Süddeutsche Zeitung

Slowakei:Erwachen in Bratislava

Die 45-jährige Zuzana Čaputová liegt bei der Präsidentenwahl klar vorn. Hinter ihrem Erfolg steckt nicht zuletzt der Überdruss der Wähler am alten Machtzirkel. In der Hauptstadt fällt am Wahltag vor allem ein Wort: Anstand.

Von Viktoria Großmann, Bratislava

Die Wähler in der Slowakei haben ein Zeichen für den Wandel gesetzt: Die 45-jährige Zuzana Čaputová hat den ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen am Samstag klar gewonnen. Sie erhielt 40,57 Prozent der Stimmen. Die Rechtsanwältin tritt an für die Bewegung Progressive Slowakei, die vor anderthalb Jahren gegründet wurde. Čaputová sagte in der Wahlnacht, der Mord an dem Journalisten Ján Kuciak vor einem Jahr habe die Menschen aufgeweckt, das Land stehe vor einem Generationenwechsel.

Noch vor zehn Jahren fand eine Mehrheit der Wähler, eine Frau in dem Amt sei unpassend

Gegen Korruptionsaffären bisheriger Regierungsmitglieder hatte sich schon länger Protest formiert. Seit dem Mord an Kuciak und seiner Freundin kam es landesweit zu Demonstrationen. In der Folge traten zwei Minister und Ministerpräsident Robert Fico zurück, der allerdings noch immer Vorsitzender der Regierungspartei Smer SD ist. Diese hatte nach langer Kandidatensuche im Januar den EU-Kommissar Maroš Šefčovič aufgestellt, er erhielt nun 18,66 Prozent der Stimmen und wird in der Stichwahl am 30. März gegen Čaputová antreten. Die Wahlbeteiligung im ersten Wahlgang lag bei 48,47 Prozent. Mit Desinformationen und Verleumdungen hatte štefan Harabin, Richter am Obersten Gerichtshof, einen rechtspopulistischen Wahlkampf geführt, er landete mit 14,35 Prozent der Stimmen auf Platz drei. Die vierthöchste Stimmenanzahl, 10,39 Prozent erreichte der Ultrarechte Marian Kotleba.

"Ich sage, was ich denke", so beschreibt Čaputová ihren Stil. Sie kam mit diesem Stil auch im Kulturzentrum Nová Cvernovka in Bratislava gut an, wo am Wahlabend politisch Interessierte zusammenkamen, um gemeinsam die Wahlberichterstattung zu verfolgen. Das Wort Anstand machte dort die Runde, es fiel immer wieder auf die Frage, warum die Menschen Čaputová wählten. "Dafür sind wir ein Jahr lang auf die Straße gegangen", sagte eine Frau. Noch vor zehn Jahren war die damalige Kandidatin Iveta Radičová gescheitert, weil viele Menschen eine Frau im Amt des Präsidenten unpassend fanden.

Die Bewegung Progressive Slowakei traf sich zur Wahlparty in einem früheren Fabrikgebäude am Rande der Altstadt. Viele Anwesende trugen einen Unterstützer-Button mit der Aufschrift #AllforJan. Wenige Tage vor der Wahl war der Geschäftsmann Marian Kočner, der enge Beziehungen zu Mitgliedern der Smer SD pflegt, angeklagt worden, den Doppelmord in Auftrag gegeben zu haben.

Čaputová hat längst nicht nur junge Städter erreicht. Sie hat in 71 von 79 Wahlkreisen gewonnen, darunter auch dort, wo die ungarische Minderheit dominiert. Der Kandidat der ungarischen Minderheitspartei Most-Híd, Béla Bugár, will nun Čaputová unterstützen. Für die Bewegung Progressive Slowakei ist es der zweite große Erfolg nach den Kommunalwahlen im November. Seither ist einer ihrer Vertreter, der 41-jährige Architekt Matúš Vallo, Bürgermeister von Bratislava.

Obwohl sie bisher nicht parteipolitisch aktiv war, ist Čaputová in der Slowakei bekannt. Über Jahre hinweg kämpfte sie gegen eine Müllhalde in der Stadt Pezinok, wo sie mit ihren beiden Töchtern lebt. Der Abfall war zu nah an Wohnungen gelagert worden, Krebserkrankungen häuften sich. Čaputová erreichte eine Gesetzesänderung und erhielt für die Engagement 2016 in San Francisco den Goldman-Umweltpreis. Mit der Initiative Via Iuris stritt sie für eine angemessene Strafverfolgung des früheren Präsidenten Vladimír Mečiar, der in kriminelle Machenschaften verstrickt war. Sie ist gegen Machtmissbrauch und Korruption angetreten, im Gespräch nennt sie Barack Obama und Václav Havel als Vorbilder.

Viele Slowaken hoffen nun, dass der Wahlkampf zwischen Čaputová und Maroš Šefčovič fair sein wird. Beide sind Juristen und treten für Europa ein. Unterschiedliche Haltung haben sie aber beim Thema Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare. Im ersten Fernsehduell am Morgen nach der Wahl erklärte der 52-jährige Šefčovič, das sei für ihn mit christlichen Werten unvereinbar. Das Thema war in der katholischen und eher konservativen Slowakei in den Tagen vor der Wahl heiß diskutiert worden, ein Erzbischof hatte sogar öffentlich vor der Wahl Čaputovás gewarnt, die für eine liberale Haltung eintritt.

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SZ vom 18.03.2019
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