nation. Das ist eine neue Entwicklung seit den 1960er Jahren. Auch die DDR versuchte sich bis 1970 an einer positiven Identifikation mit der deutschen Gesamtnation. Sie steckte ihre Soldaten in die "Nationale Volksarmee", erfand die "Nationale Front des demokratischen Deutschlands" und so weiter. Ich trete heute übrigens für ein vereintes, supranationales Europa ein, dessen Bausteine realistischerweise nur die Nationalstaaten sein können.

Zurück in die Gegenwart: Warum ist die Sozialdemokratie überall auf dem Rückzug?

Mein Vater hat sich mit dem "Brandt-Bericht" von 1980 um gerechte Wirtschaftsbeziehungen zwischen dem Norden und Süden bemüht, aber der Faden wurde nicht weitergesponnen. Zusammenhänge zwischen Armut, Kriegsgefahr und Umweltzerstörung waren schon bald nicht mehr im Bewusstsein - auch nicht bei der SPD. Und gerade holt uns das mit den Wanderungsbewegungen aus dem Nahen Osten und Afrika ein. Selbst im reichen Norwegen habe ich 2011 zum ersten Mal Bettler gesehen. Dass es mit dem "Volksheim" in dieser einst homogenen und relativ egalitären Gesellschaft nicht mehr so läuft wie früher, ist spürbar. Die Sozialdemokraten sind Opfer des neoliberalen Globalisierungskonzeptes geworden, dem sie sich selbst weitgehend ergeben haben. Von den US-Demokraten bis zur SPD haben die Mitte-links-Parteien vor mehr als zwei Jahrzehnten diesen Weg betreten. So war Bill Clinton in gewisser Weise Vorbild von Tony Blair und der wiederum für Gerhard Schröder. Interessant ist aber, dass eine dezidiert linke Labour Party mit Jeremy Corbyn an der Spitze bei den jüngsten Wahlen in Großbritannien gut abgeschnitten hat - und auch ein Bernie Sanders hätte bei den Präsidentschaftswahlen in den USA womöglich gegen Donald Trump besser abgeschnitten als die mit der Finanzoligarchie liierte Frau Clinton.

Weltweit gewinnen Rechtspopulisten Macht. Wie bewerten Sie die Entwicklung und was muss die Linke dagegensetzen?

Es ist eine fehlgeleitete Reaktion auf die mit der Marktentgrenzung in der Epoche des vom Finanzmarkt getriebenen Kapitalismus einhergehenden Verunsicherungen. Allerdings ist es aber auch eine Reaktion, die sehr ernst zu nehmen ist. Die Parteien der linken Mitte und auch die der entschiedenen Linken müssen sich fragen, warum sie von großen Teilen ihrer "natürlichen" Klientel heute als Bestandteil der Eliten angesehen werden.

Was kann die Antwort darauf sein?

Man muss die Interessen der breiten Schichten des arbeitenden Volkes wieder in den Mittelpunkt stellen. Zunächst aber muss man die kulturelle Kluft zwischen der Mehrheit und dem urbanen, liberal-kosmopolitischen Milieu erkennen, das heutzutage den Ton angibt und für das andere Fragen als das Soziale essenziell sind.

Zunächst beharrten die deutschen Sozialdemokraten auf ihre Rolle in der Opposition. Gerade ist in dieser Position Entwicklung. Erst das Land, dann die Partei?

Direkt nach einem solchen Wahlergebnis war keine andere Entscheidung als möglich, ohne dass die Mitgliedschaft rebelliert hätte. Nach dem Scheitern von Jamaika bin ich für die Tolerierung einer Minderheitsregierung. Es ist also keine Entscheidung zwischen Land und Partei, sondern ich sage: das Land braucht eine wiedererstarkte und erneuerte SPD.

Was antworten Sie, wenn Sie gefragt werden, was Willy Brandts zu Problemen der heutigen Zeit sagen würde?

"Das weiß ich genauso wenig wie Sie" und "auch ich könnte nur vermuten". Das mögen andere tun.

In welchen Lebenssituationen hätten Sie sich gewünscht, Ihren Vater um Rat fragen zu können?

Ich habe ihn gelegentlich um Rat gefragt in sehr persönlichen und privaten Dingen, die nicht in die Öffentlichkeit gehören. Beruflich konnte ich naturgemäß keinen Rat in Anspruch nehmen, politisch ging es eher um Austausch als um Ratsuche.

In welchen Situationen spüren Sie, dass Sie der Sohn von Willy Brandt sind?

Wenn ich auf gelegentliche, mit dem Alter offenbar zunehmende Ähnlichkeiten im Äußeren, in der Körpersprache oder der Sprechweise hingewiesen werde. Und dann gibt es - ungehemmt eher auf den unteren Hierarchieebenen - bei nicht wenigen Sozialdemokraten eine gewissermaßen dynastische Verehrung. Damit kann ich inzwischen - eingedenk eigener Lebensleistung - freundlich-ironisch umgehen.

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