Proteste in der Slowakei:Wenn der Staat die Kultur bedroht

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Kulturministerin Martina Simkovicova bei einem Misstrauensvotum im Parlament. (Foto: Martin Baumann/picture alliance/dpa/TASR)

Die neue slowakische Kulturministerin hetzt nicht nur gegen Minderheiten und Progressive, sie greift mit gezielten Entlassungen auch massiv in die Kunstfreiheit ein. Das treibt die Menschen zu Tausenden auf die Straße.

Von Viktoria Großmann, Warschau

Martina Šimkovičová passt gut ins Fernsehen. Die frühere TV-Moderatorin mit dem langen, blonden Haar legt Wert auf ein gepflegtes Äußeres und gute Kleidung. Die Kulturministerin spricht mit dunkler, ruhiger Stimme. Doch das, was sie sagt und tut, treibt Tausende Bürger der Slowakei auf die Straßen. Am Montag zogen etwa 9000 Menschen durch Bratislava, vom Nationaltheater zum Kulturministerium. Am Dienstag waren es doppelt so viele, rund 18 000 Slowaken versammelten sich bei größter Sommerhitze im Zentrum der Hauptstadt, um gegen die Regierung von Robert Fico zu protestieren.

"Odstupit" - zurücktreten - fordern Demonstranten am Dienstag beim Protestmarsch durch Bratislava. (Foto: Radovan Stoklasa/REUTERS)

Die Demonstranten forderten den Rücktritt von Justizminister Boris Susko, der vergangene Woche in einer beispiellosen Aktion einen rechtskräftig wegen Korruption zu acht Jahren Gefängnis verurteilten Staatsanwalt freiließ. Noch größer aber ist das Aufbegehren gegen Martina Šimkovičová und ihren Stellvertreter Lukáš Machala. Schon im Frühjahr unterzeichneten 188 000 Menschen eine Petition zur Abberufung Šimkovičovás – die Petition gilt als die mit der größten Beteiligung in der Slowakei jemals.

Šimkovičová macht queere Menschen für das „Aussterben der weißen Rasse“ verantwortlich

Und nun haben binnen einer Woche erneut knapp 180 000 Menschen eine zweite Petition unterzeichnet: „Zum Schutz der Kultur“, also gegen Šimkovičová. Denn die 52-Jährige gilt ihren Kritikern als die derzeit größte Gefahr für die Freiheit und auch die internationale Wettbewerbsfähigkeit der slowakischen Kulturszene.

Šimkovičová äußert sich offen menschenfeindlich, sie vertritt rassistische Theorien wie die einer angeblichen „Umvolkung“, ein typisches Narrativ von Rechtsextremen. Die Gemeinschaft von Schwulen, Lesben und Transgender-Menschen, kurz LGBT, belegt Šimkovičová grundsätzlich mit dem Wort „Ideologie“. Die LGBT-Gemeinde sei verantwortlich für das „Aussterben der weißen Rasse“, sagte sie etwa der slowakischen Online-Plattform Topky.sk. Nur heterosexuelle Menschen könnten die Zukunft gestalten, weil nur sie Kinder bekommen könnten, erklärte die zweifache Mutter in dem Interview Anfang Juli.

Sie unterstützt eine offen rechtsextreme Partei

Mit etlichen Medien spricht Šimkovičová gar nicht, lehnt deren Fragen bei Pressekonferenzen rundweg ab. Ausführlich äußert sie sich dagegen seit Jahren auf ihrem eigenen Youtube-Kanal Televízia Slovan (Slawe), das Logo garniert mit drei Kornähren, 15 900 Abonnenten folgen ihr. Bis vor Kurzem lebte die Verfechterin einer „slowakischen Nationalkultur“ unweit von Bratislava im österreichischen Kittsee – was ihr entsprechenden Spott eintrug. Mehrmals betonte Šimkovičová zuletzt, sie lebe nun in der Slowakei.

Martina Šimkovičová und ihr Vize Lukáš Machala als Karikaturen auf einer Demo im März, zu der die Oppositionsbewegung Progressive Slowakei aufgerufen hatte. (Foto: Jaroslav Novák/DPA)

Die parteilose Ministerin ist zum zweiten Mal im Parlament vertreten. Bei der Wahl im September 2023 trat sie für die Slowakische Nationalpartei SNS an, die sich von einer rechtsnationalistischen zu einer immer offener rechtsextremen Partei entwickelt hat. SNS schaffte knapp die Fünf-Prozent-Hürde und scheiterte bei der Europawahl. Die Partei ist der kleinste der drei Koalitionspartner in Robert Ficos populistischer Regierung. SNS fordert unter anderem eine Abschaffung des Sexualkundeunterrichts und stellte für die Untersuchung des Pandemiemanagements einen Beauftragten, der Corona-Leugner ist.

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Der fristlos entlassene Generaldirektor des Slowakischen Nationaltheaters, Matej Drlička, über das Vorgehen des Kulturministeriums und darüber, was ihm Hoffnung macht.

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Dass Šimkovičová hart gegen Kulturinstitutionen vorgehen würden, hatten viele Menschen bereits befürchtet, als sie im Oktober ihr Amt antrat. In einer nie dagewesenen Aktion berief die Ministerin vor einer Woche zunächst Matej Drlička ab, den Direktor des Nationaltheaters, und dann die Direktorin der Nationalgalerie Alexandra Kusá. Fristlos und zunächst ohne Angabe von Gründen, zudem, wie Šimkovičová selbst einräumte, ohne vorherige Gespräche.

Drei Mitglieder vom Beirat der Kulturförderung hat sie auch gefeuert

In die Nationalgalerie sandte sie als neuen Chef einen Betriebswirt, der Kuratoren mit Künstlern verwechselt, wie aus seinen Äußerungen hervorgeht. Das Nationaltheater mit den Sparten Schauspiel, Oper und Ballett bleibt hingegen mitten in der Probezeit für die neue Spielzeit, die in drei Wochen beginnt, vorerst ohne Leiter. Beiden Direktoren wirft Šimkovičová Missmanagement vor, obwohl beide zuletzt eine hohe Auslastung und wachsende Besucherzahlen nachweisen konnten.

Die Proteste und Rücktrittsforderungen scheinen die Ministerin nicht zu beeindrucken. In dieser Woche entließ sie drei Sachverständige aus dem Beirat der Kulturförderung. Zuvor hatte sie das Gesetz zur Kulturförderung dahin gehend geändert, dass in den Auswahlgremien künftig mehr Politiker und weniger Fachleute sitzen.

Doch auch dort, wo sich Šimkovičová gern zu Hause fühlen möchte – bei der slowakischen Volkskultur – kommt sie nicht immer gut an. Zum Folklorefestival in Východná erschien sie im Juli in Sandalen und einem trachtenähnlichen Sommerkleid. Teilnehmer erklärten ihr, wie eine richtige Tracht aussieht und dass sie mit Strümpfen und festen Schuhen getragen wird. Wenig später wurde Šimkovičová bei dem Folklorefestival in Terchová vom Publikum ausgepfiffen.

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