Der Name des slowakischen Regierungschefs Robert Fico wird von EU-Diplomaten oft zusammen mit dem eines Kollegen genannt - des Ungarn Viktor Orbán. Und das ist nicht als Kompliment gemeint, im Gegenteil: Der rechtspopulistische Premier in Budapest, der mit Wohlwollen über das russische Regime redet und die ukrainische Regierung - und seine EU-Partner - als Kriegstreiber beschimpft, gilt in Brüssel mittlerweile bestenfalls als nervender Außenseiter, schlimmstenfalls als Moskauer Maulwurf. Der eher undefinierbar-populistische Premier in Bratislava, auf den am Mittwoch ein Attentat verübt wurde, wird als politischer und ideologischer Verbündeter Orbáns gesehen, der dessen Attacken auf Brüssel flankiert, den Illiberalismus in der EU befördert und Ungarn im Ernstfall vor Strafen wie einem Stimmrechtsentzug schützen kann.
Ganz gerechtfertigt ist dieses Bild nicht. Fico mag zu Hause in der Slowakei mehrere Reformen angestoßen haben, die den rechtsstaatlichen und demokratischen Standards der EU widersprechen. Doch in Brüssel, im Kreis der 27 europäischen Staats- und Regierungschefs, ist er bisher nicht als eine Art Orbán-Klon aufgefallen. So hat er sich zwar wie Orbán mehrmals bitter über die Unterstützung der EU für die Ukraine beklagt. Als Ende 2023 und Anfang 2024 jedoch im Europäischen Rat dazu die entscheidenden Beschlüsse anstanden, überließ er es dem Ungarn, dagegen zu opponieren. Sowohl als es um die Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen mit Kiew ging als auch bei dem neuen 50-Milliarden-Euro-Hilfspaket - in beiden Fällen stimmte Fico brav mit Ja und ließ Orbán auf verlorenem Posten stehen.
Ähnliches gilt für weniger gewichtige Entscheidungen, etwa zu neuen EU-Sanktionen gegen Russland. Dass Ungarn bei den Verhandlungen darüber stets Ärger macht, wird inzwischen von allen Beteiligten eingepreist. Die Slowakei fällt in dieser Hinsicht dagegen bisher nicht besonders negativ auf. Ob das daran liegt, dass Fico tatsächlich eine andere Politik als Orbán verfolgt, oder ob er im Windschatten des breiten Ungarn segelt und froh ist, dass dieser die Wut der anderen EU-Länder abfängt, sei dahingestellt.
Die Einheit der Višegrad-Staaten ist zerbrochen
Ficos Wahlsieg im vergangenen Herbst hat allerdings eine Kluft zementiert, die grundsätzlicher ist als diese oder jene Sachentscheidung bei einem EU-Gipfel: Das Bündnis der vier wichtigsten mitteleuropäischen Länder - die sogenannte Višegrad-4-Gruppe, bestehend aus Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn - ist zerbrochen und auf absehbare Zeit wohl auch nicht zu reparieren. Die vier Länder hatten sich nach dem Ende des Kalten Kriegs zusammengeschlossen, um gemeinsam den Weg in die Nato und die EU zu gehen und sich dabei gegenseitig zu unterstützen. Der Ukraine-Krieg und die Frage, wie Europa mit Russland umgehen soll, hat aber einen tiefen Keil in dieses Bündnis getrieben.
Polen und Tschechien stehen dabei fest im Lager der Ukraine-Unterstützer, Ungarn und - seit vergangenem Herbst - die Slowakei bilden das Gegenlager. Diese Spaltung schwächt die Mitte Europas erheblich. Kleinere Länder wie die baltischen Staaten und die nordischen Länder, die eng kooperieren, haben eine weitaus größere gestalterische Macht in der EU als Ungarn oder die Slowakei. Zwischen der prominenten Rolle, die zum Beispiel die estnische Regierungschefin Kaja Kallas in Brüssel spielt, die 1,4 Millionen Menschen vertritt, und dem Einfluss, den Fico in der EU hat, in dessen Land immerhin 5,4 Millionen Menschen leben, liegen Welten. Das hat ganz wesentlich damit zu tun, dass Orbán und Fico ihre natürlichen Alliierten in der Region eher vergrätzen und sich in Brüssel darauf beschränken, mit der Blockade von Entscheidungen zu drohen, bei denen Einstimmigkeit notwendig ist, anstatt konstruktiv zu arbeiten.
In Brüssel führt dieses Auseinanderdriften der Višegrad-Länder mitunter zu seltsamen Situationen. So gestand zum Beispiel ein ranghoher polnischer Regierungsvertreter jüngst bei einem Besuch, dass er sein Land mittlerweile politisch-kulturell lieber den nördlich liegenden Balten, Finnen und Schweden zurechne als den südlich liegenden Slowaken und Ungarn, eher den Ostsee-Anrainern als den Mittel- oder Osteuropäern. Polen als nordisches Land - das mag halb als Scherz gemeint gewesen sei. Aber es hatte auch einen sehr ernsten Beiklang.