Eine Pandemie habe es gar nicht gegeben. Zu diesem Schluss kam vergangenen Juni der Beauftragte der slowakischen Regierung zur Untersuchung der Corona-Maßnahmen. Peter Kotlár ist Sportarzt und Orthopäde und hat offensichtlich die volle Rückendeckung des slowakischen Premiers Robert Fico, der mit seiner linksnationalistischen Partei Smer-SD seit Ende 2023 die Regierung anführt.
Fico wollte nun auch einer Übereinkunft der Weltgesundheitsorganisation WHO zum Umgang mit künftigen Pandemien nicht zustimmen. Das Pandemie-Abkommen untergrabe die „Souveränität der Mitgliedstaaten“ und greife „unverhältnismäßig stark in den Bereich der Menschenrechte ein“, schrieb Fico noch am Montag auf seinem Facebook-Account.
Erkrankungen im Tierreich überwachen, Wissen untereinander teilen, Schutzausrüstung vorhalten
Und so löste die Slowakei am Montagabend in Genf eine Abstimmung der Mitgliedsländer über die Annahme einer Resolution zum Pandemie-Abkommen aus. Kein anderes Land hatte eine solche Abstimmung gefordert.
Der Generaldirektor der WHO, der aus Äthiopien stammende Immunologe Tedros Adhanom Ghebreyesus, hatte Fico am Montag angerufen, um mit ihm über das Pandemie-Abkommen und eine mögliche Abstimmung zu sprechen. Fico teilte dies über Facebook mit. Dennoch löste die slowakische Delegation die Abstimmung aus – und enthielt sich. Dabei hatte Fico vorher erklärt, die Delegation sei angewiesen, dagegen zu stimmen.
Doch kein Land stimmte dagegen, insgesamt elf enthielten sich, 124 Länder stimmten mit Ja. Das Abkommen wurde schließlich am Dienstag angenommen, tritt aber erst endgültig in Kraft, wenn es 60 Länder ratifiziert haben. Nicht mit abgestimmt hatten unter anderem die USA und Argentinien, die aus der WHO austreten wollen.
An dem Abkommen hatten die WHO-Mitgliedsländer drei Jahre lang gearbeitet. In Artikel 22 ist eigens festgehalten, dass die WHO den jeweiligen Staatsregierungen keinerlei Vorschriften machen wird. Die Staaten haben sich darauf geeinigt, in ihren Ländern die Gesundheitssysteme und auch Erkrankungen im Tierreich besser zu überwachen, damit Pandemien frühzeitig erkannt werden können. Vor allem wollen sie ihr Wissen und Forschungsergebnisse teilen, sodass alle Länder mindestens ähnliche Chancen haben, an Medikamente zu kommen und sie herzustellen. Lieferketten für Impfstoffe und Schutzausrüstung sollen aufgebaut werden.
Der slowakische Präsident bedauert, dass der Ruf des Landes riskiert werde
Schon vor einem Jahr hatte sich die Slowakei als einziges Mitgliedsland von den Internationalen Gesundheitsregeln der WHO distanziert. An diesen war zwei Jahre lang gearbeitet worden, 190 Länder hatten zugestimmt. Zudem zog die Slowakei ihren Vertreter bei der WHO ab, er hatte den Ansichten der Fico-Regierung widersprochen.
Der Gesundheitsminister, der einer Koalitionspartei angehört, sowie Präsident Peter Pellegrini sprachen sich deutlich für das Abkommen aus. Der von der Fico-Regierung im Präsidentschaftswahlkampf unterstützte Pellegrini sagte, es sei „unverantwortlich“, dem Pandemie-Abkommen nicht zuzustimmen. Er bedaure, dass für ein paar Punkte bei einheimischen Wählern der Ruf der Slowakei riskiert werde.
Fico jedoch hält zu seinem Pandemie-Beauftragten Peter Kotlár. Dieser will unter anderem den Einsatz von mRNA-Impfstoffen verbieten, also jene der Unternehmen Biontech und Moderna, mit denen Millionen Menschen gegen Covid geimpft wurden. „Wir müssen diesen Irrsinn beenden“, sagte Kotlár. Die Impfstoffe würden „die Integrität des slowakischen Genpools zerstören“. Die Geimpften seien genauso modifiziert wie Gen-Mais. Kotlár gehört dem kleinsten Koalitionspartner der Regierung an, der rechtsextremen Slowakischen Volkspartei SNS.
Die slowakische Akademie der Wissenschaften hatte schon früher gemahnt, nicht auf Grundlage von Kotlárs Aussagen Entscheidungen zu treffen, „die unser Land an den Rand der zivilisierten Welt drängen würden“.
Will Premier Fico ablenken? Die Zustimmung zu seiner Regierung sinkt.
In der Slowakei, die etwa 5,4 Millionen Einwohner hat, waren laut WHO-Zählung 21 170 Menschen an Corona gestorben, mehr als 1,87 Millionen Fälle wurden registriert. Nur die Hälfte der Bevölkerung war geimpft, die damalige Regierung hatte zwar für Tests und Impfungen geworben, aber insgesamt mit chaotischen Maßnahmen viele verunsichert und gegen sich aufgebracht. Fico, der damals mit seiner Partei in der Opposition war, hatte die Stimmung unter den Maßnahmen-Gegnern angeheizt, für sich genutzt und sich schließlich eine Wiederwahl gesichert.
Möglich, dass Fico mit seinem WHO-Manöver von anderen Themen ablenken will. Etwa Debatten über den insgesamt unterfinanzierten Gesundheitssektor oder Ärger wegen einer neu eingeführten Steuer, die viele Unternehmer belastet. Sollte er, wie von Präsident Pellegrini vermutet, auf Wählerstimmen aus sein, so gelingt ihm das derzeit nicht.
Zuletzt sanken die Zustimmungswerte für Ficos Smer-SD und die für seinen Koalitionspartner, die linkspopulistische Hlas, deutlich. Die rechtsextreme SNS würde aktuell nicht einmal ins Parlament kommen. Nach jüngsten Umfragen könnte Fico keine Regierung mehr bilden.
Gewinnen würde derzeit die Wahl die größte Oppositionspartei Progressive Slowakei. Die liberale Partei protestiert gegen Ficos prorussische Haltung und seine Verbreitung von Desinformation. Doch ob und wann es zu vorgezogenen Neuwahlen kommen könnte, ist trotz immer wiederkehrender Streits in Ficos Koalition derzeit nicht absehbar.