Bildungspolitik:"Dieser Kannibalismus löst keine Probleme"

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Ein Großteil der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf besucht in Bayern noch immer eine Förderschule. Dass diese Schulen gut ausgestattet sind, sei für Familien sehr wichtig, sagen Münchner Elternvertreterinnen (Symbolbild). (Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

Markus Söder kündigt an, er wolle in anderen Bundesländern Lehrkräfte abwerben. Nun ist die Empörung groß - und mindestens ein bisschen verlogen.

Von Paul Munzinger

Markus Söder ist einiges zuzutrauen. Doch dass er Häscher in den Rest der Republik entsendet, um arglose Lehrerinnen und Lehrer abzufüllen und nach Bayern zu verschleppen - dass er sie also "shanghait", wie man in der Seemannsprache sagt -, das dann doch eher nicht.

Man sollte es also nicht unbedingt wörtlich nehmen, sondern eher als Ausweis großer Verärgerung, dass Karin Prien, Kultusministerin in Schleswig-Holstein, Söder genau das nun vorwirft: "Gemeinsame Strategien und Kooperation sind die Antwort auf den Lehrkräftemangel", schrieb sie am Mittwoch auf Twitter, "nicht das Shanghaien und Abwerben!"

Söder hatte zuvor nicht nur enthüllt, dass er - anders als einst versprochen - eine dritte Amtszeit als bayerischer Ministerpräsident anstrebt. Er hatte auch verkündet, in den kommenden fünf Jahren 6000 Lehrerinnen und Lehrer an Bayerns Schulen einstellen zu wollen, die ausdrücklich auch aus anderen Bundesländern kommen sollen. Die Einladung nach Bayern, sagte Söder, werde man "mit einem Paket für Start- und Umzugshilfe" versehen. Was das genau bedeutet, ließ er offen.

"Das gehört sich nicht und bringt uns nicht weiter."

Der Ärger über diese Ankündigung in den anderen Ländern ist gewaltig - nicht nur bei Karin Prien. "Jedem Bundesland steht es frei, seine Vorteile als Arbeitgeber auch für Lehrkräfte herauszustellen", sagte Hessens Kultusminister Alexander Lorz der Süddeutschen Zeitung. "Aber es gibt die klare Absprache innerhalb der Kultusministerkonferenz, keine gezielten Abwerbeaktionen in anderen Bundesländern zu starten. Das gehört sich nicht und bringt uns nicht weiter."

Sachsens Kultusminister Christian Piwarz bezeichnete Söders Vorstoß als "unsolidarisch". Er starte damit "unverhohlen einen Überbietungswettbewerb, der zum Schaden aller Länder sein wird". Prien, Lorz und Piwarz gehören alle der CDU an.

Der Linken-Politiker Helmut Holter, Kultusminister in Thüringen, bezeichnete das gegenseitige Abwerben von Lehrkräften als "No-Go" und verwies auf eine Vereinbarung aus dem Jahr 2009. "Ich erwarte, dass sich Bayern an diese Regeln hält", sagte auch Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD). "Andernfalls werden vermutlich alle Länder das Fairnessabkommen aufkündigen. Dieser Kannibalismus löst keine Probleme."

2009 hatten die Länder in einem Abkommen vereinbart, dass "gezielte Werbe- und Informationsmaßnahmen in einem anderen Land" nur mit dessen Einverständnis zulässig seien. Unterhalb dieser Schwelle aber tragen sie einen offenen Wettbewerb aus, der sich in den vergangenen Jahren angesichts des dramatisch zunehmenden Lehrermangels verschärft hat.

Auch andere Länder versuchen bereits, Lehrkräfte anzulocken

Die nun so empörte Karin Prien etwa verkündete im Sommer stolz, dass Schleswig-Holstein endlich wieder "Lehrkräfteeinwanderungsland" sei - es wanderten also mehr Lehrerinnen und Lehrer aus anderen Bundesländern zu als in andere Bundesländer ab.

Auch Mecklenburg-Vorpommern lockt gezielt Lehrerinnen und Lehrer aus anderen Bundesländern - aber eben bei sich zu Hause. Mit Großplakaten an Bahnhöfen umwarb die Regierung zum Beispiel zu Weihnachten Heimkehrer, die aus Mecklenburg-Vorpommern stammen, anderswo arbeiten und über die Feiertage die Familie besuchten.

Vor allem aber tragen die Länder ihren Wettbewerb über die Arbeitsbedingungen aus. Wichtigstes Distinktionsmerkmal war lange Zeit die Verbeamtung, die es bis vor Kurzem in Berlin, Sachsen und Thüringen nicht gab - genau deshalb haben die drei Länder diese Lücke inzwischen geschlossen.

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Weil der Lehrermangel sich in den vergangenen Jahren vor allem an den Grundschulen bemerkbar machte, hob zuletzt ein Land nach dem anderen die dort beschäftigten Lehrkräfte auf die Besoldungsstufe A 13 an - zuletzt Hessen vor einer Woche. "Mit diesem Schritt", sagte Kultusminister Lorz, "sollen vor allem Wettbewerbsnachteile gegenüber angrenzenden Bundesländern vermieden werden."

Nur vier Bundesländer haben noch nicht nachgezogen: Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und das Saarland. Dass drei dieser vier Länder aneinandergrenzen, ist kein Zufall: Lehrerwanderungen finden vor allem unter Nachbarn statt. Von Söders Vorstoß sind also Hamburg und Schleswig-Holstein tendenziell weniger bedroht als Sachsen und Thüringen - zwei der Länder also, bei denen der Lehrermangel schon jetzt am größten ist.

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