Slowakei:Zorn mit Folgen

Slowakei: Der noch nicht aufgeklärte Mord an dem Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten stürzte die Slowakei in eine schwere innenpolitische Krise.

Der noch nicht aufgeklärte Mord an dem Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten stürzte die Slowakei in eine schwere innenpolitische Krise.

(Foto: Vladimir Simicek/AFP)

Slowakische Bürger und EU-Parlamentarier fordern die Aufklärung eines Journalistenmords, der im Land eine schwere innenpolitische Krise ausgelöst hatte.

Von Tobias Zick

Die Regierungskrise in der Slowakei hält an, und der Druck aus dem In- und Ausland wächst. Ende Februar hatten Unbekannte den 27-jährigen Investigativ-Journalisten Ján Kuciak sowie dessen Verlobte Martina Kušnirová in ihrem gerade frisch bezogenen Haus erschossen; Kuciak war zu dem Zeitpunkt mit Recherchen befasst, die Hinweise auf Korruption und mutmaßliche Mafia-Verbindungen in höchste Regierungskreise zutage förderten. Kurz vor seinem Tod hatte er begonnen, Anfragen zu verschiedenen Vorwürfen an slowakische Behörden zu verschicken. Der Doppelmord war der Auslöser für eine schwere Regierungskrise in dem EU-Land.

Zehntausende versammelten sich wiederholt auf den Straßen der Großstädte; es waren die größten Kundgebungen seit der "Samtenen Revolution", die 1989 zum Ende des kommunistischen Regimes führte: Zunächst ging es um Forderungen nach unabhängiger Aufklärung der Tat, später forderten immer mehr Demonstranten den Rücktritt der Regierung. Die versuchte zunächst, die Krise mit taktisch anmutenden Personalentscheidungen in den Griff zu bekommen: Gut zwei Wochen nach Kuciaks Tod erklärte der Innenminister und stellvertretende Regierungschef Robert Kaliňak seinen Rücktritt, um "zur Stabilisierung der Situation" beizutragen, doch die Proteste gingen weiter. Dann trat auch Premierminister Robert Fico zurück, eine zentrale Figur in den Recherchen des ermordeten Journalisten.

Anfang April gingen wieder Zehntausende auf die Straßen, getrieben vom Zorn darüber, dass das neue Kabinett zu wenig tue, um die Hintergründe des Doppelmords aufzuklären. Die Demonstranten forderten den Rücktritt des Polizeichefs Tibor Gaspar; zunächst vergeblich: Anfang dieser Woche trat sogar der neue Innenminister zurück, mit der Begründung, er sehe keinen Anlass für eine Entlassung des Polizeichefs - seine eigene Integrität sei ihm wichtiger als sein Posten.

Ein internationales Ermittlerteam soll jetzt die Mafia-Vorwürfe untersuchen

Tags darauf kündigte dann der Polizeichef Tibor Gaspar doch seinen eigenen Rücktritt bis Ende Mai an: Er wolle damit sicherstellen, dass die Polizei ihre Arbeit machen könne, ohne ständig in der Öffentlichkeit "angegriffen" zu werden. Selbst diese jüngste Wendung im Personalchaos dürfte den Zorn der Bürger nicht beschwichtigen, solange der Journalistenmord und die damit verbundenen Korruptionsvorwürfe nicht aufgeklärt sind.

Auch von außen wächst der Druck: Das Europäische Parlament hat am Donnerstag eine Entschließung verabschiedet, in der die Abgeordneten eine "umfassende, gründliche und unabhängige Untersuchung" des Doppelmords an Kuciak und seiner Verlobten fordern. Das Parlament äußerte sich zudem "darüber bestürzt, dass dies der zweite tödliche Anschlag auf Journalisten in der EU innerhalb eines halben Jahres ist", nachdem Mitte Oktober in Malta die Reporterin Daphne Caruana Galizia ermordet worden war. Es forderte die europäische Kommission auf, einen Fonds zur "ständigen finanziellen Unterstützung" von unabhängigem investigativem Journalismus einzurichten.

Unterdessen hat der slowakische Generalstaatsanwalt ein Abkommen unterzeichnet, das die Einrichtung eines gemeinsamen Ermittlerteams mit Vertretern der europäischen Strafverfolgungsbehörde Europol, der EU-Justizbehörde Eurojust sowie der italienischen Justiz vorsieht: Kuciaks Recherchen erhärten den Verdacht, dass die kalabrische Mafia-Organisation 'Ndrangheta zusammen mit slowakischen Regierungsvertretern vom Missbrauch von EU-Agrarsubventionen profitiert habe. Eine Delegation von EU-Parlamentariern plant eine Reise in den Osten des Landes, um mehr darüber zu erfahren, wer im Einzelnen von dem europäischen Fördergeld profitiert: "23 Prozent der Agrarflächen sind ohne Eigentümer und werden von einem Landfonds verwaltet", sagte die christdemokratische Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses, Ingeborg Grässle, der SZ: "Wir wollen schauen, wer die Großpächter in diesem Landfonds sind."

Nach Informationen des Magazins Politico hat inzwischen auch das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung Ermittlungen wegen Verdachts auf Missbrauch von EU-Geld aufgenommen. Für Freitagabend hatten Studenten eine weitere Demonstration in Bratislava angekündigt

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