Snowden zu Aussage in Deutschland bereit:Zu Besuch beim Kronzeugen

Edward Snowden in Moskau

So zeigte das russische Fernsehen Snowden

(Foto: Reuters)

Er bereut nichts: Für die USA ist Whistleblower Snowden ein Staatsfeind, doch für Deutschland ist er ein Zeuge von unschätzbarem Wert. Er sei zur Aussage bereit, wie Snowden versichert - unter Umständen auch in Deutschland.

Von Frederik Obermaier

Das Gespräch fand unter höchster Geheimhaltung statt: Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes hatten den Grünen-Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele vor dem Hotel Marco Polo im Zentrum Moskaus abgeholt. In einem grauen Van mit getönten Scheiben fuhren die Männer Ströbele an einen geheimen Ort, zu einem der meistgesuchten Männer weltweit: Zu Edward Snowden, dem ehemaligen US-Geheimdienstmann, dem Whistleblower, dem amerikanischen Staatsfeind.

Der NDR-Reporter und SZ-Mitarbeiter John Goetz war am Donnerstag bei dem klandestinen Treffen dabei. Er traf einen selbstbewussten jungen Mann, der sich seiner Verdienste durchaus bewusst ist. Snowden hat die amerikanischen Geheimdienste in ihre wohl schwerste Krise gebracht. "Ich bereue nichts", sagte er in Moskau.

Im hellblauen Hemd und einem etwas zu groß geratenen Sakko empfing der 30-Jährige seine Besucher aus Deutschland - zusammen mit der Wikileaks-Mitarbeiterin Sarah Harrison, die ihm seit seiner Flucht aus Hongkong nicht von der Seite weicht. In einem kargen Raum mit Naiver Kunst an den Wänden und russischen Vorspeisen auf dem Tisch erzählte Snowden, wie er vom patriotischen Geheimdienstmitarbeiter zum Whistleblower und Geheimdienstkritiker wurde. Damals - noch im Dienst der National Security Agency (NSA) - begann er, Datei um Datei von den Servern des Geheimdienstes herunterzuladen. Die größte Spionageaffäre weltweit nahm damit ihren Lauf.

Politiker sollen bestimmen, in welchem Ausmaß sie profitieren

"Ich habe das Ganze in Gang gebracht", sagte Snowden in Moskau, "aber Journalisten, Politiker, technische Experten und normale Bürger bestimmen am Ende, in welchem Ausmaß wir davon profitieren." Aus den Dokumenten, die Snowden seinem Arbeitgeber entwendet hat, erfuhr die Welt von den Machenschaften der NSA - einem Dienst, der "Aufklärung verhindert", so Snowden.

Jetzt kann jeder interne Schulungsunterlagen der amerikanischen Späher lesen, ihre Pläne, ihre Erfolgsstatistiken. Demnach scheute die NSA nicht davor zurück, Gebäude der Europäischen Union und der Vereinten Nationen zu verwanzen, Bundeskanzlerin Angela Merkel und andere Staatsschefs auszuspähen und die Daten von Millionen Internetnutzern abzuzapfen - und das alles im Namen des amerikanischen Volkes.

Snowden hat keine Daten an die Russen oder Chinesen weitergegeben

Snowden fordert nun einen Untersuchungsausschuss "wie das Church-Komitee". Der Sonderausschuss des US-Senats untersuchte 1975, wie amerikanische Geheimdienste versucht haben, ausländische Staatschefs zu töten, und wie sie Amerikas Linke im großen Stile ausgespäht hatten. Zum Vorwurf, seine Enthüllungen würden der US-Regierung schaden, sagte Snowden: "Was der Öffentlichkeit in den USA und in anderen Ländern hilft, das hilft auch der Regierung der Vereinigten Staaten."

Im Gespräch mit dem grünen Bundestagsabgeordneten Ströbele versicherte Snowden, dass er keine Daten an die Russen oder Chinesen weitergegeben habe. Er selbst habe derzeit gar keinen Zugriff auf die Daten. Den Journalisten, die mit seinen Dokumenten arbeiteten, mache er keine Vorgaben, sie müssten selbst entscheiden, welche Details sie interessant finden und welche nicht. Deshalb wolle er auch keine Interviews zum Inhalt der Dokumente geben. "Unabhängige Journalisten und Experten sollen sich ihr eigenes Urteil darüber bilden, was die Dokumente beinhalten."

Der Preis ist der Verlust von echten Kontakten

Snowden war Ende Juni von Hongkong nach Russland geflüchtet. Ziel war Lateinamerika, dort hatten ihm mehrere Länder Asyl angeboten. Doch Snowden kam nie dort an. Die Vereinigten Staaten erklärten seinen Pass für ungültig und lassen ihn per Haftbefehl suchen. Als Staatenloser ist der Mann, der den US-Geheimdiensten das Fürchten gelehrt hat, in Moskau gestrandet. "Die US-Regierung möchte ein Exempel statuieren: Wenn du die Wahrheit sagst, zerstören wir dich." Snowden ist gefangen in einem fremden Land, dessen Sprache er nicht spricht. "Der Preis für mein Handeln ist der Verlust von echten und regelmäßigen Kontakten zu meiner Familie und meinen Freunden."

Für die USA ist der junge Mann ein Staatsfeind, doch für Deutschland ist er ein Zeuge von unschätzbarem Wert. Ein Ermittlungsverfahren oder ein Untersuchungsausschuss ohne seine Informationen und seine Aussage ist weitgehend zum Scheitern verurteilt. Die Ermittler müssten sich auf Medienberichte und die Erkenntnisse der deutschen Geheimdienste verlassen - letztere, das hat die Affäre um das mutmaßlich abgehörte Handy der Kanzlerin gezeigt, sind bescheiden.

Grundsätzlich, so erklärte Snowden in Moskau, sei er zu einer Aussage bereit - unter Umständen auch in Deutschland selbst. Zuvor müssten allerdings einige juristische Dinge geklärt werden. "Ich freue mich, mit Ihnen in Ihrem Land zu sprechen, sobald die Situation geklärt ist", schreibt Snowden in einem Brief, den er Ströbele nach dem dreistündigen Gespräch mit auf den Weg gab. Er ist gerichtet an die Bundesregierung, den Bundestag und den Generalbundesanwalt. Unterzeichnet hat ihn: Edward Joseph Snowden.

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