Süddeutsche Zeitung

Militärische Lage in der Ukraine:Die Schlacht um Sjewjerodonezk

Die Stadt in der Region Luhansk ist fast vollständig von der russischen Armee eingekreist. Nur ein schmaler Korridor gibt den verbliebenen Bewohnern noch Hoffnung. Einige fürchten, Sjewjerodonezk droht ein Schicksal wie Mariupol.

Von Nicolas Freund

"Die russische Offensive im Donbass ist eine schonungslose Schlacht, die größte auf europäischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg." Das twitterte am Dienstagmorgen der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba. Die Grenzen der besetzten Gebiete im Osten der Ukraine verschieben sich seit Wochen kaum, was aber einen falschen Eindruck von Stillstand in dem Krieg vermittelt. In seiner täglichen Ansprache sagte auch der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij ebenfalls am Dienstag: "Bachmut, Popasna, Sjewjerodonezk - in dieser Richtung konzentrieren die Besatzer ihre Aktivitäten. Sie verüben dort ein Massaker und versuchen, alles zu zerstören, was dort lebt. Buchstäblich." Dort, wo die Front sich kaum verändert, sind die Kämpfe derzeit am heftigsten.

So ist die Stadt Sjewjerodonezk an drei Seiten von russischen Streitkräften umzingelt und steht seit Wochen unter heftigem Artilleriebeschuss. In den vergangenen Tagen gelang es den russischen Streitkräften, den Kreis um die Stadt fast zu schließen, nachdem sie bei Popasna im Süden vorgestoßen waren. Am Dienstag wurde gemeldet, die ukrainischen Verteidiger hätten deshalb auch benachbarte Orte aufgeben und sich zurückziehen müssen. Laut dem britischen Militärgeheimdienst stünde nur noch ein etwa 25 Kilometer breiter Korridor zu der Stadt unter ukrainischer Kontrolle.

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Es wird deshalb immer schwieriger, Zivilisten aus Sjewjerodonezk zu bringen. Laut dem Gouverneur der Region Luhansk befinden sich noch immer knapp 15 000 von vormals 100 000 Einwohnern in Sjewjerodonezk. Beobachter warnen bereits, es könne sich eine ähnlich katastrophale Situation entwickeln wie in der wochenlang belagerten Hafenstadt Mariupol.

Noch halten die ukrainischen Verteidiger den Attacken stand

Mit der Eroberung von Sjewjerodonezk hätte Russland die gesamte Region Luhansk unter seiner Kontrolle, eines der neu definierten Kriegsziele Moskaus. Der britische Geheimdienst betonte allerdings auch, dass die ukrainischen Streitkräfte gut befestigte Positionen verteidigen würden. Man gehe davon aus, dass sie die Kontrolle über den Frontabschnitt behalten können.

In Russland soll es laut dem Institute for the Study of War unterdessen eine ganze Reihe von Anschlägen auf Rekrutierungsbüros der Armee gegeben haben, zuletzt in Udmurtien mit einem Molotowcocktail. In den letzten Monaten gab es vor allem im russischen Grenzgebiet immer wieder Angriffe auf militärische Einrichtungen. Ob diese von ukrainischen Saboteuren oder russischen Kriegsgegnern verübt wurden, ist unklar.

Die Kyiv Post berichtet außerdem, im besetzten Süden der Ukraine hätten Partisanen bei Melitopol eine Bahnverbindung zerstört. Erst am 18. Mai sollen Widerstandkämpfer in derselben Region einen Anschlag auf einen russischen Militärzug verübt haben. Auch Attentate auf russische Besatzer und ukrainische Kollaborateure werden berichtet, was sich bisher allerdings nicht verifizieren lässt.

In Teilen Afrikas und anderen Regionen der Welt zeichnet sich weiter ab, wie Moskau die Versorgung mit Nahrungsmitteln als Druckmittel einsetzt. Weil Russland ukrainische Häfen blockiert und eigene Exporte zurückhält, sind in vielen Gegenden rund um den Globus die Lebensmittelpreise deutlich angestiegen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen warf Russland beim Weltwirtschaftsforum in Davos auch vor, bewusst Silos zu bombardieren. Unter anderen mit der Hilfe Großbritanniens werde nach einer Lösung gesucht, das Getreide aus der Ukraine zu exportieren.

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