Sitzstreik bei Castortransport:Knöllchen hinters Ohr

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Sitzt du noch oder zahlst du schon? Am Rande des Castortransports sorgen in Mecklenburg-Vorpommern Gerüchte um eine geplante Wegtragegebühr für Wirbel.

Kathrin Haimerl

Normalerweise ist es ja so: Wer den Abfall verursacht, muss zahlen. Bei Atommüll ist die Sache mit dem Verursacherprinzip schon ein bisschen schwieriger. Und noch komplizierter wird es, wenn dann noch der Atommülltransport ins Spiel kommt.

Castortransport
:Schottern bis der Zug steht

Trotz eisiger Kälte haben die Atomkraftgegner gegen den Castor demonstriert: Schottern, Festketten, Einbetonieren - am Ende hat alles nichts genützt, die radioaktiven Behälter erreichten ihr Ziel.

Zum Beispiel zurzeit in Mecklenburg-Vorpommern: Der Castortransport mit etwa 2500 Brennstäben aus Forschungseinrichtungen des Bundes absolviert an diesem Donnerstag die letzten Kilometer zum bundeseigenen Zwischenlager Nord bei Lubmin nahe Greifswald. Dort bringen sich Atomkraftgegner in Stellung. Sie wollen den Transport mit Sitzblockaden aufhalten: Auf dem letzten Streckenabschnitt haben am Mittag mehr als 250 Aktivisten die Gleise besetzt.

Nun sorgen Gerüchte für Wirbel, wonach die Demonstranten an den Transportkosten beteiligt werden könnten. Blockierer sollen möglicherweise eine sogenannte Wegtragegebühr zahlen, berichtet die Neue Osnabrücker Zeitung und beruft sich auf einen Einsatzbefehl der Polizeidirektion Anklam. Darin heißt es, dass "grundsätzlich alle Kosten für polizeiliche Maßnahmen geltend zu machen" seien, zitiert das Blatt. Diese gelte insbesondere für die Durchsetzung von Platzverweisen unter Anwendung von unmittelbarem Zwang.

Dass es einen solchen Befehl gibt, will die Polizeidirektion Anklam sueddeutsche.de weder bestätigen noch dementieren. Ganz deutlich indes distanziert man sich von einer speziellen Wegtragegebühr: "Es gibt keine Wegtragegebühr. Und es gibt auch keine Überlegungen, eine solche Gebühr zu erheben", sagt ein Sprecher. Aber die rechtliche Möglichkeit, Schienenblockierer zur Kasse zu bitten, existiere im Land Mecklenburg-Vorpommern, sagt der Sprecher. Und zwar unter Anwendung des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes des Landes.

Die juristische Begründung für diese Maßnahme nach Paragraph 69 geht dann so: Der Demonstrant, der die Schienen blockiert und schließlich von einem Beamten weggetragen werden muss, verursacht damit eine kostenpflichtige Handlung, für die er wiederum selber verantwortlich ist. Dann könnten die Behörden die Kosten dafür erheben. Die Höhe der Gebühren hängt übrigens nicht von der Körperfülle des jeweiligen Demonstranten ab, sondern vom Dienstrang des mit dem Wegtragen beschäftigten Beamten. Sie können laut Kostenverordnung des Landes zwischen 30 und 57 Euro betragen. Kostenbewusste Sitzblockierer sollten sich also die Dienstgradabzeichen ihrer Gegenüber gut anschauen.

Castortransport
:Schottern bis der Zug steht

Trotz eisiger Kälte haben die Atomkraftgegner gegen den Castor demonstriert: Schottern, Festketten, Einbetonieren - am Ende hat alles nichts genützt, die radioaktiven Behälter erreichten ihr Ziel.

Theoretisch zumindest, wie der Sprecher der Polizei Anklam immer wieder betont. Denn bislang habe man noch keinen Demonstranten mit einem Bußgeld belegen müssen. "Das Wegtragen ist ja nur die allerletzte Maßnahme. Wir hatten ein sehr gutes Kooperationsverhältnis mit den Demonstranten." Heißt: Diese hätten sich auf Aufforderung freiwillig selbst von den Gleisen entfernt.

Kurz vor Ludwigslust brachten Atomkraftgegner den Castortransport kurz zum Halten. Der Zug transportiert in vier Spezialbehältern etwa 2500 Brennstäbe aus Forschungseinrichtungen des Bundes. (Foto: dpa)

Ein Knöllchen für die Sitzblockierer - konsequente Umsetzung des Verursacherprinzips? Da gibt es noch das demokratische Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nach Artikel 8 Grundgesetz. Dieses allerdings komme auf den Schienen nicht zur Anwendung, heißt es von Seiten der Polizei, denn: "Die Gleise der Deutschen Bahn sind keine Gemeinfläche für eine Demonstration."

Das stimmt so nicht, sagt Dirk Heckmann, Verwaltungsrechtler an der Universität Passau. Denn das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit beinhalte auch das Recht, den Ort der Versammlung zu wählen. Dennoch kommt er zum selben Schluss wie der Polizeisprecher: "Eine zeitlich praktisch nicht begrenzte 'Verhinderungsblockade' von Gleisen, um einen Castortransport aufzuhalten, ist von Artikel 8 Absatz 1 Grundgesetz nicht gedeckt."

Fest stehe allerdings auch, dass der Gebrauch von Grundrechten nicht kostenpflichtig sein dürfe, sagt Heckmann. Denn ein unkalkulierbares Kostenrisiko würde die Bürger von der Ausübung ihrer Grundrechte abhalten. Dass die Polizei aber Gebühren für das Wegtragen verlange, sei rechtens, sobald keine grundrechtlich geschützte Versammlung mehr vorliege. Dabei dürften nicht die gesamten Kosten des Einsatzes auf einen einzelnen Demonstranten abgewälzt werden: "Verlangt werden kann nur das, was der Einsatz unmittelbaren Zwangs gegenüber dem einzelnen Störer gekostet hat."

Das Bundesverfassungsgericht hat sich schon des Öfteren mit Sitzblockaden beschäftigt. Zum Beispiel stärkte es in einem Urteil aus dem Jahr 2005 die Rechte der Demonstranten und stellte fest, dass diese nach einer Sitzblockade rechtswidrig ihrer Freiheit beraubt worden seien. In einem Urteil aus dem Jahr 1995 hat das Gericht zudem anerkannt, dass eine Sitzblockade nicht als Gewalt im Sinne des Nötigungstatbestands im Strafgesetzbuch angesehen werden dürfe. Allerdings könnten Sitzblockaden auf andere Weise geahndet werden, etwa als Ordnungswidrigkeit. Wer Gleisanlagen beschädige, kann sich wegen der "Störung öffentlicher Betriebe" oder wegen eines gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr strafbar machen.

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