Slowakei:System Mord

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Eine Gedenkstätte in Bratislava für den 2018 getöteten Journalisten Ján Kuciak und seine Freundin Martina Kušnírová. (Foto: Vladimir Simicek/AFP)

Der Geschäftsmann, der den Journalisten Ján Kuciak umbringen ließ, wirkte in höchste Politik- und Justizkreise hinein - und er wollte weiter töten lassen.

Von Viktoria Großmann, München

Es darf nicht fotografiert werden in dem Saal, in dem in der slowakischen Stadt Pezinok die Pressekonferenz stattfindet. Die Gesichter der beiden Staatsanwälte, die neue Ermittlungsergebnisse im Mordfall Ján Kuciak vorstellten, müssen unerkannt bleiben. Eine Sicherheitsmaßnahme. Es geht nicht mehr nur um den Doppelmord an dem damals 27-jährigen Journalisten und seiner gleichaltrigen Verlobten am 21. Februar 2018. Es geht nun um zwei weitere verübte und drei geplante Morde - an zwei Staatsanwälten und einem ehemaligen Innenminister. Vor allem geht es um das weit gespannte Netz des Geschäftsmannes Marián Kočner.

Dem 56-Jährigen wird vorgeworfen, den Mord an Kuciak in Auftrag gegeben zu haben, seit März sitzt er in Untersuchungshaft. Ein Verdächtiger hat inzwischen gestanden, die Schüsse auf das junge Paar in dessen Haus in Vel'ká Mača abgegeben zu haben. Der ehemalige Soldat soll bereits früher zwei weitere Morde verübt haben.

Doch nicht die Morde allein erschüttern die Slowakei. Es ist das System Kočner, das in höchste Regierungskreise reicht. Er selbst studierte Journalismus, hatte Anteile am TV-Sender Markíza und baute sich seit den Neunzigern seinen Reichtum mit Immobiliengeschäften und Finanzdeals auf. Ermittlungen wegen Steuerhinterziehung oder Geldwäsche gegen ihn verliefen stets im Sand. Nun wird offenbar, dass Kočner sein Imperium deshalb so ungestört aufbauen konnte, weil er Informationen direkt von der Polizei, aus Gerichten und von Politikern erhielt, die ihn deckten, Ermittlungen verschleppten oder gefällige Urteile sprachen. Kočner wusste, wie wichtig die sozialdemokratische Regierungspartei Smer-SD für seinen Schutz ist. Als er befürchten musste, dass die Regierungskoalition nach dem Mord an Kuciak und den Protesten der Bevölkerung ins Wanken gerät, versuchte er, sich abzusichern und die Regierung an der Macht zu halten.

Daniel Lipšic ist einer, der Kočner bei seinem Tun störte. Der 46-jährige Rechtsanwalt vertritt die Nebenklage der Familie Kuciak. In seiner Zeit als Innenminister von 2010 bis 2012 wollte Lipšic Untersuchungen in Fällen von Wirtschaftskriminalität gegen Kočner aufnehmen - und wurde von der Generalstaatsanwaltschaft daran gehindert. "Wie tief Kočners Einfluss reicht, ist mir schon lange klar", sagt Lipšic. "Doch dass er auch Morde in Auftrag gibt, hat mich schockiert." Lipšic stand selbst auf der Liste. Nachdem Kuciak und seine Verlobte erschossen worden waren, wurden die Morde an ihm und zwei Staatsanwälten in Auftrag gegeben. "Er muss mich richtig gehasst haben", sagt Lipšic über Kočner. Heute fühle er sich nicht mehr unsicher. "Kuciaks Familie und ich haben großes Vertrauen in die Arbeit der Ermittler und Staatsanwälte." Er erwarte einen Prozess, der das Land verändern wird. Im Oktober sollen Kočner und vier weitere Beschuldigte vor Gericht gestellt werden.

Fast täglich berichten Medien nun über neue Ermittlungsergebnisse der Polizei. Die slowakische Polizei hat mehr als 600 Kurznachrichten ausgewertet, die Kočner über den Messenger-Dienst Threema versendet hat. Threema gilt als extrem sicher. Die schweizerische Firma teilt mit, dass die Polizei wohl eine mit schwachem Passwort versehene, exportierte Datei ausgelesen habe. Andere Wege gebe es nicht, an Absender und Empfänger zu gelangen.

Aus den Textnachrichten werden nicht nur Kočners Verbindungen deutlich. Sie geben auch tiefen Einblick in die Haltung des schwerreichen Mannes. In Mitteilungen an seine Vertraute Alena Zsuzsová, die ebenfalls angeklagt werden soll, verhöhnte er die Getöteten. Der Mord hatte im Frühjahr 2018 heftige Proteste gegen die Regierung ausgelöst. Zwei Minister und Premier Robert Fico traten zurück, allerdings blieb Fico Parteivorsitzender der Smer-SD. Während der Proteste schrieb Kočner an Zsuzsová: "Gute Idee. Ich gründe eine Stiftung Heiliger Ján Kuciak - Patron der Journalisten. Wer wäre ein besserer Patron als jener, der eine Patrone im Körper hat?" Als seinen wichtigsten Mann sah Kočner ganz klar den früheren Premier Robert Fico an. In einem Luxus-Apartmentkomplex in Bratislava lebte er mit ihm Tür an Tür. "Wenn die Regierung abtritt, hilft es dir nicht einmal, dich am Nordpol zu verstecken", soll Zsuzsová an Kočner geschrieben haben.

Der frühere Premier geht auf die Presse los: Diese führe einen "Dschihad" gegen seine Partei

Derzeit müssen sich die Vorsitzenden der Koalitionsparteien gegen Vorwürfe verteidigen, sich mit Kočner verabredet zu haben, um die Regierung zu erhalten. Fest steht, dass sie trotz Kritik an der Smer-SD den Koalitionsbruch nicht gewagt haben. Für den Fall, dass dieser dennoch kommt, soll Kočner Pläne gehabt haben, die Sozialdemokraten mithilfe der rechtsextremen Volkspartei Unsere Slowakei L'SNS an der Macht zu halten. Gegen die Partei lief ein Verbotsverfahren wegen faschistischer Umtriebe. Kočner soll versucht haben, auf das Gericht so Einfluss zu nehmen, dass es die Partei nicht verbietet. Das zuständige Gericht weist Verbindungen zurück.

Daniel Lipšic erfüllen die Ermittlungsergebnisse auch mit Hoffnung. Der Anwalt glaubt, dass noch viel mehr ans Licht kommen werde. "Die Slowakei ist bereit für einen Neustart", sagt er. Einen großen Schritt zur Veränderung hat das Land mit der Wahl der neuen Präsidentin Zuzana Čaputová in diesem Jahr bereits getan. Sie steht nicht auf Kočners Telefonliste. Ex-Premier Robert Fico dagegen geht in der für ihn typischen Art auf die Presse los: Die Threema-Nachrichten zu veröffentlichen sei ein "Dschihad" der Medien gegen seine Partei. Die Präsidentin hingegen bestärkt die Medien ausdrücklich. In einer offiziellen Rede erklärte sie: "Justiz war in der Slowakei eine Ware, die sich einige Menschen kaufen konnten." Nun stehe das Land an einem Scheideweg. Es werde sich jetzt entscheiden, "in welchem Land unsere Kinder leben werden". Im Februar 2020 wählen die Slowaken ein neues Parlament.

© SZ vom 02.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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