Skandale in der Mediengesellschaft:Deutschland, einig Prangerland

FC Bayern München - Alba Berlin

Uli Hoeneß mit Maskottchen beim Basketball-Spiel FC Bayern München vs. Alba Berlin: Hoeneß erwarb den Kredit beim Publikum vor allem über seine Person, nicht über sein Amt

(Foto: dpa)

Jetzt Hoeneß, vorher Zumwinkel, Guttenberg und Wulff: Mit Repräsentanten, die zum Helden nicht länger taugen, geht die deutsche Gesellschaft oft gnadenlos um. Doch warum folgt auf ein meist eher mittelschweres Delikt immer eine exzessive Reaktion der Öffentlichkeit?

Ein Kommentar von Detlef Esslinger

Es ist nicht besonders schwierig, alte Zitate von Uli Hoeneß zu finden, die man nun wunderbar gegen ihn verwenden kann. Was regte er sich doch mal über den einstigen Patron von 1860 München, Karl-Heinz Wildmoser, und dessen Sohn auf. Die waren - der Vater weniger, der Sohn mehr - in eine Schmiergeldaffäre um den Bau der Fußballarena verwickelt, worauf Hoeneß den Unerbittlichen gab: Er nannte die beiden "Täter", seine Bayern deren "Opfer". Und sie stellten das alles noch als "Kavaliersdelikt" hin, da lache er sich tot. Es kümmerte Hoeneß wenig, ob er dem Ansehen zweier Menschen den Rest gab. Nein, er legte noch einen drauf, er charakterisierte sich selbst mit einem Adjektiv: "sauber". Was also darf der Mann nun erwarten?

Er wäre jedenfalls nicht der Erste, dem seine frühere Flughöhe zum Verhängnis würde. Die Herren Zumwinkel, Guttenberg und Wulff könnten bestimmt berichten, wie gnadenlos die Gesellschaft bisweilen mit Repräsentanten umgeht, die zum Heros nicht länger taugen.

Klaus Zumwinkel, der Chef der Post, zeigte jahrelang, dass man auch im Wettbewerb mit Billigfirmen Wert auf seriöse Löhne legen kann. Dann aber kam heraus, dass in seiner Persönlichkeit noch eine weitere Ecke verborgen lag: Er hatte die Gesellschaft um Steuern betrogen.

Der So-gut-wie-Kanzler Karl-Theodor zu Guttenberg wurde getragen von der diffusen Macht seines Charismas. Als offensichtlich wurde, dass er nicht mal bei seiner Doktorarbeit etwas geleistet hatte, blieb ihm im Grunde nur die Auswanderung.

Und was war noch gleich das Vergehen des gewesenen Bundespräsidenten Christian Wulff? Vielleicht wird am Ende kaum mehr als der Vorwurf bleiben, dass an der Spitze des Staates einer stand, der schon im Umgang mit Vorwürfen überfordert war. Aber die Verachtung, ja der Hass, dem dieser Politiker seitdem ausgesetzt ist - beides müsste eigentlich zu einem kollektiven Erschrecken führen.

Zweifacher Herdentrieb der Medien

Die Fragen drängen sich auf: Warum folgt auf ein meist eher mittelschweres Delikt immer eine exzessive Reaktion der Öffentlichkeit? Wird also Uli Hoeneß unweigerlich der Ächtung anheimfallen, wie andere auch? Oder lernt die Gesellschaft aus dem, was sie etwa bei Wulff anrichtete? Nikolaus Schneider, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, hat vor der "Zerstörung" der Person Hoeneß gewarnt.

Es wäre albern, so zu tun, als seien Medien an derlei unbeteiligt. Das Problem besteht aber nicht in einer etwaigen "Kampagne", zu der sie sich verabredet hätten. Ein solcher Vorwurf dient meistens nur einem Zweck: vom eigenen Desaster abzulenken.

Was man den Medien vorhalten kann, ist ein zweifacher Herdentrieb. Zum einen arbeitet jede Zeitungs- oder Fernsehredaktion grundsätzlich nach der Devise: "Dazu müssen wir auch was haben." Zum anderen reihen sich Autoren in der Regel lieber gefahrlos in einen Chor ein, als eine Solostimme zu wagen - wie andere Akteure übrigens auch. Der DGB-Vorsitzende Sommer war es vermutlich seiner Rolle schuldig, in die Maikundgebung das Thema Hoeneß einzubauen. Er knöpfte sich den Mann vor, indem er Steuerhinterziehung als "Reichensport" verhöhnte. Und was soll man sich über die Beschimpfung "asozial" eines bayerischen SPD-Politikers wundern, wenn sogar der Bundespräsident, der angesehene, diese Vokabel gebraucht.

