Süddeutsche Zeitung

Skandal um Internet-Überwachung:Steinbrück nennt Friedrichs USA-Reise "blanken Hohn"

Lesezeit: 3 min

SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück nennt ihn "gescheitert" und "naiv": Innenminister Friedrich sieht sich nach seiner USA-Reise heftiger Kritik ausgesetzt. Dennoch verteidigt er die massive Spionage. Der Fall Snowden belastet das Verhältnis zwischen Russland und den USA immer mehr.

Die Opposition hat die USA-Reise von Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) als Fehlschlag gewertet. Friedrich habe sich in Washington mit nichtssagenden Antworten zur Affäre um die Ausspähungen durch den US-Geheimdienst abspeisen lassen, kritisierten Politiker von SPD, Grüne und Linkspartei. Friedrich selbst zeigte sich zufrieden und äußerte sogar Verständnis für die Überwachungsprogramme der US-Regierung.

SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sagte der Bild am Sonntag: "Dieser Auftritt des Bundesinnenministers muss den Menschen in Deutschland als blanker Hohn erscheinen! Der gleiche Minister, der vor vier Wochen noch behauptet hat, es gebe gar keinen Datenskandal, lässt sich jetzt mit ein paar belanglosen Äußerungen und angeblichen Zugeständnissen abspeisen."

Entweder sei Friedrich grenzenlos naiv und damit unfähig, oder er habe ein bedenkliches Verständnis des Grundgesetzes. Steinbrück forderte von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Aufklärung. Sie dürfe sich nicht hinter den Ergebnissen der Friedrich-Reise verstecken.

Friedrich stellt sich vor USA

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hatte die umstrittenen Überwachungsprogramme der US-Regierung zuvor verteidigt. Der US-Geheimdienst NSA habe dank Programmen wie Prism nach eigenen Angaben weltweit 45 Anschläge verhindert, davon 25 in Europa und fünf in Deutschland, betonte Friedrich im ZDF. Dass es eine flächendeckende inhaltliche Überwachung deutscher Bürger und ihrer Kommunikation gäbe, sei ihm auf seiner USA-Reise nicht bestätigt worden.

In den Vereinigten Staaten hatte Friedrich mit US-Justizminister Eric Holder und der Sicherheitsberaterin von US-Präsident Barack Obama, Lisa Monaco, Gespräche geführt. Die US-Regierung hatte Deutschland Aufklärung über die Aktivitäten ihrer Geheimdienste zugesichert. So vereinbarte Friedrich in Washington, dass deutsche Stellen Zugriff auf vormals geheime Informationen zum Prism-Programm erhalten sollen.

"Ich habe den amerikanischen Freunden klar gesagt, (...) dass wir es nicht akzeptieren könnten, wenn die NSA gegen Gesetze in Deutschland verstoßen würde", sagte der Innenminister. Er habe die "klare Antwort" erhalten, dass die USA keine Industriespionage in Deutschland betrieben. Die Überwachung von Bürgern sei ohnehin nicht Gegenstand der Vereinbarungen zwischen beiden Staaten.

Kritik von der Opposition

Auch Thomas Oppermann (SPD), Vorsitzender des Parlamentarischen Bundestags-Kontrollgremiums für deutsche Nachrichtendienste, zeigte sich von Friedrich enttäuscht. "Ich bin entsetzt, dass wir fünf Wochen nach Beginn der Enthüllungen immer noch nicht wissen, welche Daten wann von wem abgeschöpft worden sind", sagte er der Passauer Neuen Presse. "Minister Friedrich kehrt mit leeren Händen zurück. Wir sind in den wesentlichen Punkten keinen Schritt weiter gekommen."

Noch drastischer reagierten die Piraten: "Die US-amerikanischen Geheimdienste führen einen internationalen Cyberwar, nehmen dabei die gesamte Bevölkerung der restlichen Welt in Geiselhaft, und unser Innenminister hat nichts Besseres zu tun, als der Obama-Regierung dafür auch noch zu applaudieren", hieß es in einer von der Piratenpartei Deutschland verbreiteten Mitteilung. Offenbar hätten für den Minister geheime Entscheidungen der US-Gerichte einen höheren Stellenwert als das Grundgesetz.

Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) räumte im Gespräch mit der Welt am Sonntag ein, dass es Überwachungen selbst "bis in Regierungskreise hinein" gegeben habe, und "das tut man unter Freunden nicht". Zugleich machte sie sich für ein internationales Datenschutzabkommen stark, das Staaten und Unternehmen zu einheitlichen Standards verpflichtet.

Kein Interesse an Asyl für Snowden

Russland hat nach Angaben des Menschenrechtsberaters von Präsident Wladimir Putin kein Interesse daran, dem früheren US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden Asyl zu gewährleisten. Moskau wolle die "wichtigen Beziehungen" zu den USA nicht belasten, sagte Michail Fedotow dem Nachrichtenmagazin Focus.

Um das Schicksal von Snowden sollten sich das Rote Kreuz oder das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR kümmern. "Sie könnten ihn legalisieren und dann in das Land bringen, das ihm Asyl anbietet." Dem per US-Haftbefehl gesuchten Computerspezialisten müsse allerdings aus "humanitären Gründen" Schutz gewährt werden, sagte Fedotow weiter. "In den USA droht ihm die Todesstrafe." Für Moskau ist es deshalb Fedotow zufolge keine Option, Snowden gegen in den USA inhaftierte Russen auszutauschen.

Über das von Snowden beantragte Bleiberecht in Russland werde Präsident Putin persönlich entscheiden, kündigte Fedotow an. Moskau halte Snowden trotz der "Show um den Asylantrag" für seriös und erkenne seine Verdienste an. "Er hat die Öffentlichkeit auf diesen abscheulichen Missbrauch aufmerksam gemacht und im Interesse der internationalen Zivilgesellschaft gehandelt."

Telefonat ohne Ergebnis

Die von den USA geforderte Auslieferung des früheren Geheimdienstmitarbeiters Snowden stößt in Russland weiterhin auf taube Ohren. US-Präsident Barack Obama konnte seinen russischen Kollegen Putin offenbar nicht dazu bewegen, Snowden auszuliefern. Nach einem Telefonat der beiden Staatsoberhäupter teilte das US-Präsidialamt in Washington am Freitagabend lediglich mit, man habe "eine Reihe von Sicherheits- und bilateralen Themen besprochen, darunter den Status von Herrn Edward Snowden".

Zuvor hatte Snowden verkündet, nun doch vorübergehend Asyl in Russland beantragen zu wollen. Der von den USA wegen der Enthüllung geheimer Überwachungsprogramme per Haftbefehl gesuchte 30-Jährige sagte bei einem Treffen mit Bürgerrechtsaktivisten in Moskau, er wolle in Russland bleiben, bis er nach Lateinamerika ausreisen könne.

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