Mordfall Ján Kuciak:Die Tränen einer Mutter

Mordfall Ján Kuciak: Die öffentliche Anteilnahme nach dem Doppelmord in der Slowakei war enorm (Archivbild).

Die öffentliche Anteilnahme nach dem Doppelmord in der Slowakei war enorm (Archivbild).

(Foto: AFP)

Nicht nur die Angehörigen des ermordeten slowakischen Journalisten Ján Kuciak reagieren fassungslos auf den Freispruch für den Hauptverdächtigen - auch die Präsidentin des Landes ist "schockiert".

Von Viktoria Großmann

Noch während die Richterin den Freispruch verkündet, verlassen die Eltern von Ján Kuciak und Martina Kušnírová den Gerichtssaal in Pezinok. Ihre Kinder waren im Alter von 27 Jahren am 21. Februar 2018 erschossen worden. Der Mord an dem Journalisten und seiner Verlobten hatte die Slowakei erschüttert, es gab Demonstrationen, Rücktritte und schließlich in diesem Jahr bei den Parlamentswahlen einen Regierungswechsel. Nun wurde der Hauptverdächtige freigesprochen, seine Komplizin kommt auf freien Fuß. Kurz nach der Verkündung erklärt Präsidentin Zuzana Čaputová, selbst Juristin, sie sei "schockiert" von diesem Urteil.

25 Jahre Haft hatte die Staatsanwaltschaft für Marian Kočner und Alena Zsuzsová gefordert. Kočner hatte Kuciak vor Zeugen konkret gedroht. Ein Chatverlauf zwischen ihm und Zsuzsová scheint genau zu belegen, wie sich die beiden - in nur leicht verschlüsselter Sprache - über den Mord und seine Folgen austauschen. Er wolle "einen von ihnen treffen", hatte Kočner einem Vertrauten gesagt, damit alle anderen Journalisten Angst bekommen. Im Verlauf des Prozesses, der im Januar begonnen hatte, hatten Dutzende Journalisten, aber auch ehemalige Mitarbeiter Kočners ausgesagt. Kočner ließ demnach mehrere Journalisten und deren Familien über Monate ausspionieren. Durch Erpressungen und Bedrohungen und nicht zuletzt gute Bezahlung machte er sich Polizisten, eine Staatssekretärin im Justizministerium und einen ehemaligen Generalstaatsanwalt gefügig.

Zusammen mit Zsuzsová, seiner langjährigen Vertrauten, soll er zudem schon vor Jahren die Morde an zwei Staatsanwälten und einem Anwalt geplant haben - demselben, der nun die Familie Kuciak vertrat. Bei all dem war immer offensichtlich: Kočner ist in diesem Netz nicht der Boss. Es gibt andere, mächtigere und noch reichere. Den ehemaligen Premier Robert Fico etwa nannte Kočner "Chef". Gegen Fico, heute Oppositionsführer im Parlament, gibt es viele Vorwürfe, aber keine Ermittlungen. Kuciaks letzter Artikel handelte von Verbindungen der italienischen 'Ndrangheta bis hinauf in die Regierung, die Spur führte direkt zu Fico.

Kočner wird trotzdem in Haft bleiben, er war wegen Betrugs zu 19 Jahren verurteilt worden

"Ich erwarte, dass die Suche nach Gerechtigkeit hier nicht endet, sondern vor dem Höchsten Gerichtshof weitergehen wird", sagte Präsidentin Čaputová kurz nach der Urteilsverkündung. Auch mehrere Regierungsmitglieder erklärten, sie hofften auf die Berufung. Die Staatsanwaltschaft hat diese bereits eingelegt. Unter Tränen erklärte die Mutter Martina Kušnírovás im Fernsehen, sie wolle, dass weiter verhandelt werde, der Vater Ján Kuciaks erklärte mit gepresster Stimme, er werde weiterkämpfen. Der tschechische Europaabgeordnete Tomáš Zdechovský schrieb, das Urteil zeige, dass die Mafia "noch immer lange Finger hat". Er befasst sich bei der EU mit dem Betrug mit Landwirtschaftssubventionen, über die Kuciak recherchiert hatte. Misstrauen ruft bei dieser Urteilsverkündung die Tatsache hervor, dass sich die drei Richter nicht einig waren. Die Vorsitzende Richterin wurde von ihren zwei Nebenrichtern überstimmt, die auch die Urteilsbegründung verfassten. Das sei "ungewöhnlich", schreibt die Tageszeitung Denník N. "Es ist doch die Vorsitzende Richterin, welche als Einzige die Akten vollständig studiert hat." Die Anwälte der Eltern bezeichneten die Urteilsbegründung als unlogisch. So wurde in einigen Punkten dem Hauptbelastungszeugen Glauben geschenkt, in anderen nicht. Wegen Mordes an Ján Kuciak und Martina Kušnírová sind nun drei Männer verurteilt.

Der eigentliche Täter, ein 37 Jahre alter Ex-Soldat, hatte im Januar gestanden, die Schüsse abgefeuert zu haben. Kušnírová war demnach ein Zufallsopfer, der Täter hatte nicht damit gerechnet, sie auch im Haus anzutreffen. Er erhielt eine Haftstrafe von 23 Jahren. Geholfen hatte ihm sein Cousin, ein früherer Polizist. Er ist zu 25 Jahren Haft verurteilt worden. Denn er soll es gewesen sein, der von einem weiteren Mittelsmann Auftrag, Waffe und Bezahlung entgegengenommen hatte. Dieser Mittelsmann wurde zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Er galt als Hauptbelastungszeuge - nur er hatte laut seiner Aussage Kontakt zu Zsuzsová.

Zsuzsová und Kočner hatten die Schuld immer zurückgewiesen, doch nicht einmal sie hatten mit einem Freispruch gerechnet, wie aus ihren Schlussworten im Juli deutlich wurde. Doch nun erklärte die Richterin, es "wurde kein einziger direkter Beweis vorgelegt, der das Gericht überzeugen konnte". Marian Kočner wird trotzdem im Gefängnis bleiben; er war wegen Betrugs zu 19 Jahren verurteilt worden. Seine Komplizin kommt frei, wird aber vermutlich wegen der Planung weiterer Morde gleich wieder festgenommen.

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