Nikolaus Schneider hat gesagt, am öffentlichen Pranger werde immer so getan, als bestünde das Publikum davor aus den besseren Menschen. Dass dies eine einzige Heuchelei ist, dürfen sich alle eingestehen, die beim Finanzamt schon mal eine private Restaurantrechnung eingereicht haben oder den Maler gegen Bargeld kommen ließen. Wer betrügt, der tut dies jeweils nach seinen Möglichkeiten.

Hoeneß hat über die Jahre wohl mehr Geld gespendet als Steuern hinterzogen

Ob aber einer überhaupt an den Pranger gerät, respektive wie man ihn übersteht -, das hängt nicht unbedingt von dem Delikt ab, dessen er bezichtigt wird. Es hängt davon ab, ob man in der Gesellschaft Kredit hat und wie man sich diesen erwarb. Der Post-Chef Zumwinkel hatte schon deshalb keinen, weil sein Name eigentlich erst durch die Steuerhinterziehung allgemein geläufig wurde. Bekannt werden durch eine Straftat, das ist die ungünstigste Konstellation. Die Politiker Guttenberg und Wulff erwarben sich ihren Ruf erst über ihre Anwesenheit in Ämtern. Dieser schienen sie würdig zu sein. Als das Publikum sah, dass es sich getäuscht hatte, kündigte es den Kredit.

Uli Hoeneß ist wahrscheinlich besser dran. Nicht, weil der Pöbel kein Pöbel mehr sein will oder die Medien den Herdentrieb leid wären. Auch nicht, weil er einem glamourösen Fußballklub statt der grauen Post vorsteht. Sondern weil er sich seinen Kredit nicht über die Funktion erwarb, sondern als Person - und weil er den Umgang mit Vorwürfen beherrscht. Hoeneß hat über die Jahre wohl mehr Geld gespendet als Steuern hinterzogen. Er ist in München bei jeder Kampagne gegen Gewalt und Rassismus dabei. Er besorgte einem Spieler einen Privatjet, damit der nach Ghana fliegen konnte, wo die Tochter gerade ertrunken war.

Hoeneß ist alles andere als eine Figur, die auf Lug und Trug aufgebaut war. Die Öffentlichkeit lernt nun bloß eine dunkle Ecke auch bei ihm kennen. Dass die noch unvorteilhafter ist als die Neigung, andere als Täter zu etikettieren (oder einem Rivalen kurz vor einem Halbfinale den besten Spieler wegzukaufen), das hat den Mann nicht lange gelähmt. "Ich schwitze in der Nacht, ich wälze mich. Und denke nach, denke nach und verzweifle", sagt er im Interview mit der Zeit. So viel Authentizität haben Guttenberg und Wulff nicht hingekriegt.

Von Beruf Uli Hoeneß

Es gibt einen Präzedenzfall, falls Uli Hoeneß wissen will, wie denn seine Perspektiven sind. Er kann so wenig Aufsichtsrats-Chef beim FC Bayern bleiben, wie eine sehr populäre Frau nach einer Alkoholfahrt die evangelische Kirche führen konnte. Aber auch bei Margot Käßmann war nicht das Amt die Basis ihres Kredits. Sondern wegen ihres Lebens und ihres Redens war sie ins Amt gekommen. Sie hatte, ein Glück, niemanden umgefahren, sie gab alles zu, sie trat zurück. Niemand musste Selbstgerechtigkeit an ihr entdecken. Die Folge ist, dass zum Beispiel am Freitag früh eine Nachricht im Bayerischen Rundfunk so begann: "Gestern war es Margot Käßmann, heute ist Angela Merkel der Star des Kirchentags."

Zusammen mit der Kanzlerin erwähnt, ohne jedes Amt, und der Saal überfüllt; was will man mehr. Womöglich wird auch Uli Hoeneß entdecken, dass die Gesellschaft ihm erlaubt, von Beruf Uli Hoeneß zu sein. Den Pranger aber packt sie nicht weg, den behält sie sich für spätere Fälle vor. Ein Opfer wird sich finden.

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