Slowakei:Radikale Schmutzkampagne

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In der slowakischen Hauptstadt Bratislava haben Tausende Menschen gegen staatliche Eingriffe in die Kultur demonstriert. (Foto: Radovan Stoklasa/Reuters)

Nach den Protesten gegen die Kulturministerin will Premier Fico dem Oppositionsführer einen Posten entziehen. Der wiederum wirft dem Regierungschef Rachgier und Zensur vor.

Von Viktoria Großmann, Warschau

Am Gebäude der slowakischen Nationalgalerie im Zentrum von Bratislava hängen große Transparente: „Die Wahrheit siegt“, „Die Nation hat sich erhoben“, „Lasst euch nicht entwaffnen!“, „Wir verteidigen uns“, „Freie Sender“! Eine Kunstaktion? Ein Kommentar auf die aktuelle Situation? Anfang August hatte die völkisch-rechtsextrem eingestellte Kulturministerin Martina Šimkovičová die Direktorin der Nationalgalerie entlassen, einen Tag zuvor den Direktor des Nationaltheaters. Zunächst ohne Angabe von Gründen. Später warf sie ihnen Missmanagement und politischen Aktivismus vor. Wenige Tage später demonstrierten zunächst 9000, tags darauf 18 000 Menschen für eine unabhängige Kulturszene und für den Rücktritt der Ministerin.

Die Transparente an der Nationalgalerie erschienen kurz darauf. Sie erinnern an den slowakischen Volksaufstand, der am 29. August 1944 ausbrach. Er dauerte zwei Monate und richtete sich gegen die deutschen Besatzer sowie gegen das mit den Nazis kollaborierende Tiso-Regime. Parallelen zwischen den Parolen von damals und denen von heute? Ganz zufällig.

Im Visier steht Michal Šimečka – er hat die Proteste organisiert

Vier Wochen nach den Entlassungen ist die Kulturministerin weiterhin im Amt. Das Nationaltheater erlebte hingegen zwei weitere Abgänge, der Geschäftsführer und der Operndirektor kündigten aus Protest gegen die Kündigung des Generaldirektors. Die Tageszeitung Denník N berichtet von einer Kündigungswelle im Kulturministerium, auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt es nun die ersten Abgänge. Die Regierung von Robert Fico hatte die öffentlich-rechtliche Sendeanstalt RTVS zum 30. Juni aufgelöst und als STVR neu gegründet. Verantwortlich für das Gesetz war die Kulturministerin.

Premier Robert Fico scheint nicht daran gelegen zu sein, die Situation zu beruhigen. Nach den Protesten waren tatsächlich zwei außerordentliche Sitzungen des slowakischen Nationalrats angesetzt worden, in denen es um die Abberufung der Kulturministerin sowie des Justizministers Boris Susko gehen sollte. Dieser hatte im August einen rechtskräftig wegen Korruption verurteilten früheren Staatsanwalt aus dem Gefängnis entlassen. Beide Sitzungen fielen aus, weil die Abgeordneten der drei Regierungsfraktionen einfach nicht erschienen.

Stattdessen kündigte Premier Fico an, er werde Oppositionsführer Michal Šimečka als stellvertretenden Parlamentsvorsitzenden entlassen. Šimečka, ein früherer Europaabgeordneter, ist Chef der liberalen Partei Progressive Slowakei, die bei der Wahl vor knapp einem Jahr zweitstärkste Kraft geworden war. Und er hatte jenen Protest gegen die Kulturministerin organisiert, zu dem bei größter Hitze 18 000 Menschen gekommen waren.

Fico will offenbar von Korruptionsvorwürfen ablenken

Šimečka wurde schon oft persönlich von Fico angegriffen. Die Bezeichnung „Monchichi“, nach der japanischen Puppe, die einem Äffchen ähnlich sieht, gehört zu den harmlosen. Fico sang in Anspielung auf Šimečka schon Strophen faschistischer Lieder aus der Zeit des Tiso-Regimes im Zweiten Weltkrieg, „schneiden bis aufs Blut“ heißt es in einer Zeile, die Fico zitierte. Nun ist Ficos Vorschlag: Šimkovičová gegen Šimečka.

Michal Šimečka, der Vorsitzende der Partei Progresívne Slovensko, im Wahlkampf vor einem Jahr. (Foto: Zuzana Gogova/Getty)

Dass Fico seine Kulturministerin aufgeben wird, erscheint aber unwahrscheinlich. Doch eine neue Hass- und Schmutzkampagne gegen seinen größten politischen Gegner, soll Fico offenbar helfen, von immer neuen Vorwürfen der Korruption und Verschwendung von EU-Subventionen abzulenken, die derzeit auch von anderen Oppositionsparteien erhoben werden.

Aus Sicht von Michal Šimečka handelt es sich bei Ficos Ansinnen, ihm seinen Posten zu nehmen, schlicht um Rache. Dabei bezieht Fico bewusst Šimečkas ganze Familie in die Vorwürfe mit ein. Vater Martin M. Šimečka ist ein bekannter Buchautor und Journalist. Dessen Vater Milan, der Großvater des Oppositionsführers, war ein bekannter Dissident zu Zeiten des kommunistischen Regimes in der ČSSR und Vertrauter des späteren Präsidenten Václav Havel. Ihm ist eine Stiftung gewidmet, unterstützt wurde sie in der Vergangenheit nicht nur vom slowakischen Staat, sondern auch etwa von den USA, der EU und der Jewish Claims Conference.

Fico erklärte nun, die Stiftung diene nur den privaten Interessen der Familie Šimečka, diese verdiene an der Stiftung Geld. Die Šimečka-Stiftung wurde bereits 1991 gegründet und hat sich der Demokratieförderung und politischen Bildung verschrieben, informiert etwa an Schulen und mit Wanderausstellungen über den Holocaust.

„Sie sind genau wie die Kommunisten“, twittert Šimečka

Michal Šimečka antwortete auf Ficos Angriffe auf dem Netzwerk X: „Sie sind genau wie die Kommunisten. Sie zensieren und sie greifen die Familien an.“ Auch Šimečkas Mutter und Ehefrau wurden von Regierungsvertretern schon beschimpft. Es handle sich um Rache, schreibt Šimečka, und um Ablenkungsversuche. „Wir lassen uns nicht einschüchtern und wir hören nicht auf.“ Šimečka selbst wirft wiederum Fico vor, seine Familie mit Aufträgen und EU-Subventionen zu begünstigen.

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Um Ficos Regierung wird es derweil international einsam. Zum 80. Jahrestag des Beginns des slowakischen Nationalaufstands in Banská Bystrica waren weder Präsidenten noch Ministerpräsidenten aus EU- oder NATO-Ländern angereist, selbst aus Tschechien kam kein hochrangiger Vertreter. Fico nahm seine Rede zum Anlass, darüber zu sprechen, dass die Meinungsfreiheit bedroht sei.

Am Sonntag unterzeichnete er dann mit Präsident Peter Pellegrini ein Memorandum, das die Mitgliedschaft der Slowakei in EU und Nato bekräftigt. In einem Kommentar vor Journalisten kritisierte Fico aber die „verpflichtende, politische Einheitsmeinung“, die in der EU herrsche. Fico lehnt Waffenlieferungen an die Ukraine ab, seiner Meinung nach hätte der Krieg nach zwei Monaten durch Verhandlungen beendet werden können.

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